In Memoriam Kultautor Kurt Bracharz

Dass der Schriftsteller, Kolumnist, Gastrokritiker, Kinderbuch-, Krimi- und Sachbuchverfasser sowie auch leidenschaftliche Papiercollagen-Schöpfer Kurt Bracharz schon seit längerem schwer krank war, wussten wir. Als aber die für ihn typisch lakonische Mitteilung kam, dass er keine Beiträge mehr senden werde, da es sich bei ihm nicht mehr um Wochen, sondern nur noch um Tage handle, hat uns dies doch zutiefst betroffen gemacht. Denn wir waren ihm nicht nur über Jahrzehnte freundschaftlich verbunden, sondern er war auch der sowohl qualitativ als auch quantitativ wichtigste Kolumnist bei Kultur-Online. Am Dreikönigstag nun hat Bracharz, der wohl über die kritischste und hintersinnigste Feder im Land verfügte, für immer zu schreiben aufgehört. Wir trauern um eine Stimme, die den Dingen immer auf den Grund ging und in den Texten immer genauso unbestechlich und schonungslos wie fair und gerecht war.

Für Kultur-Online hat Kurt Bracharz, der im 73. Lebensjahr stand, in den letzten zwanzig Jahren an die 2'000 Beiträge verfasst. Darunter Bild- und Videokolumnen wie "Ainsi dit Michaux", "Vorax", "Hints & Coons", "Köche Europas" und "Knick-Knack's Frenzy". Am bekanntesten war jedoch seine vom 22. Jänner 2001 bis 2. Dezember 2019 erschienene wöchentliche Kolumne "Znort!", in der er aktuelle Zeitgeschehnisse messerscharf, ironisch, hintergründig und mitunter auch zynisch auf den Punkt brachte. Der 1947 in Bregenz geborene Autor war zweifelsohne ein Meister des Zuspitzens. Warum dieses Gefäss "Znort!" heissen sollte, erklärte Bracharz selbst im Vorwort zu den von ArtCore, dem Trägerverein der Internet-Plattform "Kultur-Online", 2004 in Buchform herausgegebenen ersten 100 erschienenen Znort!s. Seine Eigendefinition der Spalte ist auch typisch für seine Art, Sachverhalte analytisch herzuleiten. Bracharz: "Die Kolumne sollte 'Znort!' heissen, die Onomatopöie für das Schnauben, das der Android Ranxerox in den nach ihm benannten Comics von Tanino Liberatore und Stefano Tamburini ausstiess, bevor er wieder einmal in einem Wutanfall ein paar menschliche Gegner in blutige Fetzen riss. 'Znort!' ist natürlich eine italienische Schreibweise, deutsch müsste es eigentlich 'Schnorch!' oder 'Schnau!' heissen, aber das scharf zischende Z am Wortanfang gefiel mir besser als das schnarchende Sch von Schnorch. Ergo Znort. Die Grundstimmung war damit vorgegeben, obwohl ich leider oder gottseidank nicht über die physischen Kräfte eines Androiden verfüge und meinen von Ärger bis Zorn reichenden Gefühlen angesichts des Wirkens bzw. Gewirks von Politikern aller Länder und Couleurs nur verbal Luft machen kann. Trotz gelegentlicher Ausritte ist 'Znort!' in erster Linie eine politische Kolumne."

Zur Literatur fand Kurt Bracharz über Umwege. Denn nach der Matura arbeitete er zunächst bei einer Bank, dann beim Bezirksgericht und hierauf beim Landesinvalidenamt in Bregenz. Von 1972 bis 1990 wirkte er als Berufsschullehrer in Dornbirn. Aber da war er schon längst der Feder verfallen, und er erhielt 1986 das österreichische Staatsstipendium für Literatur zugesprochen.

Ab 1990 arbeitete der Bregenzer als Journalist respektive Kolumnist bei der Kronenzeitung Vorarlberg und beim ORF. Ab 1997 lebte er als freier Schriftsteller in Bregenz. 1998 war er Teilnehmer am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Gut dreissig Jahre schrieb er auch für die Monatszeitschrift Kultur unverwechselbare Magazin-Beiträge wie etwa "Spricker".

