Mariann Grunder - Zeichnungen

Die Berner Künstlerin Mariann Grunder (*1926) ist vor allem als Bildhauerin bekannt. Ihre letzten grossen Präsentationen widmeten ihr das Centre PasquArt, Biel und das Kunsthaus Langenthal (2000). Die Solothurner Ausstellung fokussiert auf das zeichnerische Schaffen, das mit ausgesuchten Beispielen vom Frühwerk bis hin zu aktuellen Arbeiten gezeigt wird. Bei der weitgehend chronologisch gehängten Präsentation handelt es sich um die erste Übersichtsausstellung zu Mariann Grunders Zeichnungen.

Der erste Saal widmet sich dem Schaffen der 40er bis 70er Jahre. Die Ausstellung setzt mit frühen Porträts ein, die in ihrer Subtilität an Otto Meyer-Amden, in ihren offenen Schraffuren an Paul Cézanne erinnern. Schon hier zeigt sich die Fähigkeit der Bildhauerin, das Charakteristische von Raum, Form und Struktur zu erkennen und das Licht als wesentliches Element in die Gestaltung einzubeziehen. Auch wenn es sich bei den Exponaten der Ausstellung nur selten um eigentliche Bildhauerzeichnungen handelt, zeugt die Klarheit der Linie und das verdichtende Erfassen von der spezifischen Haltung und Sichtweise einer Bildhauerin. Bemerkenswert ist eine Serie, die 1960 im südfranzösischen Val d’Enfer entstanden ist. Die ausdrucksstarken Strichzeichnungen zeigen das Interesse der Künstlerin für den Reichtum der Strukturen, die sich in einer zerklüfteten Landschaft finden lassen.

Die wenige Jahre später in Berlin entstandenen Tusche- und Kohlezeichnungen (1965/66) erreichen die lineare Verdichtung gleichsam von der anderen Seite her: Während Mariann Grunder in ihren Landschaftszeichnungen aus Südfrankreich die dreidimensionale Wirklichkeit in einer bewusst flach gehaltenen zweidimensionalen Darstellung umsetzt, geht sie in ihren Zeichnungen aus Berlin von der zweidimensionalen Realität von Stadtplänen aus, die ihr als Zeichengrund dienen, um ihnen in einem Prozess des Überzeichnens einen illusionistischen Raum (zurück)zugeben. Im ersten Saal bildet ein Block von Selbstbildnissen aus allen Werkphasen einen Gegenpol zur weitgehend chronologischen Hängung. Sie decken einen Zeitraum von 60 Jahren ab und unterstreichen den reflexiven Charakter, der das ganze Schaffen bestimmt.

Dass Mariann Grunder nicht nur auf Papier, sondern auch auf Stein zeichnet, ist sowohl anhand von Ritzzeichnungen auf Steinen (in einer Vitrine ausgestellt) wie auch auf Schiefertafeln zu sehen. Diese sind im Zwischengang ausgestellt. In einem langsamen Arbeitsprozess gräbt sie eine klare Zeichnung in den harten Grund; manchmal lässt sie sich dabei von der natürlichen Äderung des Steins leiten. Vor allem bei den kleineren Kieselsteinen kommt es zu einem reizvollen Miteinander von natürlicher und kunstgewollter Zeichnung.

Im hintersten Saal sind Grunders Sprayzeichnungen der Jahre 1980 bis 85 zusammengefasst. Diese kühnen grossformatigen Blätter erinnern an die Würfe des Graffity und sind doch entschieden als Bilder konzipiert: Hell und Dunkel, Positiv- und Negativformen, Abstraktion und Gegenständlichkeit sind sorgfältig ausgewogen.

Im letzten Saal sind die 1996 und 2004 entstandenen Abriebe zu sehen, die wiederum vom Interesse für Strukturen ausgehen. Die zufällig in Kunststoff- und Betonböden entdeckten Schleif- oder Gussspuren motivierten die organisch anmutenden Werke. Dass der Zufall als "Zeichner" ins Spiel kommen darf, spricht für die unprätentiöse Frische, mit der Mariann Grunder seit jeher konventionelle Kunstansprüche unterläuft. Von derselben Nonchalance zeugen die neuesten Zeichnungen von 2007, für die die heute 82jährige farbige Klebebänder verwendet, um die Silhouetten von Körpern und Formen zu "zeichnen". Die an einer langen Wand aufgereihten grossformatigen Blätter zeugen von der ungemeinen Kraft und Kreativität der Künstlerin.
Christoph Vögele


Mariann Grunder - Zeichnungen
5. Juli bis 5. Oktober 2008
Graphisches Kabinett