Michael Schmidt in der Tiroler Landesgalerie

Als erste österreichische Institution präsentiert die Galerie im Taxispalais den umfassenden fotografischen Essay Lebensmittel des 1945 in Berlin geborenen Künstlers Michael Schmidt. In den Jahren 2006 bis 2010 hat Schmidt den europäischen Kontinent bereist und die Produktion, Verarbeitung, Konfektionierung und Präsentation von Lebensmitteln fotografiert. Insgesamt 177 Aufnahmen aus Großbäckereien, Schlachthöfen, Fischfarmen oder landwirtschaftlichen Betrieben informieren über den Alltag der unterschiedlichen Ernährungsgewerbe.

Der Betrachter sieht Erntehelfer bei der Arbeit, in Eisblöcke eingefrorene Fische, frisch aufgeschnittene Wurstwaren oder konfektionierte Tomaten. So anonym ein Großteil der Lebensmittel in Europa produziert und weiterverarbeitet wird, so unkenntlich sind die Orte, an denen Schmidt fotografiert. Schmidt verzichtet auf lokale Verweise und rückt stattdessen das Allgemeine in den Vordergrund. In den einzelnen Aufnahmen setzt er die Objekte zumeist frontal ins Bild oder rückt sie mit einer sanften Aufsicht in eine konzentriert beobachtende, nahezu wissenschaftliche Perspektive. Nur in den Landschaftsaufnahmen weitet sich der Blick in den Tiefenraum.

Schmidts Sichtweise ist von äußerster Klarheit und Härte gekennzeichnet. Der Blick in die Käfige der Fischfarmen oder Apfelwaschanlagen erinnert in seiner seriellen Analytik bisweilen an die sachliche Fotografie der 1920er Jahre. Doch gerade der Widerspruch zwischen der latent optimistischen Haltung der klassischen Fotografen, die ihre Motive aus der industriellen Produktion in einer perfekten Ästhetik in Szene setzten, und der realistischen Sichtweise Schmidts hinterlässt bei der Gesamtschau auf das Projekt einen verstörenden Eindruck. Aus dieser Bildsprache entsteht ein ebenso universelles wie eindringliches Porträt unserer Lebensgrundlagen.

Michael Schmidt ist für seine umfangreichen Serien berühmt, an denen er in der Regel drei bis fünf Jahre kontinuierlich arbeitet. Obwohl sich Schmidt intensiv mit den großen Dokumentaristen der Fotografie wie zum Beispiel Walker Evans auseinandergesetzt hat, lässt sich sein Stil nicht festlegen. Gegen das Dokumentarische setzt er das Realistische. Gegen das Objektive setzt er den subjektiven Umgang mit dem Objekt, auch dem Menschen als Objekt. Und trotz der unmissverständlichen Zeitgenossenschaft eines jeden Projektes vermitteln die unterschiedlichen Serien stets ein starkes historisches Bewusstsein, wodurch sie weit über den Moment der Aufnahme hinausweisen.

Mit seiner immer neuen Herangehensweise an fotografische und gesellschaftliche Fragestellungen nimmt Schmidt eine singuläre Stellung in der aktuellen Fotografie ein, sein innovatives projekthaftes Arbeiten und sein Engagement gelten als Vorbild für eine Generation jüngerer Fotografen. In den bekannten Serien "Waffenruhe" (1985–1987) und "Ein-Heit" (1991–1994, über die Wiedervereinigung Deutschlands), beide als Einzelausstellungen unter anderem im Museum of Modern Art in New York präsentiert, vermischt Schmidt die Fotografien von eigener Hand teilweise extensiv und unterschiedslos mit Fotografien Dritter. In diesen Werken gelang es ihm, die unbunte Farbe Grau derart reich zu nuancieren, dass sie als Farbwert wahrgenommen werden kann. Für das Projekt "Lebensmittel" sind nun auch einige Aufnahmen entstanden, mit denen Schmidt das Prinzip der fein abgestuften Grauskalen zurückhaltend in den Bereich der Farbfotografie weiterführt.

Michael Schmidt. Lebensmittel
16. Juni bis 26. August 2012