Martin Boyce im Kunstmuseum Basel

Martin Boyce ist ein schottischer Bildhauer und Installationskünstler. Die Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst präsentiert vor allem skulpturale Werke und Installationen des Künstlers, wie die mehrteilige Installation "Do Words Have Voices", für die Boyce 2011 den renommierten Turner-Preis erhielt. Aber auch Fotografien, Collagen und Materialbilder aus einem Zeitraum von 14 Jahren werden in der zweiten Einzelausstellung des Künstlers in der Schweiz (nach der im Centre d’Art Contemporain Genève 2007) und der bisher umfassendsten Einzelausstellung überhaupt präsentiert.

Martin Boyce wurde 1967 in Hamilton, South Lanarkshire (UK), geboren und studierte in den 1990er Jahren an der Glasgow School of Art sowie am California Institute for the Arts (CalArts) in Los Angeles. In der Ausstellung sind einerseits Highlights aus dem Schaffen des Künstlers zu sehen, so zum Beispiel die mehrteilige Installation "Do Words Have Voices", für die Boyce 2011 den renommierten Turner-Preis erhielt, und das Neuarrangement einer Gruppe von Arbeiten, die er bei der Biennale von Venedig 2009 unter dem Titel "No Reflections" zeigte. Andererseits werden auch unbekanntere Stücke von Boyce präsentiert, zum Beispiel eine Auswahl von Collagen, die der Künstler bislang nicht der Öffentlichkeit präsentierte und die selbst für Kenner seines Werks zahlreiche überraschende Hinweise auf die Quellen seiner Inspiration und Arbeitsweise bereithalten.

Boyce’ frühere Arbeiten sind durch eine Vielzahl an Referenzen geprägt. Im Mittelpunkt stehen Klassiker modernen Designs von Charles und Ray Eames, Mies van der Rohe oder Jean Prouvé. Der Künstler zerbricht Arne-Jacobsen-Stühle und arrangiert die Bruchstücke zu Mobiles. Er manipuliert modulare Regalsysteme und schraubt aus ihnen Skulpturen zusammen. Manche seiner Werke sind auch durch die Rezeption des amerikanischen Kinos beeinflusst. Die Titelsequenz aus Hitchcocks "North by Northwest" (auf Deutsch unter dem Titel "Der unsichtbare Dritte" veröffentlicht) wird bei Boyce zum Ausgangspunkt für die Entwicklung von Tapeten, Wandtexten, Aschenbechern und findet sich sogar in dem diagonal verschobenen Gitterraster eines Mülleimers wieder, den der Künstler gestaltet hat.

Boyce verarbeitet auch popkulturelle und literarische Bezüge. Titel können sich von Bands wie New Order oder Joy Division ableiten, aber auch aus Romanen von Virginia Woolf und Michael Ondaatje entlehnt sein. Eine Plattenhüllengestaltung von Peter Saville, die Farbgebung einer bestimmten Gucci-Kampagne oder die Fernsehberichterstattung zum Prozess um O. J. Simpson liefern ihm visuelle Zeichen, die er sich frei aneignet. Es handelt sich um Formen, die einerseits in hohem Masse von den ethischen und ökonomischen Wertvorstellungen einer bestimmten Kultur bestimmt sind und die andererseits mit dem biografischen Erfahrungshorizont des Künstlers verknüpft sind. Die Arbeiten dieser Phase zeigen, wie individuelle Sehnsüchte mit den Oberflächen und Traumata kollektiver Räume und Wunschbilder verwoben sind.

Ab 2005 reduziert Boyce sein Referenzsystem radikal. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht jetzt ein formales Raster, das er aus der kubistisch-geometrischen Gestaltungsweise Joël und Jan Martels ableitet. Die in Frankreich geborenen Zwillinge hatten 1925 für einen Garten des avantgardistischen Architekten Robert Mallet-Stevens vier Betonbäume konstruiert. Aus der akribischen Beschäftigung mit diesen Skulpturen hat Boyce deren Formprinzip isoliert und in ein Muster übersetzt. Auf der Grundlage dieses Musters entwirft der Künstler ein Formlexikon, dessen Motivik die Elemente gebauter Innen- und Aussenräume zitiert.

Häufig – wie auch in der Ausstellung zu sehen – stellt Boyce einzelne skulpturale Elemente zu Installationen zusammen, die einerseits an konkrete Orte wie Stadtparks oder Spielplätze erinnern, andererseits aber imaginär und traumwandlerisch bleiben – als würde es sich um Abdrücke von etwas handeln, das mittlerweile verschwunden ist. Wie zum Beispiel Wasser, das wir zwar in der Installation selbst nicht sehen können, dessen imaginäre Anwesenheit die Arbeit "Evaporated Pools" aber evoziert, indem sie die vertrockneten Laubblätter als Resultate eines Verdunstungsprozesses bezeichnet.

Ähnlich ist es mit dem Wind, der die Blätter auf dem Boden verstreut und vor sich hergetrieben haben muss. Die Fotoserie "A Partial Eclipse" zeigt Aufnahmen von Innen- und Aussenräumen, die Boyce an verschiedenen Orten, häufig während diverser Reisen, gemacht hat. Auch sie zeugen davon, dass Boyce in seinem Werk Form und gebaute Umgebung als eine Art von Abdruck betrachtet, in dem sich Entworfenes und Ungeplantes miteinander in verschiedenen Graden durchkreuzen. Boyce’ Räume sind Phantasmagorien, geprägt durch eine einzigartige, in den Martel-Bäumen antizipierte Verbindung aus poetischer Naturdarstellung und Industrieästhetik.


Martin Boyce
25. April bis 16. August 2015

Museum für Gegenwartskunst mit Emanuel Hoffmann-Stiftung
St. Alban-Rheinweg 60, CH-4010 Basel