Magische Reisen durch Raum und Zeit: Theo Angelopoulos

26. März 2012 Walter Gasperi
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Wie Monolithe stehen Filme wie "Die Wanderschauspieler", "Der Bienenzüchter", "Der Blick des Odysseus" oder "Die Ewigkeit und ein Tag" in der Filmgeschichte. In ihren langen, vorwiegend in Blau- und Grautöne getauchten Plansequenzen sind sie unverkennbar Werke des Griechen Theo Angelopoulos. Das österreichische Filmmuseum und das Filmpodium Zürich widmen dem am 24. Januar 2012 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Meisterregisseur im April Retrospektiven.

Mögen seine beiden letzten Filme "Eleni – Die Erde weint" und im Speziellen "The Dust of Time" auch keine Begeisterung mehr ausgelöst haben, so saß der Schock über die Nachricht vom Tod von Theo Angelopoulos doch tief.

Angelopoulos starb an den Folgen eines Verkehrsunfalls, bei dem ein Motorradfahrer ihn während der Dreharbeiten zu seinem neuen Film "Das andere Meer" angefahren hatte. Nun soll Angelopoulos´ Tochter Eleni den Film vollenden, in dem er die aktuelle Situation Griechenlands auf seine Weise verarbeiten und gleichzeitig seine gewaltige Trilogie über das 20. Jahrhundert abschließen wollte.

Auch wenn sich in seinen letzten Filmen die einzelnen Teile nicht zu einem Ganzen fügten, die Weltgeschichte und das Private nicht zusammenfließen, mag "The Dust of Time" in vielem nur noch wie ein Schnelldurchlauf durch die Weltgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirken, so gelangen dem großen Griechen doch auch hier unvergessliche Szenen, wenn er beispielsweise in atemberaubenden Tableaux die Reaktion der Menge auf die Nachricht von Stalins Tod einfängt.

Seine große Zeit hatte Angelopoulos aber zweifellos in den 1970er und 1980er Jahren als er ebenfalls mit zwei Trilogien zu den Giganten des Weltkinos zählte.

1935 geboren, brach er ein Jus-Studium 1957 ab und begeisterte sich bald für die Filme von Kurosawa, Antonioni, Bergman und Godard. 1961 ging er nach Paris, wo er an der IDHEC Film zu studieren begann, wurde aber nach einem Jahr als renitent entlassen, weil er sich weigerte auf einen eigenwilligen Kreiselschwenk zu verzichten. So kehrte er 1964 wieder nach Griechenland zurück, schrieb Filmkritiken und gründete eine Filmzeitschrift.

Nach einem Kurzfilm drehte er 1970 mit "Rekonstruktion" seinen ersten Spielfilm. Nach James M. Cains Kriminalroman "The Postman Always Rings Twice", der schon Luchino Visconti bei seinem Debüt "Ossessione" als Vorlage gedient hatte, erzählt Angelopoulos von einem Mann, der nach Jahren als Gastarbeiter in Deutschland in seine Heimat zurückkehrt, dort aber von seiner Frau und ihrem Geliebten ermordet wird.

So finden sich schon hier Themen, die das gesamte Werk des Griechen bestimmen: Immer wieder wird es um die Suche nach Heimat gehen, immer wieder wird er sich – wie hier an der mythologischen Atriden-Geschichte – an der griechischen Mythologie orientieren, wird immer wieder von einem Odysseus erzählen.

Auf "Die Tage von 36" (1972), in dem es vordergründig um eine Kriminalhandlung aus der Metaxa-Diktatur der 1930er Jahre geht, aber deutlich auf die Obristen-Dikatur der Entstehungszeit des Films angespielt wird, folgte mit dem fast vierstündigen "Die Wanderschauspieler" (1974) ein monumentales Meisterwerk.

In bis zu zehnminütigen grandiosen Plansequenzen erzählt Angelopoulos von einer Theatergruppe, die zwischen 1939 und 1952 durch Griechenland tingelt und dabei in die politischen Umwälzungen hineingezogen wird. Untrennbar verknüpft sind dabei Privates und Öffentliches, die Grenzen der Zeit werden mehrfach aufgehoben und in einer scheinbar ungeschnittenen Einstellung wird zehn Jahre zurückgeblendet. Keine durchgängige Chronologie wird dabei entwickelt, sondern Angelopoulos beschränkt sich auf markante Szenen, die er breit ausformuliert, historische Fakten lasst er dagegen die Schauspieler mehrfach minutenlang direkt in die Kamera referieren.

