Messgenauigkeit

27. April 2011 Rosemarie Schmitt
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Obschon es Winter war, machte der junge Italiener Alessandro Striggio sich mit seinen Notenbüchern auf den Weg über die Alpen nach Wien. Sicher waren es deren Bücher viele und schwere, denn es müssen wenigstens 2 Ausfertigungen gewesen sein, und eine jede sollte schließlich reichen für 40 unterschiedliche, einzelne (!) Stimmen. Außerdem handelte es sich hierbei nicht etwa um leichte Musik, sondern um eine Messe. Also schleppte der Esel die Stimmbücher über die winterlich ungemütlichen Alpen.

Aber nein, um Himmels Willen, ich meine damit doch nicht den jungen "Messi" Alessandro! Das kostbare Notenmaterial vertraute er einem kräftigen und zuverlässigen Eselstier an, so war jener Esel quasi Striggios Messdiener. Dies war im Jahre 1566, als sich der damals 30jährige italienische Komponist auf den Weg machte, dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches in Wien, auch in diplomatischer Mission, einen Besuch abzustatten.

Dort angekommen hielt er die Messe, und zwar dem Kaiser unter die Nase. Anschließend band er diesem außerdem ein Ansinnen unter dieselbe. Es handelte sich hierbei nicht einmal um ein eigenes, sondern um eines von Striggios Gönner, Cosimo von Medici. Der nämlich wünschte, der Kaiser solle ihn zum König der Toskana ernennen. Dies war wohl der diplomatische Teil von Striggios Mission. Über seine "Mession" wurde jedenfalls wohlwollender entschieden, als über das Begehren des Cosimo von Medici.

Überhaupt wurde Alessandro Striggio wohlwollend am Hofe empfangen. Er war nicht irgendein Musiker, er war ein Adliger, sehr gut situierter und auch an den Höfen von Florenz respektierter und gern gesehener Komponist, der in den besten und klügsten Kreisen verkehrte. Eine besondere Freundschaft verband ihn mit dem Lautenisten Vincenzo Galilei, dem Vater des 1564 geborenen Galileo Galilei. Dies sei zwar mittendrin, dennoch nur am Rande erwähnt.

Von Wien aus machte sich Striggio weiter auf den Weg an den Münchner Hof. Nun hatte er, der Esel, weniger Last zu tragen, denn eine Ausfertigung seiner Messe hatte Alessandro dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches in Wien als Geschenk hinterlassen. Seine Reise führte ihn weiter über Paris, wo seine Messe in Anwesenheit der Katharina von Medici, der Mutter des französischen Königs, im Chateau de St. Maur aufgeführt wurde.

Statt die geplante Rückkehr anzutreten, trieb es ihn forwärts nach London, um dort die Virtuosen der Musik und Queen Elisabeth zu treffen. Die Engländer waren derart angetan von Striggios Messe, daß sie unter den Ihren (hier ist das h von größter Wichtigkeit!) einen Komponisten suchten, der ebenfalls solch ein Werk zustande bringen sollte. Und ein Jahr später erschien in der Tat "Spem in alium" von Thomas Tallis. Mit etwas Toleranz durchaus vergleichbar mit der 40stimmigen Messe Alessandro Striggios, doch dessen "MessLatte" war und blieb viel zu hoch.

Bis vor wenigen Jahren war diese großartige Messe verschollen. Lange suchte der Cembalist und Musikwissenschaftler David Moroney danach, bis er sie schließlich in der Bibliothèque Nationale de Paris fand. Aus dem Quellmaterial, dem Mikrofilm der Stimmbücher, die der Esel einst über die Alpen trug, schuf Robert Hollingworth gemeinsam mit Brian Clarke von der Early Music Company eine eigene Ausgabe. Daraus entstand die erste CD-Aufnahme dieses Werkes, die im März dieses Jahres bei Decca (Universal-Music) erschien. Als besonderes Schmankerl gibt es zu der CD eine DVD. Diese enthält unter anderem ein sehr interessantes, informatives Interview mit Robert Hollingworth.

Für mich eine der wunderbarsten und außergewöhnlichsten Messen, die ich je hörte. Kein Messen von Kräften der zahlreichen vokalen und instrumentalen Stimmen, kein bombastisches Gegeneinander, sondern ein harmonisches Miteinander herausragender Musiker. Groß ohne laut zu sein, harmonisch, behutsam, meditativ, beinahe hypnotisch und in einer außergewöhnlichen Anordnung. Die Chöre und Instrumentalisten bilden einen Kreis, in dessen Mitte sowohl der Dirigent, als auch die Zuhörer ihre Plätze haben. Eine "runde" Sache eben.

Sicher ist es ein besonderes Erlebnis, nicht jedoch eine unbedingte Notwendigkeit, in der Mitte des Kreises diese Musik zu genießen, denn auch wenn dieses Werk aus Ihren heimischen Lautsprechern erklingt, werden sie das Gefühl haben, mittendrin zu sein.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt