In ihren Kunstwerken widmet sich Małgorzata Mirga-Tas den Lebenswelten der Rom:nja. In detailreichen, realistischen Darstellungen porträtiert sie alltägliche Szenen, wie das Rauchen einer Zigarette, das Spielen von Karten oder das Aufhängen von Wäsche. Im Kunsthaus Bregenz zeigt sie zudem Plastiken, die eigens für diese Räume geschaffen wurden. Sie greifen mythische Erzählungen auf und sind zugleich Sinnbilder der gegenwärtigen Conditio humana. Die Ausstellung trägt den Titel „Tełe Ćerhenia Jekh Jag” (Unter dem bestirnten Himmel brennt ein Feuer).
Internationale Bekanntheit erlangte Mirga-Tas im Jahr 2022 auf der Biennale in Venedig, wo sie den Polnischen Pavillon mit großflächigen Textilarbeiten auskleidete. Drei Bildregister zitieren Monatsdarstellungen, die von einem berühmten Freskozyklus der italienischen Renaissance inspiriert sind: dem Kalender im Palazzo Schifanoia in Ferrara. Die Tierkreiszeichen in der Mitte des Werks werden von fast lebensgroßen Porträts flankiert. Der obere, farbenprächtige Fries berichtet von der Geschichte der Rom:nja und ihrem Auszug nach Europa. Es ist eine Erzählung über Migration und nomadisches Leben, die in der Darstellung historischer Kleidung, der Tiere und weitläufiger Landschaften lebendig wird. Das untere Register zeigt Alltagsszenen der Gegenwart: Gemeinschaft, Weiblichkeit, Freundschaft und Familie.
Indem die Rom:nja-Gemeinschaft ihre eigenen Erzählungen zurückerobert, bricht sie mit den jahrhundertealten Fremdbildern, die von Teilen der Gesellschaft auf sie projiziert werden. Die Technik der Stoffcollage knüpft an die Handwerkskunst der Rom:nja an. Doch Mirga-Tas’ textile Kunst ist weit mehr als eine Hommage an traditionelle Frauenarbeit. Sie erhebt das Nähen in den Rang einer politischen Praxis. In einem Bild ist ein Selbstporträt zu sehen, das sie im Freien gemeinsam mit anderen Frauen beim Nähen zeigt. Diese Frauenfiguren sind keine passiven Akteur:innen, sondern Protagonist:innen ihres eigenen Lebens. In ihrer Kunst erscheint Arbeit nicht als Last, sondern als Quelle von Identität und Gemeinschaft.
Im ersten Obergeschoss des Kunsthauses Bregenz befinden sich die Jangare, große Figuren aus Wachs, „die Charme versprühen, aber auch die Menschen beschützen”, wie Mirga-Tas erklärt. Im Gegensatz zu den farbenprächtigen Stoffarbeiten sind diese Skulpturen monochrom. Obwohl sie aus weichem, formbarem Material gefertigt sind, wirken ihre Körper massiv und bleiern. Ihre abstrakten Muskelstrukturen erinnern an archaische Standbilder der Antike oder an Idole propagandistischer Kunst. Doch die Jangare sind keine Heldenfiguren. Sie sind gesichtslose, stumme Gefährten in leicht gebeugter Haltung.
Ihr expressiver Stil lässt ihre Verletzlichkeit erahnen. Im Hintergrund hängen Textilbilder, die Häuser und Frauen zeigen, die Jangare nähen und weben – eine magische Verbindung von Textilkunst und skulpturaler Präsenz.
Im zweiten Obergeschoss widmet sich Mirga-Tas dem Bild des Schmieds, das von einem Gedicht des Rom:nja-Dichters Jan Mirga inspiriert wurde. „Mein Großvater war Schmied“, erzählt sie, „deshalb gibt es hier ein Porträt von ihm und meinem Onkel Augustin.“ Das Gedicht beschreibt nicht nur das Schmiedehandwerk, sondern nutzt es auch als Metapher für das Schicksal der Rom:nja. Es spricht von einem Klumpen ausdruckslosen Eisens, aus dem am Feuer eine neue Form geschmiedet wird – eine Allegorie auf die Widerstandskraft der Romnja-Kultur. Trotz widriger Umstände, Armut und Ausgrenzung entstehen Kraft und Erneuerung. Die Werkzeuge – Hacken, Äxte, Hufeisen – stehen für handwerkliches Geschick, symbolisieren aber auch Überlebenskunst und Anpassungsfähigkeit. Auch andere klassisch poetische Motive werden aufgegriffen: der Tanz, der Mond, Sehnsucht und Melancholie, aber auch Freiheit und Rausch. Nicht zuletzt kommt der Wanderfalke zur Sprache, der in vielen Werken von Mirga-Tas ein wiederkehrendes Sinnbild für Ungebundenheit, Stolz und Energie ist.
Das oberste Geschoss entführt in eine Welt der Magie. Hier begegnen wir drei monumentalen Bären aus Wachs. Diese mythischen Wesen finden sich auch in anderen Arbeiten wieder, entweder eingebettet in Landschaften oder als tierische Freunde in der Nähe von Menschen. Die Natur erscheint hier als Idylle und zugleich als Resonanzraum für Geschichten, in denen sich Traum, Ritual und Erinnerung verbinden.
Mit ihrer Kunst schafft Mirga-Tas eine einzigartige Bildsprache, die Geschichte und Gegenwart, Handwerk und Konzept sowie individuelle Erzählung und kollektives Gedächtnis verbindet. Sie erzählt von Identität, Widerstand und einem Leben, das sich trotz aller Widrigkeiten immer wieder neu formt.
Małgorzata Mirga-Tas (*1978 in Zakopane) lebt und arbeitet in Czarna Góra. In ihren Arbeiten nimmt die Künstlerin eine feministische Perspektive ein, die sich aus ihrer kulturellen Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit herleitet. 2022 bespielte sie den Polnischen Pavillon auf der 59. Biennale di Venezia und war damit die erste Romni-Künstlerin, die ein Land vertrat.
Małgorzata Mirga-Tas
Tełe Ćerhenia Jekh Jag
7. Juni bis 28. September 2025