Medienhurerei

Wir leben in einer "authentitätsgeilen" Zeit. Vielen genügt Literatur nicht. Sie wollen zumindest eine Mischung, Docufiction. Für Analfabeten oder Lesebehinderte gab und gibt es nicht nur Comix, sondern auch Fotoromane. Da letztere vor allem für Unterschichtler bestimmt waren, vermittelten sie ein Wunschabbild jener Schichten und Kreise, die "jenseits" lebten, und die durch die realistische Fotografie authentisch erschienen. Sie waren die Vorläufer der Telenovelas, der einkuschelnden TV-Serien fürs gemeine Volk, das es nicht besser weiss und, offensichtlich, nicht will.

An diese Schicht richteten sich schon früh die tabloid papers, die billigen, groben, sensationsgeilen, rücksichtslosen Strassenzeitungen, die "Massenblätter". Die Höhe der Schlagzeilen, die schon früh häufige Verwendung von Zeichnungen bzw. Fotografien, kam dem niederen Lesebedürfnis und der reduzierten Konzentration auf das "Wesentliche" entgegen. All das half, ein krudes, simples Einfachweltbild bornierter Ausrichtung zu verfestigen. Es lieferte deshalb auch leicht und billig Bestätigung, vermittelte das Gefühl "dabei" zu sein, "Bescheid" zu wissen. Der "Schund" lag und liegt bei solchen Abfall- bzw. Abschaumprodukten nicht nur im einzelnen Falschen, in den Lügen und unlauteren Vereinfachungen, sondern in der Struktur.

Manchmal greifen Autorinnen und Autoren auf solche Rezepte zurück, um in der Massengesellschaft ihr Produkt besser verkaufen zu können. Manchmal schlagen Rezipienten zurück und erwirken eine Zensur, "Berichtigung" oder gar komplette Einziehung der Publikation, weil sie nach modernen Persönlichkeitsschutzregeln rechtlich glaubhaft machen können, sie seien in dem Roman, der dann nicht als Literatur gesehen wird, auch wenn er sich als solche ausgibt, sondern als "Schlüsseltext" oder Dokumentation, erkennbar und sähen deshalb ihre Persönlichkeitsrechte verletzt. So bleibt z.B. Maxim Billers Roman "Esra", der über vier Jahre die Gerichte beschäftigt hat, nach höchstgerichtlichem Urteil vom Oktober 2007 verboten.

Ein anderer Beschuldigter ist schon lange tot und kann sich nicht wehren gegen das Verdikt, er sei ein Serienmörder: der englische Maler Walter Sickert, von dessen Gemälden in London gerade eine Ausstellung gezeigt wird ("Walter Sickert: The Camden Town Nudes". The Courtauld Gallery) und der von der amerikanischen Schreiberin Patricia Cornwell in ihrem vor einigen Jahren erschienenen Buch "Portrait of a Killer" als Mörder erkannt und beschuldigt worden war.

Die 1955 geborene Amerikanerin, die von der Tennisspielerin übers College zur Zeitungsschreiberin wurde, hat sich früh auf gerichtsmedizinische Themen verlegt und Erfolg gehabt; sie heimste mehrere Preise ein, darunter den Edgar Allan Poe Preis und den Prix du Roman d"Aventures. Trotz Nutzung der früher nicht zur Verfügung stehenden DNA-Technologie durch die Autorin, verstieg sie sich in ihrer "Urteilsbegründung" auf die Werkdeutung. Viele Gemälde seien Abbildungen der Opfer bzw. zeigten Spuren, wären Indizien usw.

Jedenfalls half der Medienrummel der geschäftstüchtigen Frau. In einer amerikanischen Buch-Internetseite lautet ein Satz des werbenden Kurztextes: "She brings the same level of painstaking detail and research she uses in her fiction to make the case for solving one of the most popular mysteries of all time." Cornwell entspricht mit ihren Romanen der Machart amerikanischer Polizeiserien à la "CSI" und hat deshalb ein breites Publikum.

Eine aktuelle Werkdeutung mit nur formal verhindertem Straftatbestand liefert das Schundblatt "Heute", dessen Chefin eine miese Schreiberin ist, die ebenfalls die Techniken der Vereinfachung und Mutmassung nutzt, um in grossen, fetten Schlagzeilen die profitable Dürftigkeit ihres Schmierenblattes zu verkaufen, was von den Massen willig angenommen wird, zumal der "Kaufpreis" von der werbenden Wirtschaft bezahlt wird, und die "Leser" meinen, sie erhielten eine Gratiszeitung. Dieses Verschmutzungsorgan titelt am 8. Jänner 2008: "Star-Autor Handke: Freundin geprügelt. Neue Aufregung um den Austro-Dichter (65, "Gerechtigkeit für Serbien")". Kritiker erkennen in aktueller Erzählung spätes Gewaltgeständnis".

Auf Seite 13 lautet die Schlagzeile: "Handke: Schläge für eine Geliebte". Dann erfährt man, dass Frau Marie Colbin Handke beschuldigt hat, sie geschlagen zu haben. Der Leser fragt sich verdutzt, worum es sich da handeln solle, waren doch Handke und Colbin nur kurz zusammen, und das vor vielen Jahren. 1999 berichteten Medien, u.a. der SPIEGEL, von Colbins Vorwürfen. Es gab keine Anklage oder gerichtliche Verhandlung. Es blieb bei der Beschuldigung. Die Sache wurde damals ziemlich breitgetreten und viele Kulturbeflissene äusserten sich bemüht abfällig über den Gewalttäter, Macho und Ungustl Handke; es gab oder gibt sogar eigene "Anti-Handke-"Internetseiten.