Einem grösseren Publikum bekannt wurde er vor allem durch seine Kriminalromane, die wie nur wenige dieses Genres aus dem deutschsprachigen Raum gleichwertig neben den harten amerikanischen Krimis stehen können. Gleichzeit sind diese Romane auch viel mehr als nur Krimis. In seinem 1990 erschienen Wien-Thriller "Höllenengel" etwa spielte das damals noch als Tabu behandelte Thema "Aids" eine zentrale Rolle. Sein letzter Krimi, "Der zweitbeste Koch", der 2010 erschien, ähnelt wiederum auch einer illustren und dekadenten Reise entlang asiatischer Kochtöpfe. Die geschilderten Mahlzeiten könnten mitunter einem Gruselkabinett entspringen. Sind die zubereiteten Meerschweinchen, die süssen Mitbewohner von Kinderzimmern, noch halbwegs verdaubar, so regt sich bei den "drei Quiekern" aber bereits Widerstand. Denn "drei Quieker" bedeutet, dass lebende Rattenjungen drei Mal quieken, wenn man sie ins heisse Öl taucht und noch lebend zerbeisst. Nichtsdestotrotz verweist dieser Krimi damit eben auch auf eine andere Leidenschaft des Autors – das Essen und Trinken – war er doch ein Gourmet und als solcher als Gastrokritiker tätig. Für die Vorarlberger Nachrichten verfasste er fünfzehn Jahre lang eine einschlägige Kolumne und war als Lokaltester unterwegs. Die Kolumnen, die auch sehr informative warenkundliche Erläuterungen, von Angostura bis Xeres, von Aal bis Zwetschke, von Arganöl bis Yakfleisch, enthielten, hat er in seinem "Mein Appetit-Lexikon" zusammengestellt und als Buch herausgegeben.

Bracharz wurde logischerweise auch vielfach ausgezeichnet. 1991 etwa erhielt er den Deutschen Krimi-Preis zugesprochen. Der wichtigste Preis war ihm aber die "Penzberger Urmel" für sein überaus vergnüglich zu lesendes, schräges Kinderbuch "Wie der Maulmurf beinahe in der Lotterie gewann". Denn diese Auszeichnung wird von einer Kinderjury vergeben, und Kinder sind in der Beurteilung im Unterschied zu Erwachsenen sackehrlich und unbestechlich.

Es gäbe noch vieles an Kurt Bracharz zu würdigen. Etwa seine Übersetzungen, die von grossem Einfühlungsvermögen in den Ursprungstext bzw. die Werkautorschaft zeugen. Oder seine stets gut vorbereiteten und reichhaltigen Lesungen, oder seine informativen, parabelartig ausholenden Vernissagereden bei Kunstausstellungen. Denn ja, er hatte auch ein grosses Faible für die bildende Kunst. Und er war mit einer Reihe von Kunstschaffenden befreundet. Etwa mit Paul Renner und Helmut King, mit denen er zahlreiche Projekte realisierte. Sujetmässig angetan hatte es ihm in dieser Beziehung aber vor allem die Collage, von Kurt Schwitters bis zu Wolfgang Hildesheimer. Er schuf selber ebenfalls an die zweitausend Papiercollagen. Die sind genauso stilistisch sicher und pointenhaft, wie seine Buchrezensionen, die von seiner enormen Belesenheit zeugen. Unter dem Titel "The Map" verfasste er in Buchform auch einen eigenwilligen, interessanten Essay zur Collage als Kunstform. Einige seiner eigenen Papiercollagen waren im Rahmen der Gruppenausstellung "Collage – Decollage" im Frühjahr 2017 bei Kunstvorarlberg in der Feldkircher Villa Claudia zu sehen. Es wäre lohnend, dieser Seite des Autors einmal eine eigene, personale Plattform zu bieten.

Für das gesamte Kultur-Online-Team: Karlheinz Pichler