Ludwig Wittgenstein - Fotografie als analytische Praxis

Ludwig Wittgenstein (1889–1951) ist einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der umfassenden Ausstellung des Leopold Museum stehen nicht Wittgensteins bahnbrechende philosophische Schriften – allen voran sein frühes Hauptwerk Tractatus logico-philosophicus (1921) – oder deren Strahlkraft auf die bildende Kunst, sondern sein Interesse an der Fotografie.

Die Schau fokussiert anhand von mehr als 200 Objekten auf den Fotografen Wittgenstein, der sich als Autor, Sammler und Arrangeur von Fotografien betätigte und beleuchtet davon ausgehend auch biografische Aspekte und Bezüge zum Schaffen des Philosophen. Im Zentrum stehen seine praktische und theoretische Verwendung der Fotografie, sein tiefes Verständnis des Mediums in der ganzen Bandbreite seiner Facetten zwischen indexikalischer Spur und Artefakt, zwischen Erinnerungsstütze und epistemischem Vehikel, zwischen Evidenz und Lüge.

Die Verbindung von Wittgenstein zur Fotografie wurde bisher vor allem mit Fokus auf sein Fotoalbum, die Kompositfotografie und seine in einem Brief an Ludwig Hänsel formulierte Absicht, einen "Laokoon für Photographen“ zu schreiben, diskutiert. Die Perspektive der Ausstellung und die Möglichkeit, die Fülle des von Michael Nedo aufgebauten und geführten Wittgenstein Archive Cambridge wie auch relevante Bestände aus dem Trinity College und dem Brenner-Archiv unter dem Blickpunkt des Fotografischen zu befragen, ermöglichen nun einen Blick auch auf bisher weniger Beachtetes wie beispielsweise seine im Sommer 1936 mit einer Pocket Camera gefertigten Aufnahmen oder repräsentative Auszüge aus seiner Ansichtskartenkorrespondenz und aus seiner "Nonsense Collection".

Wittgensteins fotografische Praxis reicht vom eigenen Umgang mit der Kamera über die Konzeption, Kompilation und Montage von Aufnahmen, über das Beschneiden von Abzügen, das Kommentieren ihrer materiellen Qualitäten und das Versenden und Einfordern von Fotografien bis hin zum Formulieren von Präferenzen, Wertungen und Handlungsanweisungen für deren Betrachtung.

Die Ausstellung setzt Wittgensteins Fotografien mit der fotografischen Praxis und Theorie zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstlern wie Vito Acconci, Miriam Bäckström, John Baldessari, Gottfried Bechtold, Anna und Bernhard Blume, Christian Boltanski, Hanne Darboven, Ólafur Eliasson, Hans-Peter Feldmann, Günther Förg, Herbert W. Franke, Nan Goldin, Peter Handke, Heinrich Heidersberger, Peter Hujar, Anna Jermolaewa, Birgit Jürgenssen, Mike Kelley, Anastasia Khoroshilova, Friedl Kubelka, David Lamelas, Sherrie Levine, Sharon Lockhart, Inés Lombardi, Dóra Maurer, Trevor Paglen, Sigmar Polke, Timm Rautert, Gerhard Richter, Martha Rosler, Thomas Ruff, Norman Saunders, Alfons Schilling, Cindy Sherman, Katharina Sieverding, Margherita Spiluttini, Dominik Steiger, Sturtevant, Hiroshi Sugimoto, Andy Warhol, Gillian Wearing, Peter Weibel, Manfred Willmann, Otto Zitko, Heimo Zobernig u. a. in Dialog.

Ludwig Wittgenstein
Fotografie als analytische Praxis
12. November 2021 bis 6. März 2022