In Frau Dichands Schmierblatt wird das Datum nicht genannt, weil dann klar wäre, dass es sich um einen alten, verbeulten Hut handelt, der hier als neu verhökert wird, und dass zudem nur Behauptungen vorliegen.

Aber da Handke 65 ist und doch immer noch Medienaufmerksamkeit erzeugt, hängt sich auch die Schmiere an. Wenn schon nichts Anderes zu kläffen ist, konstruiert man eben, à la Docufiction, eine Geschichte. Nennt keine genauen Daten, ausser dort, wo sie Authentizität indizieren. So wird der Artikel mit einer sachlichen Feststellung beschlossen, der rückwirkend das nebulose, mutmassende Geschreibe aufwerten soll und für dumme Leser wahrscheinlich auch aufwertet: "Die von Marie Colbin genannten Körperverletzungen wären bei einem richterlichen Schuldspruch mit bis zu fünf Jahren Haft zu bestrafen (StGB, § 84)."

Die Aussage ist im Detail korrekt. Nicht korrekt ist die Verbindung, Handke habe erwiesener Massen solch eine Straftat begangen. (Unabhängig davon wäre auch zu berücksichtigen, wann die behauptete Tat erfolgt sein soll, weil es ja eine Verjährung für solche Taten gibt!) Als Schlusssatz steht die gutmenschlerische Information für Opfer, die sicher einen grossen Teil der Leserschaft des Schundorgans bilden: "Helpline für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden: Tel. Nr."

Hier ist formal nicht einzugreifen. Vom Sinn er ist die Sache klar: Handke der Gewalttäter, Colbin das Opfer. Für jedes andere Opfer gleich die Assistenz durch die Frauenzeitung HEUTE: hier die Telefonnummer für die Helpline, wenn auch Sie, liebe Leserin, von einem Gewaltmenschen geschlagen wurden.

Eine widerliche Praxis von Medienprostituierten, die sich mit formalen Tricks vor der Rechtsverfolgung schützen. "Heute" hält ordentlich und gesetzeskonform in Klammer fest: "(für ihn gilt die Unschuldvermutung)". Man kennt das. Ich kann eine Mutmassung in eine Frage pressen, wie es "Bild" so erfolgreich praktizierte, und damit behaupten, ich hätte nicht X behauptet, sondern nur gefragt. Dieser Logik nach frage ich nur: "Ist Frau Dichand die Hure von Herrn Klossowski?" Nein, nicht, ich habe keine Informationen darüber, nur Gerüchte. Ich beantworte sogar die Frage, ob sie eine Hure sei, negativ. Ist das Medienunternehmen "Heute" eine Geldwaschanlage, wie Franz Biedermann im Gasthaus Monokel vorgestern Abend vor Zeugen behauptete? Ich enthalte mich der Antwort, melde nicht einmal, was ich hörte, sondern formuliere die Behauptung als Frage. Und so weiter. Man könnte ein regelrechtes Semiotikspiel betreiben. Und ordentlich, wie die Heute-Leute, würde ich, falls ich nicht nur eine Frage stellte, sondern eine Behauptung äusserte, an- und einfügen, dass, natürlich, die Unschuldvermutung gelte. So einfach ist das.

In der Gratiszeitung stand vor den erwähnten beiden Absätzen folgendes: "In einem Abschnitt seiner neuen Erzählung liefert Handke nun selbst einen möglichen Hinweis auf seine – mutmaßliche – Gewaltbereitschaft gegen Frauen: Die Hauptfigur fällt in der Geschichte nämlich über eine Frau her, die ihn beim Schreiben gestört hat. Es sei dazu gekommen, dass er "auf die Frau, ohne sie überhaupt anzuschauen, losstürzte und auf sie einprügelte", schreibt Handke in seiner autobiografischen "morawischen Nacht"."

Hier wird Literaturexegese geliefert, die, auch wenn es sogar eine reale Tat gewesen wäre, trotzdem falsch und verleumderisch in der Aussage wäre, weil von einer Einzeltat auf eine Haltung gegen eine Gattung geschlossen wird: Handke hätte demnach autobiografisch bestätigt, dass er nicht nur eine bestimmte Frauensperson, ein Individuum also geschlagen habe, sondern, dass er eine "Gewaltbereitschaft gegen Frauen" habe. Die Problematik solch direkter Textdeutung wird nicht reflektiert. Es geht ja nicht um Literatur, sondern eine intendierte Bildkonstruktion, eine Beschuldigung. Konstruierte Eindimensionalität.

Die Frechheit und Sauerei ist vielschichtig. Das Schmierenblatt vermag es, in einem kleinen Artikel gleich mehrere Verleumdungen, Verdrehungen und mutwillige Mutmassungen zu liefern, die nur aus formalen Gründen nicht rechtlich verfolgbar scheinen.

Das ist jener Schund, den ein Karl Kraus als Schlimmstes geisselte. Das ist wie Gift. Redakteure und Schreiberlinge in so einem Blatt sind Giftmischer.

Was waren die Beweggründe von Herrn Gallmetzer als Leiter des wiedererweckten "Club 2", zur ersten Folge ausgerechnet die Frau Dichand, Chefin dieses Schmutzorgans, einzuladen? Gibt es Kollaborationen, geistige, moralische, ethische Naheverhältnisse? Sollen wir im Stile der Schmierer weiter mutmassen?

Lassen wir es und bedauern wir, dass solche Produkte Abnehmer finden.