27. März 2007 - 11:49 / Walter Gasperi / Filmriss
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Ein 50-jähriger Gerichtsvollzieher entdeckt nochmals das Leben und die Liebe. – So einfach die Geschichte, so bestechend Stéphane Brizés zwischen Ernst und Komödie balancierende lakonische Inszenierung. – Ein wunderbar zurückhaltendes, warmherziges, aber nie sentimentales Kleinod, das man einfach lieben muss.

Schwer atmend steigt Jean-Claude (Patrick Chesnais) das Stiegenhaus hinauf, klingelt an einer Tür und fordert die Afrikanerin, die öffnet, auf die ausständige Zahlung zu begleichen. Für ihre Sorgen hat der 50jährige kein Verständnis. Er ist Gerichtsvollzieher. Für Mitgefühl ist da kein Platz: der Job formt den Menschen – entweder wird er gefühlskalt oder er sucht sich eine andere Beschäftigung. Zu Letzterem wird Jean-Claude seinen jungen Mitarbeiter im Lauf des Films auffordern.

Wenn der Arzt dem allein stehenden Mann erklärt, dass sein Herz schwach sei und er dringend Sport betreiben müsse, ist das nicht nur physisch sondern auch psychisch zu verstehen: Innerlich erkaltet, unfähig zu einem Gefühl und inaktiv ist der Protagonist dieses Films. Eine Einstellung, die Jean-Claude beim Kochen zeigt, und die kleine Bemerkung, dass er die Kanzlei als Gerichtsvollzieher von seinem Vater übernommen habe, reicht Stéphane Brizé um seinen Protagonisten zu charakterisieren. Dazu kommt Patrick Chesnais, der diesen Jean-Claude mit einem Stoizismus spielt, der dem von Bill Murray um nichts nachsteht.

Kongenial bringt Brizé aber auch Form und Inhalt zur Deckung: In starren langen und distanzierten Halbtotalen schildert er den Alltag. Musik gibt es hier keine. So wenig sich Jean-Claude bewegt, so wenig Bewegung ist im Film und kühl blickt der 40-jährige Regisseur von außen auf seinen Gerichtsvollzieher. – Hinsichtlich der Lakonie kann man hier durchaus an Aki Kaurismäki denken.

Mit dem Blick durchs Kanzleifenster in die gegenüberliegende Tanzschule ändert sich aber nicht nur Jean-Claude, sondern mit ihm auch langsam der Stil des Films. – Der Blick – sowohl der der Menschen, als auch der des Films - stellt nun immer wieder Kontakt zu den Mitmenschen her und erscheint als Auslöser von Beziehungen: Der Blick auf die Tanzschule ebenso wie der heimliche Blick des ständig meckernden Vaters aus dem Fenster des Altersheims, wenn sein Sohn nach dem sonntäglichen Besuch wieder abfährt.

Verkrampft tanzt Jean-Claude zunächst mit wechselnden Partnerinnen. Von der Starrheit löst sich die Kamera aber bald und folgt zunhemend bewegter, aber noch in Distanz dem Tänzer. Näher rückt sie erst, wenn er völlig versunken und gelöst mit der jüngeren, von der hinreißenden Anne Consigny gespielten Francoise tanzt. – Man sieht, wie Jean-Claude aufblüht, doch verbal kann das Paar, das kein Liebespaar ist, die Gefühle nicht ausdrücken: Alles läuft über Blicke und natürlich übers Tanzen, wobei die ebenso sehnsüchtigen wie melancholischen Tangos die Gefühlslage der Charaktere natürlich noch verstärken.

Doch auf ein Happyend, will diese Geschichte nicht hinauslaufen. Und als es zu einem Bruch in dieser zarten Beziehung kommt, vollzieht »Man muss mich nicht lieben« diese Wende auch wieder stilistisch nach: Die Blickkontakte gehen zurück, die Musik wird zurückgenommen, der Film wird stiller und wieder schaut Brizé in starren Einstellungen, die die Härte vermitteln, von außen auf Jean-Claude. - Aber noch ist freilich nicht aller Tage Abend und vielleicht gibt es ja doch noch eine Möglichkeit zur Befreiung, zu einem Lächeln, zum Tanz und zur befreiten Kamerabewegung.

Bewegend wird »Man muss mich nicht lieben« durch die konzentrierte und feinfühlige Inszenierung. Da wird auch Wert auf Details geteilt und eine kleine Szene wie die Wahl des Parfüms – ob »Passion Intense« oder »Rose de sable« (»Wüstenrose«) ist letztlich keine Frage des Duftes, sondern des Namens - wird zu einem für den Zuschauer beglückenden Moment. Gefühlvoll, aber durch die zurückhaltende Erzählweise nie sentimental, wunderbar nah an der Komödie und doch nur selten wirklich zum Lachen - einfach sehr menschlich ist diese Tragikomödie.

Ganz sanft wird hier über Erstarrung und Resignation auf der einen Seite und Aufbruch zu Neuem auf der Andern, über Einsamkeit und Freundschaft – und wo ist da die Grenze zur Liebe – reflektiert. In jeder Einstellung ist dabei Brizés Mitgefühl, seine Empathie für die Figuren zu spüren. – So verkehrt sich der Titel für den Zuschauer ins Gegenteil: Angesichts soviel Warmherzigkeit, Zärtlichkeit und Subtilität kommt er gar nicht umhin »Man muss mich nicht lieben« und seine Protagonisten zu lieben.

Die Meinung von Gastautoren muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. (red)



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