Lois Weinberger - Basics

Lois Weinberger gilt als Vordenker einer anderen, künstlerischen Ökologie. Ab den 1990er-Jahren prägte er den Diskurs über das Verhältnis von Natur und Kultur wesentlich mit, seine künstlerische Praxis bezeichnete er als poetische Feldarbeit. Das Belvedere 21 präsentiert mit Basics die letzte Ausstellung, für die Lois Weinberger noch bis kurz vor seinem unerwarteten Tod im April 2020 eine Auswahl von Arbeiten und Texten zusammengestellt hat. Mehr als einhundert Werke von den 1970er-Jahren bis 2020 sind im Innen- und Außenraum des Museums zu sehen, fast alle davon erstmals in Wien.

Lois Weinberger (1947–2020) war ein früher und visionärer Kritiker der Verwerfungen des Anthropozäns – jenes Zeitalters, in dem der Mensch den entscheidendsten Einfluss auf die Erde ausübt. In seinem künstlerischen Werk behandelte er existenzielle Fragen zum Verhältnis von Mensch und Welt: Was begründet unser Sein? Welche Bedeutung haben kulturelle Prägung, persönliche und familiäre Geschichte, geografische Gegebenheiten? Welche Auswirkungen hat die Entfremdung von der Natur? Sind Kultur und Natur überhaupt ein Gegensatzpaar? Können wir unser Sein außerhalb der Natur denken?

Lois Weinberger zog aus einem Tiroler Bauernhof aus, um vom Kunstschmied und Schlosser zum Schauspieler und schließlich zum bildenden Künstler zu werden. Seine Sozialisation erfolgte vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung und in Zeiten eines kulturellen Umbruchs. Er bahnte sich in seiner Arbeit zwischen Minimal Art, Land Art, Wiener Gruppe, Surrealismus und Jungen Wilden seinen eigenen Weg einer Konzeptkunst. Zwischen ironischem Schamanismus und strikt konzeptuell gedachter, aber immer auch poetischer Herangehensweise zeigen seine Werke die Grenzen menschlicher Handlungsmacht auf. Sie machen unsere vermeintliche Überlegenheit über die Umwelt als Illusion erfahrbar. Mit einer "präzisen Achtlosigkeit" hinterfragen Weinbergers Arbeiten unsere ethischen Maßstäbe und stellen ihnen scheinbar Randständiges, Nutz- und Wertloses gegenüber. Dabei bringen sie einen alles umfassenden, unvermeidbaren Kreislauf aus Werden und Vergehen lustvoll zum Ausdruck.

Die Ausstellung des zweifachen documenta-Teilnehmers erstreckt sich über das Erdgeschoss sowie den Skulpturengarten des Belvedere 21 und umfasst Arbeiten auf Papier, Fotografien, Skulpturen und Objekte, Malerei, zwei Videos sowie sechs Installationen im Außenbereich. Sie ist nicht als Retrospektive angelegt, auch wenn Arbeiten aus den letzten Jahrzehnten versammelt sind. Vielmehr ist die Schau als dynamisches Gebilde aus Querverbindungen und Beziehungen zu sehen, als Flechtwerk, das die Besucher_innen einlädt, verschiedenen gleichberechtigten Erzählsträngen durch Lois Weinbergers Œuvre zu folgen. Ab Herbst 2018 arbeitete der Künstler an der Konzeption dieser Ausstellung – seiner zweiten im Pavillon von Karl Schwanzer –, bis er am 21. April 2020 unerwartet verstarb. Franziska Weinberger, die ihm seit den 1990er-Jahren künstlerisch und privat zur Seite stand, nahm seine Ausstellungsideen auf und setzte sie gemeinsam mit Kurator Severin Dünser zu einer Schau in seinem Sinne um. Den Titel "Basics" legte noch Lois Weinberger fest, entlehnt ist er seiner Arbeit "Basics – die Idee einer Ausdehnung": Sieben Skulpturen, aus Holzstücken und einem Erdgemisch geknetet, liegen wie unfertige Golems da und harren ihrer Gestaltwerdung.

Eine Art Leitmotiv ist der "Grüne Mann", eine Figur, die in der christlichen Sakralarchitektur immer wieder auftaucht. Im Motiv des Gesichts, aus dem Blätter sprießen, werden Mensch und Pflanze zu einem Mischwesen vereint. Der Archetyp lässt mehrere Deutungsmöglichkeiten zu – von Vorstellungen eines heidnischen Waldgotts, der für eine Symbiose zwischen Mensch und Natur steht, hin zum Waldgeist, der im Gegensatz zum Licht der christlichen Offenbarung die dunkle, ungebändigte und gefährliche Natur verkörpert. Oder der von Pflanzen überwucherte Kopf als Memento mori, das uns die Vergänglichkeit allen Seins in Erinnerung ruft. Im Selbstporträt von Lois Weinberger, seinem Werkblock mit Aquarellen und einem Objekt, alle "Green Man" betitelt, sind die wesentlichen Themen seiner künstlerischen Arbeit gebündelt. Lois Weinberger geht es nicht um eine versöhnliche Rückkehr zur Natur, er begreift die Wurzeln des Problems als viel tiefer liegende Fragen des menschlichen Selbstverständnisses. Kultur und Natur sieht er dabei nicht als Gegensatzpaar.

