Ludwig van Beethoven, Hirnbesitzer

10. Dezember 2014 Rosemarie Schmitt
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Was denken Sie, kann man hören, ob ein Mann oder eine Frau das Klavier spielt? Der Gedanke kam mir, als ich die Aufnahme Kodamas von Beethovens Klavierkonzerten hörte. Mari Kodama ist eine Frau, und die Frau von Kent Nagano. Unter dessen Leitung (also er leitet das begleitende Orchester, nicht etwa seine Frau, glaube ich jedenfalls) Frau Kodama nun die kompletten Klavierkonzerte Beethovens (es sind derer 5) eingespielt hat (Berlin Classics / EDEL).

Mari Kodama schreibt zu der Aufnahme: "Beethoven komponierte wild, herzzerreißend, in jedem Falle revolutionär – nicht nur seine Sinfonien, sondern auch die fünf Klavierkonzerte, die er schuf. Es sind tatsächlich diese Tiefe seiner Kompositionen, die Ideen, die seiner Musik zugrunde liegen, und ihre Zeitlosigkeit, die meinen Mann Kent Nagano und mich immer wieder zu ihm hinziehen. Für uns beide ist Beethoven eine Art Lebensbegleiter, ein wichtiger Bezugspunkt unserer musikalischen Arbeit. Für jeden von uns auf unterschiedliche Weise. In dieser intensiven Zusammenarbeit entdeckten und erlebten wir Beethoven noch einmal anders – ungeheuer modern, provokant und unverhohlen fordernd in seinem Anspruch. Wir haben versucht, mit diesen Einspielungen der fünf Klavierkonzerte eine etwas andere Farbe in die recht düsteren Bilder Beethovens zu bringen. Ein wenig heller sollten sie werden, differenzierter schattiert."

Dieser Versuch ist durchaus sehr gelungen! Beethoven, der uns auf all seinen Gemälden, Statuen oder Büsten stets von seiner etwas grimmigen und düsteren Seite präsentiert wird, war andererseits ziemlich helle! Außerdem konnte er mitunter durchaus witzig sein. Einer seiner Brüder, der allzu gerne darauf hinwies, über einen gewissen Reichtum zu verfügen, unterzeichnete die Briefe an Ludwig van Beethoven mit: "J.v. Beethoven, Gutsbesitzer". Worauf der Komponist in einem Antwortbrief mit folgender Unterschrift konterte: "Ludwig van Beethoven, Hirnbesitzer".

Ein Jahr nachdem sein Konzert für Klavier und Orchester Nr.1 in Wien uraufgeführt wurde, äußerte sich Beethoven über seine Klaviersonate Nr. 16 G-Dur op. 31 Nr. 1, die in den Jahren 1801 und 1802 entstand: "Ich bin nur wenig zufrieden mit meinen bisherigen Arbeiten: von heute an will ich einen neuen Weg einschlagen." (1801 / Beethoven war 30, gegenüber dem Geiger W. Krumpholz) Im gleichen Jahr schrieb er in einem Brief an seinen Freund Carl Friedrich Amenda: "…denn Dein Beethoven lebt sehr unglücklich; wisse, dass mir der edelste Teil mein Gehör sehr abgenommen hat…nun ist es immer ärger geworden; ob es wird wieder können geheilt werden, das steht noch zu erwarten." Und an den Mediziner und Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler: "Seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil’s mir nun nicht möglich ist, den Leuten zu sagen: ich bin taub. Hätte ich irgendein anderes Fach, so ging’s noch eher; aber in meinem Fach ist das ein schrecklicher Zustand."

Was sein 3. Klavierkonzert betrifft, so glaubt man, seine Zerrissenheit und die Unzufriedenheit zu hören. Kämpferisch und heroisch, nicht nur wegen der Tonart c-Moll, scheinen die Parteien ihre Rollen zu verteidigen. Der Solist oder das Orchester? Wem gebühret am Ende der Applaus, wem der Sieg? Wer hat das Sagen? Gegen die Virtuosität der Pianistin Mari Kodama hat dieses Orchester keine Chance. Dies ist selbstverständlich im metaphorischen Sinne zu verstehen, denn das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin lässt sich erstklassig auf dieses von Beethoven inszenierte Spiel ein. 1803 wurde dieses Konzert in Wien zum ersten Mal aufgeführt. Im Juni 1804 vermerkte Beethoven in seinem Skizzenbuch: "Finale immer simpler – alle Klaviermusik ebenfalls. – Gott weiss es, warum auf mich noch meine Klaviermusik immer den schlechtesten Eindruck macht, besonders wenn sie schlecht gespielt wird."

Ich bin davon überzeugt, dass dem musikalischen Genie seine Klaviermusik, gespielt von Mari Kadoma, einen sehr guten Eindruck gemacht hätte! Im Juni 1811, Beethoven war 40, notierte er ebenfalls in dieses Skizzenbuch: "Baumwolle in den Ohren am Klavier benimmt meinem Gehör das unangenehm Rauschende." Im gleichen Jahr wurde sein 5. Klavierkonzert (es war am 28.11.1811) uraufgeführt. Es ist besonders dieses 5. Klavierkonzert, welches für mich so viel Positives hat. Es klingt wie Verliebtheit, als sei es voller Lebensfreude, die indes ungeheure Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit vermittelt. Liegt es etwa an der Komposition, oder daran, dass es eine Frau ist, die diese interpretiert? Ich weiß es nicht, aber mir gefällt sehr, wie die Pianistin Mari Kodama sich an Beethoven "herantastet". Sie ist eine herausragende Musikerin, die mit ihrem musikalischen Feingefühl und einer unglaublichen Virtuosität überzeugt! Ihr Erfolg kommt nicht von ungefähr!

Ich bin sehr gespannt, wie sich die nächste Pianistin aus dem Hause Nagano musikalisch entwickelt. Karin Kei Nagano (16 Jahre), die Tochter von Kent Nagano und Mari Kodama, erobert just die Bühnen der Welt. Und, was denken Sie, kann man hören, ob ein Mann oder eine Frau das Klavier spielt?

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt