Maos Mango

Im Herbst 1968 herrschte in ganz China das "Mango-Fieber". Die exotische Frucht war allgegenwärtig: Mangos aus Wachs wurden in Glaskästen ausgestelt und nahezu religiös verehrt; Mangos aus Pappmaschee wurden in der Nationalfeiertagsparade mitgetragen und symbolisierten einen politischen Machtwechsel, und bald erschienen Darstellungen von Mangos auf Bettbezügen, Geschirr und anderen Gebrauchsgegenständen.

Wie konnte aus einer einfachen Frucht ein funktionierendes politisches Propagandasymbol werden? Wie verwandelte sich die Mango in ein emotionsgeladenes Objekt höchster Verehrung? Die Ausstellung "Maos Mango -– Massenkult der Kulturrevolution" erzählt diese ungewöhnliche Geschichte. Ende Juli 1968 stand China vor einem politischen Wendepunkt. Zwei Jahre zuvor hatte Mao Zedong die Leitung der Grossen Proletarischen Kulturrevolution in die Hände der Schüler und Studenten gelegt. Sie sollten die bestehende Ordnung über den Haufen werfen, die alten Traditionen ausmerzen und eine neue Gesellschaft schaffen – und dabei gleichzeitig Maos Gegner in der höchsten Parteispitze entmachten. Die jungen Leute gingen enthusiastisch zur Sache – und stürzten in wenigen Monaten das ganze Land ins Chaos.

Die Angriffe der Roten Garden, die sich primär aus revolutionären Schülern, Studenten und Arbeitern zusammensetzten, wandten sich nicht nur gegen alle Autoritäten, innerhalb kürzester Zeit bildeten sie auch verschiedene Fraktionen, die sich blutige Machtkämpfe lieferten. Mit immer härteren Massnahmen versuchte Mao, die Revolutionäre unter einer Oberaufsicht zu einen. Im Juli 1968 hatten sich die meisten Anhänger der Roten Garden durch zum Teil gewalttätigen Einsatz von Armeetruppen und "Erziehungsprogrammen" Maos Diktat gefügt. Nur an der renommierten Qinghua-Universität in Beijing eskalierten die Fraktionskämpfe zu einem kriegsähnlichen Zustand. Um die Studenten zur Raison zu bringen, liess Mao am 27. Juli 1968 mehrere tausend unbewaffnete Arbeiter als sogenannte "Arbeiter- und Bauernpropagandatrupps zur Verbreitung der Mao-Zedong-Ideen" in die Qinghua-Universität einmarschieren.

Eine Woche später, am 4. August, erhielt Mao Zedong als Gastgeschenk des pakistanischen Aussenministers eine Kiste mit Mangos. Am nächsten Tag liess er die Früchte an die Qinghua- Universität bringen und den dort stationierten Propagandatrupps übergeben. Die Gabe rief unter den Arbeitern wahre Begeisterungsstürme hervor. Die unbekannten Früchte wurden über Nacht zum "wertvollen Geschenk" Maos, zum Zeichen seiner Güte, zum quasi-religiösen Verehrungsobjekt des Grossen Vorsitzenden. Ihre ursprüngliche Herkunft wurde völlig ausgeblendet. Dagegen wurde die politische Botschaft, die mit dem Geschenk verbunden war, klar verstanden und diskutiert: Die Studenten hatten abzutreten und die Arbeiterklasse sollte nun die treibende Kraft hinter der Kulturrevolution sein und die Führung "in allem" übernehmen.

Maos Politstrategen verbreiteten Symbol und Botschaft in kürzester Zeit im ganzen Land. Die Mangos wurden in die Provinzen transportiert und ausgestellt. In den Paraden zum Nationalfeiertag nahmen Themenwagen mit riesigen Mangos aus Pappmaschee einen zentralen Platz ein. Nachbildungen von Mangos in Glasschreinen wurden an verdiente Arbeiter verteilt und Ansteckplaketten mit Maos Konterfei über einer Schale mit Mangos hergestellt. Abbildungen von Mangos tauchten in Stoffmustern auf und zierten Haushaltsgeschirr. Für ein Jahr war die Mango ein beliebtes Symbol. Dann verschwand sie sang- und klanglos aus dem Propagandarepertoire.