"Skulptur La Gomera" zeigt einen Strauch, auf dem Schuhsohlen hängen, sie könnte im Sinne des Surrealismus interpretiert werden. Doch handelt es sich eigentlich um eine realistische Darstellung, in der menschliche Erzeugnisse ganz selbstverständlich – als wären sie Blätter oder Früchte – von einer Pflanze getragen werden. Die Arbeit ist zum ersten Mal öffentlich ausgestellt.

Die Installation "Laubreise" ist in Zusammenarbeit mit Lois' Frau Franziska Weinberger für die Biennale in Venedig 2009 entstanden, für die Ausstellung wurde dazu eine Filmdokumentation produziert. "Laubreise" lenkt den Blick auf die Prozesse: Laub, Grünschnitt und Algen sind in dieser Arbeit zu einem Quader inmitten einer Holzhütte aufgetürmt, langsam wird dieser von Bodenorganismen zersetzt. Die Umwandlung von "Abfall" in nährstoffreichen Humus verdeutlicht dabei auf engem Raum die Kreisläufe aus Werden und Vergehen, denen auch die Menschen unterliegen.

Dem Verhältnis zwischen Wohnen und Sein innerhalb des Gebaut-Seins eines Hauses spürt Lois Weinberger in "Debris Field", einer rund eintausend Einzelstücke umfassenden Installation, nach. Rund siebenhundert Jahre Geschichte versammelt der Künstler darin in Form unzähliger Fundstücke, die er aus dem elterlichen Bauernhof in Stams geborgen hat. Mit seiner Freilegung erschließt er das "Trümmerfeld" seiner persönlichen Herkunft und bildet gleichzeitig ein System von Verweisen und Symbolen des bäuerlichen Alltags. "Debris Field" wurde 2017 erstmals bei der documenta in Athen und Kassel gezeigt. Die Atemschutzmaske, die Weinberger bei diesen Ausgrabungsarbeiten getragen hat, setzt der Künstler seiner erstmals präsentierten Skulptur "Bischof" auf. Die Religiosität, ein fester Bestandteil bäuerlichen Lebens nicht nur in Stams, wird in der Figur als verbindendes Element zwischen Kulturen dargestellt.

In "Home Voodoo I" vollführt Lois Weinberger ein Reinigungs- und Befreiungsritual, in dem sich lokales Brauchtum und familiäre Mythologie mit Voodoo, Katholizismus und Heidentum zu einer humoristischen Zeremonie verbinden.

Der Skulpturengarten des Belvedere 21 wird mit mehreren Arbeiten bespielt. Hier befindet sich seit 2012 der "Wild Cube". Mit einem hohen Stahlkäfig, in dem die Aufforstung durch Spontanvegetation ohne menschliches Zutun erfolgt, schuf Lois Weinberger buchstäblich einen "hortus conclusus" – einen verschlossenen Garten, aus dem die Menschen ausgesperrt sind. Er ist ein Asyl für Flora und Fauna und führt die ungebändigte Kraft der Natur vor Augen. Im Titel spielt Weinberger auf den Begriff "White Cube" an, angeblich die ideale Voraussetzung für die Präsentation zeitgenössischer Kunst.

Wegrandhäuschen hat Weinberger in Griechenland kennengelernt, wo sie nicht nur Gedenkstellen für Verunglückte sind, sondern auch Orte, an denen für Vorbeikommende Dinge bereitgestellt werden. Diesen selbstlosen Gedanken nimmt der Künstler für sein Wegrandhaus auf. Er stattet es mit Gedichten auf Zetteln aus, die man mit Borkenkäferwegen bedrucken kann – eine Anspielung auf Wanderpässe, in denen mit Gipfelstempeln zurückgelegte Wege dokumentiert werden.

Randzonen und Brachstellen interessierten Lois Weinberger, er sammelte im urbanen Raum Wildpflanzen, vermehrte sie auf einer angemieteten Freifläche und siedelte sie wieder aus. Der Brache wiederum entnahm er andere Pflanzen, die er in der Stadt aussetzte. So beschleunigte er Wanderbewegungen und wirkte willkürlich gezogenen Grenzen für Lebensräume entgegen. Eine durchaus politische Konnotation dieser Bewegungen unterstreicht Weinberger in seiner Werkserie "Portable Garden". Diese besteht aus mit Erde gefüllten PVC-Taschen, in denen von Wind und Tieren verstreute Samen eine Heimat finden. Die Behältnisse stellen einen Konnex zu Immigrant_innen her, die in diesen Kunststofftaschen oft ihr gesamtes Hab und Gut mit sich tragen.

"Hochhaus für Vögel" ist ein Kommentar zum menschlichen Rationalisieren von Wohnraum, das der Künstler auf die Welt der Tiere überträgt – eine Kritik an der Unwürdigkeit von Lebensumständen, die dem Motiv der Effizienzsteigerung unterliegen.

Lois Weinberger - Basics
2. Juli bis 24. Oktober 2021
Kurator: Severin Dünser