Wie "Die Wanderschauspieler" zusammen mit "Die Tage von 36" und "Die Jäger" (1977) die "Trilogie der Geschichte" bilden, so folgte in den 1980er Jahren die so genannte "Trilogie des Schweigens". Ungleich privater als die Werke der 70er Jahre sind diese Filme, folgen einem oder zwei Protagonisten durch das Griechenland der Gegenwart. In "Reise nach Kythera" (1983) gibt es wieder einen Heimkehrer, der keine Heimat findet und am Ende mit seiner Frau auf einem Floss über das blaugraue Meer unter blaugrauem Himmel ins Nirgendwo treibt.

Auf dieses "Schweigen der Geschichte" folgte mit "Der Bienenzüchter" (1986) das "Schweigen der Liebe". Wie die Wanderschauspieler reist der alternde Bienenzüchter quer durch Griechenland, findet aber außer einer kurzen intensiven Liebesbeziehung zu einer jungen Frau keinen Lebenssinn, sodass er sich schließlich von seinen Bienen auf einer Anhöhe über der Stadt, in der er geboren wurde, zu Tode stechen lässt.

Eine Reise steht auch im Zentrum von "Landschaft im Nebel" (1988), in dem Angelopoulos zwei Kinder auf die Suche nach ihrem Vater schickt. Trotz bedrückender Erfahrungen steht hier – mag Gott auch schweigen - am Ende dennoch nicht der Tod, sondern eine leise Verheißung.

Die Reise ist das zentrale Motiv, das sich durch viele Filme von Angelopoulos zieht, doch ungleich langsamer als in anderen Filmen dieses Genres ist der Erzählrhythmus. Immer wieder verweilt die Kamera minutenlang oder holt zu grandiosen Schwenks aus. Obwohl der Grieche mit diesen Plansequenzen dem Zuschauer Zeit lässt, auch auf Details zu achten, spart er gleichzeitig viel aus, lässt die Kamera oft ins Leere blicken, während sich die Handlung im Off abspielt und nur über den Ton erzählt wird.

Durch die Plansequenzen rückt aber auch die Totale an die Stelle der Großaufnahme und die Umwelt gewinnt an Bedeutung. Kein sonniges Urlaubsland wird hier präsentiert, sondern graublau sind die Bilder meist und oft regnet es in den Filmen von Angelopoulos im mediterranen Urlaubsland.

Seit "Der Bienenzüchter" werden die Filme auch zunehmend von großen Stars des internationalen Kinos bestimmt. Marcello Mastroianni drückt dem Bienenzüchter den Stempel auf und trägt mit seiner intensiven Darstellung viel zur Geschlossenheit und Dichte des Films bei. Wiederum Mastroianni und Jeanne Moreau spielen in "Der schwebende Schritt des Storches" (1991) und in "Der Blick des Odysseus" (1995) reist schließlich Harvey Keitel als namenloser Filmregisseur – wiederum einer, der nach Jahren des Exils in seine Heimat zurückkehrt -, durch den vom Krieg verwüsteten Balkan.

Auf diesen zeitgeschichtlichen Film folgte mit "Die Ewigkeit und ein Tag" (1998), der in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, ein privates Werk, das universell und zeitlos um Leben und Tod kreiste.

Geschichte und Individuum verknüpfte er dagegen wieder in der nun unvollendeten Trilogie, die wie ein Gegenstück zu den drei Filmen wirkt, die am Anfang von Angelopoulos´ Karriere stehen. Von 1919 bis zur Jahrtausendwende folgte er in "Eleni - Die Erde weint" (2004) und "The Dust of Time" (2008) dem Paar Eleni und Spiros, arbeitete wieder die griechische Mythologie von Odysseus bis Antigone ein, schuf wieder magische Regen- und Wasserbilder, doch das letzte Bild dieses großen Regisseurs zeigt Schneefall am Brandenburger Tor.

Ausschnitt aus "Die Wanderschauspieler"