Die Ausstellung "Maos Mango -– Massenkult der Kulturrevolution" erzählt diese Geschichte anhand von über 60 Objekten. Schon im August 1968 erschienen Darstellungen von Mangos auf Emailtassen, Tabletts und Bettdeckenbezügen. Die Bevölkerung wetteiferte damit, sich mit den politisch korrekten Objekten zum umgeben. Die billigste Art, seine Parteitreue zu zeigen, waren Ansteckplaketten. Sie wurden entweder von der Arbeitseinheit ausgegeben, oder konnten für wenig Geld erstanden werden. Mangos zierten aber auch Spiegel, Schreibmäppchen und Schulmalbücher. Anhand dieser Objekte lassen sich die vielfältigen Facetten des Mango-Kultes ablesen.

Auffällig ist die religiöse Komponente des Symbols. Die Mango wurde einer heiligen Reliquie gleich in einen Glasschrein gebettet, sie wurde in Prozessionen herumgetragen und bestaunt oder auf einem altarähnlichen Tisch an einem zentralen Ort des Hauses – gemeinsam mit anderen Mao-Devotionalien wie Statuen und Bildern – aufgestellt. Die Mango, die sich Mao persönlich vom Mund abgespart hatte, wurde zum Zeichen seines Mitgefühls und seiner Liebe zum Volk. Die kaum bekannte Frucht wurde auch mit dem Pfirsich gleichgesetzt, der traditionell als Symbol der Unsterblichkeit galt. So wurden Zigaretten der Marke "Mango" zu den beliebtesten Rauchwaren, da sie als besonders gesund galten. Als politisches Symbol erscheint die Mango vor allem mit der Parole "Die Arbeiterklasse muss in allem die Führung innehaben" und steht damit für einen einschneidenden Machtwechsel.

Auch wenn die Arbeiter in der Propaganda in den Vordergrund gestellt werden, ist es in Wirklichkeit die Armee, die nun die Fäden in der Hand hat. Nach zwei Jahren Chaos und Anarchie wird die Kulturrevolution ab Sommer 1968 von Parteikadern mithilfe der Armee geleitet. Auch wenn die militärische Beteiligung nicht offen dargelegt wird, lässt sie sich bei einigen der ausgestellten Objekte erkennen.

Die ungewöhnliche Sammlung von Mango-Objekten wurde dem Museum Rietberg 2011 von Alfreda Murck geschenkt. Die amerikanische Kunsthistorikerin und Spezialistin für traditionelle chinesische Tuschemalerei war der Geschichte der Mango erstmals 2003 auf den Antiquitäten- und Flohmärkten Beijings begegnet. Seitdem hat sie das Thema nicht mehr losgelassen und sie hat über Jahre hinweg Mango-Objekte aufgespürt und Informationen zusammengetragen. Als Co-Kuratorin der Ausstellung und Herausgeberin des Kataloges unterstützt sie das Museum mit ihrem Spezialwissen.

Speziell für diese Ausstellung wurde ein Film produziert, in dem Zeitzeugen über ihre persönlichen Erfahrungen mit der Mango berichten. Zur Sprache kommt der Kommandeur eines Arbeiterpropagandatrupps, der von den blutigen Kämpfen beim Einmarsch in die Universität berichtet, später als Ultra-Linker ins Gefängnis wanderte und seinen Glauben an die Revolution verlor; der Techniker, der während der Kulturrevolution wegen seiner bourgeoisen Familienherkunft gebrandmarkt wurde und durch das Geschenk der Mango ein kleines bisschen Anerkennung erhielt; oder die Ärztin, die als Kind ihre Kameraden so sehr um deren Mango-Nachbildung beneidete...

Die Geschichte der Mango mag auf den ersten Blick kurios erscheinen. Die Ausstellung entschlüsselt die innere Logik dieses Propagandasymbols und zeigt auf, warum die Mango sowohl als Träger einer politischen Botschaft als auch als emotional ansprechendes Identifikationsobjekt so gut geeignet ist. Sie dient so auch als Fallbeispiel für die Mechanismen von Propaganda im Allgemeinen und sensibilisiert uns für ähnliche Vorgänge in unserem eigenen Alltag. Denn seien wir ehrlich, auch um uns herum treffen wir in der kommerziellen oder der politischen Werbung auf so einige Symbole, die an sich völlig absurd sind und doch überraschend gut funktionieren.


Katalog: "Maos Mango – Massenkult der Kulturrevolution." Herausgegeben von Alfreda Murck, Verlag Scheidegger & Spiess. Gebunden, 238 Seiten, ca. 80 Farbabbildungen
20 x 28 cm, ISBN 978-3-85881-367-1; CHF 39 | EUR 34

Maos Mango
Massenkult der Kulturrevolution
15. Februar bis 16. Juni 2013