Mehr als die "Before Sunrise"-Trilogie: Die Filme des Richard Linklater

17. Juni 2013 Walter Gasperi
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An die 20 Filme hat der 1960 in Houston, Texas geborene Richard Linklater seit 1988 gedreht, doch nur rund die Hälfte schaffte den Weg in die Kinos der deutschsprachigen Länder. Seine größten Erfolge sind bislang die drei Liebesfilme "Before Sunrise", "Before Sunset" und "Before Midnight", die in enger Zusammenarbeit mit den Hauptdarstellern Julie Delpy und Ethan Hawke entstanden, doch Linklaters filmisches Werk ist reicher und vielfältiger.

Im Gegensatz zum Großteil seiner Kollegen besuchte Richard Linklater keine Filmschule. Seine Leidenschaft fürs Kino und sein Entschluss Filmemacher zu werden, erwachte zwar schon während der Highschool, doch selbst aktiv wurde er erst, nachdem er Mitte der 1980er Jahre zweieinhalb Jahre auf einer Öl-Plattform im Golf von Mexiko gearbeitet hatte. Mit dem ersparten Geld kaufte er sich eine Super-8-Kamera sowie einen Projektor und übersiedelte nach Austin/Texas, wo er die Austin Film Society gründete.

Die Bandbreite der Filme, die in diesem Filmclub gezeigt wurden, beeinflusste entscheidend Linklaters stilistische Vielfalt: Carl Theodor Dreyer, Robert Bresson, Yasujiro Ozu und Eric Rohmer nennt er ebenso als Vorbilder wie Rainer Werner Fassbinder, Martin Scorsese, Vincente Minnelli und Joseph von Sternberg, seine Produktionsfirma nannte er nach Edgar G. Ulmers Film noir "Detour Films".

Im Mittelpunkt seiner ersten Filme stehen junge Erwachsene, die ziellos dahin leben, der Begriff "Slacker" ging über den Titel von Linklaters zweitem Film (1991), der auch das Subgenre des "Slacker-Movies" begründete, in den deutschen Wortschatz ein. Nicht äußere Aktion und große Handlungsbögen bestimmen sein für etwa 3000 Dollar gedrehtes Super-8-Film Debüt "It´s Impossible to Learn to Plow by Reading Books" (1988) ebenso wie der für 23.000 Dollar gedrehte "Slacker" (1991), sondern alltägliche Handlungen und zufällige Begegnungen.

Von seinen High-School-Erinnerungen geprägt ist "Dazed and Confuse" (1993), in dem er den letzten Schultag einer Teenagergruppe im Austin des Jahres 1976 zeigt. Acht Jahre später griff er das Thema in dem Videofilm "Tape" (2001) wieder auf, in dem drei Jugendfreunde in einem Motelzimmer Erinnerungen an die Schulzeit austauschen. Doch die Vergangenheit wird nicht nostalgisch verklärt, vielmehr wird eine Vergewaltigung thematisiert.

Verspielter, gelöster und romantischer ist der 1995 in Wien gedrehte "Before Sunrise". Wieder ist die Handlung sehr reduziert, wird ausgelöst durch eine Zufallsbekanntschaft während einer Zugfahrt von Budapest nach Paris. Jesse (Ethan Hawke) überredet Celine (Julie Delpy) mit ihm in Wien auszusteigen und den Tag zu verbringen und gemeinsam ziehen sie durch die Donaumetropole.

Auf diesen einen Tag und die zwei Protagonisten beschränkt sich die Handlung, an Eric Rohmer erinnern die Dialoge und die Leichtigkeit der Erzählweise. Neun Jahre später setzte Linklater diesen Film mit "Before Sunset" (2004) fort, knüpfte stilistisch nahtlos an den Vorgänger an und lässt das Paar, das sich erstmals seit dem Treffen in Wien wieder sieht, nun fast in Echtzeit einen Nachmittag durch Paris streifen.

Was aus dieser Begegnung geworden ist, sieht man schließlich in "Before Midnight" (2013), der in langen Einstellungen, denen man ihre Länge aber nie anmerkt, wiederum den wunderbar harmonierenden Julie Delpy und Ethan Hawke einen Tag durch Griechenland folgt. Man sieht ihnen zu, wie sie diskutieren, sich streiten und sich dann doch wieder versöhnen.

Aber Linklaters Werk ist eben ungleich reicher, bietet mehr als diese Welterfolge. Er lässt sich nicht auf ein Genre festlegen, zeigte Lust an formalen Experimenten bei "Waking Life" (2001) und der Philipp K. Dick-Verfilmung "A Scanner Darkly" (2006), die beide mit realen Schauspielern aufgenommen wurden und dann durch digitale Bearbeitung die Optik eines Animationsfilms erhielten. Während Linklater dabei in "Waking Life" einen Träumenden philosophischen Fragen nachspüren lässt, zeichnet er in der düsteren Utopie "A Scanner Darkly" die USA als Überwachungsstaat.

Die Schattenseiten der Fast-Food-Ketten deckte der Texaner in der episodisch angelegten Verfilmung von Eric Schlossers Sachbuch "Fast Food Nation" (2006) auf. In parallel geführten Erzählsträngen wird Massentierhaltung, die Ausbeutung illegal in die USA eingewanderter Mexikaner und die miserable Qualität des Fleisches in den Fast-Food-Ketten angeprangert, doch in der Breite verliert der Film sowohl an Biss als auch an Tiefgang.

Dass Linklater keine Scheu vor dem Mainstream kennt, beweisen seine Schulkomödie "The School of Rock" (2003) und sein Remake des Baseball-Jugendfilms "Bad New Bears" (2005), die sich allerdings durch eine in diesen Genres selten zu findende Subversivität auszeichnen. Während "School of Rock" von Jack Black dominiert wird, der als Rockmusiker in einer Schule geheim das Unterrichtsfach "Rockmusik" einführt, steht im Mittelpunkt von Bad New Bears" Billy Bob Thornton als Trainer einer Kinder-Baseball-Jugendmannschaft, der mit Schimpfworten nur so um sich wirft und dem Kinderfilm eine ziemlich derbe Note verleiht.

Trotz dieser Ausflüge in den Mainstream ließ sich Linklater nie von Hollywood vereinnahmen, lebt nicht in der Filmmetropole, sondern weiterhin in Austin, und widmet sich in erster Linie persönlichen Projekten wie dem historischen Film "Me and Orson Welles" (2008), in dem er eine Coming-of-Age-Geschichte mit den Proben zu Orson Welles Inszenierung von "Julius Caesar" am legendären New Yorker Mercury Theatre verbindet, oder der auf Tatsachen beruhende schräge Komödie "Bernie"" (2012), in der Jack Black einen texanischen Witwenmörder spielt.

Interview mit Richard Linklater über unabhängiges Filmemachen (30 Minuten)