Mamma mia Deidamia!

1. August 2012 Rosemarie Schmitt
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Als er geboren wurde, war sein Vater bereits 63, die Mutter des Knaben war jedoch glücklicherweise knapp 30 Jahre jünger. Es war die zweite Frau, des bereits in die Jahre, doch noch nicht aus dem Alter gekommenen Herrn, die erste Frau war an der Pest gestorben. Es waren harte Zeiten damals, zum Ende des 17. Jahrhunderts in Halle, für die Männer, deren Frauen und wohl auch für die Kinder.

Es war das Jahr 1685 als jener Knabe Georg Friedrich, so wie auch Domenico und Johann Sebastian, von anderen Frauen in anderen Städten geboren wurden. Der Hallener Bengel hieß Händel, der kleine Italiener Scarlatti und der Eisenacher Knirps hieß Bach (2:1 für Deutschland!).

Die Vorstellung auf Musik verzichten zu müssen, ist für mich ein Albtraum! Ganz besonders tragisch wäre dieser Verzicht, wenn es die Musik von Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel beträfe. Dabei war bei Händel zunächst einmal in keiner Weise eine musikalische Ausbildung geplant. Er war keiner dieser Kinder aus musikalischem Hause, auf seine Gene war da kein Verlaß, jedenfalls nicht auf die bekannten. Doch sein Talent wurde entdeckt, war es doch so herausragend, daß es gar nicht unentdeckt bleiben konnte, und es war ganz offenbar eine Offenbarung!

Sein erste Tätigkeit als Musiker hatte er gar einem Alkoholiker zu verdanken, denn, es muß etwa 1702 gewesen sein, und Händel war zu jener Zeit eigentlich in einer Ausbildung zum Verwaltungsangestellten, als er gebeten wurde, für den Hallener Domorganisten einzuspringen, denn der war wieder einmal sturzbetrunken. Im darauf folgenden Jahr, Händel war 18, war er Geiger in der Hamburger Oper - und wieder mußte er einspringen, und zwar für den Cembalisten, weshalb weiß ich nicht, und auch ob jener ebenfalls soff ist mir nicht bekannt.

Der junge Georg Friedrich sprang sehr gerne ein, doch sprang er mitnichten immer, denn im Jahre 1704 hätte er die Chance gehabt, der Nachfolger des großen Organisten Dietrich Buxtehude in Lübeck zu werden. Die Voraussetzung: die in die Jahre gekommene und bis dahin von der Männerwelt verschmähte Tochter Buxtehudes zu heiraten! Und Händel sprang nicht! Johann Mattheson, ein zu jener Zeit in Hamburg hoch geschätzter Komponist (der übrigens ebenfalls diesen besagten Sprung nicht wagte) unterstützte Händel bei dessen ersten Kompositionen von Opernmusiken und zog sich damit einen Nebenbuhler erster Klasse heran. Und zwei Kater in einem Raum, dies kann auf Dauer nicht gut gehen, jeden Falls nicht, wenn sich beide breit machen und ihren Platz beanspruchen wie man es von Hirschen kennt, und zwar den ersten und besten Platz selbstverständlich.

Im Dezember 1704 wurde in der Hamburger Oper ein Werk von Mattheson aufgeführt. Dieser bestand darauf, bis zu seinem Tod (den auf der Bühne) seine Partie selbst zu singen, dann schleunigst und quicklebendig in den Orchestergraben zu hüpfen, um dort die Leitung des Orchesters vom Cembalo aus zu übernehmen. Am Cembalo jedoch saß Händel, und saß, und saß. Und blieb sitzen, obwohl Mattheson den Anspruch auf eben diesen Platz sehr deutlich machte. Macht nichts, dachte sich Händel vermutlich, und gab nicht nach. Nach sich zog sein Verhalten ein Handgemenge und ein Gefecht. An einem metallener Knopf von Händels Jackett glitt der Degen ab, so daß dieser unverletzt blieb. Am Ende des Abends jedoch vertrugen sich die beiden Kater wieder und besuchten gemeinsam schnurrend eine Probe von Händels erster Oper, die am 8.1. 1705 in Hamburg uraufgeführt wurde: "Almira", Königin von Castilien (HWV 1).

Es folgte ein Leben, aus dem man hätte fünfe machen können, eines, über das man Bücher schrieb, spannender wie so mancher Roman! Und es folgten, neben vielen anderen Kompositionen, die wohl schönsten Barockopern der Musikgeschichte. Zwischen der Hamburger Uraufführung seiner ersten Oper "Almira" (Händel war 20) und seiner zweiundvierzigsten Oper "Deidamia" (Händel war 55,) liegen 35 Jahre. "Deidamia" (HWV 42) wurde am 10. Januar 1741 in London uraufgeführt, wo Händel seit 1712 lebte.

Und 10 Jahre liegen zwischen der Aufnahme (2002) und Erstveröffentlichung und der Wiederveröffentlichung (2012) dieser Gesamtaufnahme von "Deidamia", mit der großartigen Simone Kermes in der Titelrolle, und dem Orchester Il Complesso Barocco unter der Leitung von Alan Curtis. Wer je Simone Kermes hörte, weiß, wie wunderbar und lebensbejahend die Barockoper sein kann, ja sein muß! Und welch ein geniales Team Alan Curtis und Simone Kermes sind, beweist wieder einmal jene Aufname von EMI, dem "Home of Opera" (Label: Virgin Classics).

Ein Auszug aus der Synopsis, die übrigens samt dem Libretto auf einer vierten CD der Gesamtaufnahme (3 CDs) beiliegt: "Das Orakel hat prophezeit, daß Achill sterben werde, wenn er am Trojanischen Krieg teilnimmt. Darum bemüht, dieses Schicksal abzuwenden, hat sein Vater Peleus ihn als Mädchen verkleidet und ihn in den Palast seines Freundes Lykomedes auf der Insel Skyros geschickt, wo er zusammen mit den Töchtern des Lykomedes erzogen wird und der Ältesten, Deidamia, in Liebe zugetan ist..."

Eine wunderbar komische und doch gleichzeitig ernsthaft interpretierte Geschichte, in der Simone Kermes mit Herz und Seele liebt, leidet und singt! Mamma mia Deidamia! Simone Kermes kann gar nicht anders, als hinreißend großartig sein!

Herzlichst (in diesem Falle sowas von!)
Ihre, Rosemarie Schmitt