Locarno 2012: Stars, junges Kino und Filmgeschichte

Mit zahlreichen Ehrenpreisen und Hommagen will man beim 65. Filmfestival von Locarno (1. – 11.8. 2012) wieder Stars an den Lago Maggiore locken. Junge Filmemacher dominieren dagegen nicht nur wie gewohnt den Wettbewerb um den Goldenen Leoparden, sondern auch die prestigeträchtigen Vorführungen auf der Piazza Grande. Aber auch die Filmgeschichte wird gepflegt.

Schon am Eröffnungsabend des 65. Filmfestivals von Locarno wird auf der Piazza Grande der Excellence Award an Charlotte Rampling vergeben, zu deren Ehren die Filme "Der Nachtportier" und "Sous le sable" gezeigt werden. Mit einem Ehrenleopard wird in Locarno Leos Carax ausgezeichnet, von dem unter anderem sein neuester Film "Holy Motors" zu sehen sein wird. Den Raimondo Rezzonico Preis wiederum wird der Produzent Arnon Milchan entgegennehmen dürfen. Zu seinen Ehren werden unter anderem Sergio Leones "Once Upon a Time in America" und Terry Gilliams "Brazil" gezeigt.

Mit Preisen und Hommagen will man in Locarno aber nicht nur an die Filmgeschichte erinnern, sondern auch Stars zum Besuch des Festivals animieren. Ein Ehrenleopard wird an Johnny To, ein Life-Achievement-Award an Alain Delon vergeben, Ornella Muti wird ebenso wie Naomi Kawase und Harry Belafonte gelehrt. Zum 100. Geburtstag von Sam Fuller zeigt man "White Dog". Geschaffen hat man auch die neue Programmsektion "Histoire(s) du cinéma", in der Dokumentarfilme über das Kino, aber auch restaurierte Klassiker gezeigt werden. Kernstück des filmhistorischen Programms ist aber wie gewohnt die große Retrospektive, die heuer Otto Preminger gewidmet ist.

Aushängeschild des Festivals bleibt dennoch in erster Linie die Piazza Grande, auf der sich an warmen Sommerabenden bis zu 8000 ZuschauerInnen einfinden. Schwierig ist es hier immer den Mix aus anspruchsvollem und gleichzeitig unterhaltsamen Kino zu finden. Mit Steven Soderbergh hat der künstlerische Leiter Olivier Père zumindest einen Regisseur eingeladen, der diesen Spagat immer wieder glänzend schafft. Vom Amerikaner wird die Stripper-Geschichte "Magic Mike" zu sehen sein, die kurz darauf auch in den Kinos anlaufen wird.

Gespannt sein darf man, was Jonathan Dayton und Valerie Faris mit "Ruby Sparks" ihrem Überraschungshit "Little Miss Sunshine" folgen lassen, aber auch auf "Wrong" von Quentin Dupieux, der vor zwei Jahren mit "Rubber" das Festivalpublikum von Locarno begeisterte, und auf "Lore", mit dem die Australierin Cate Shortland ihren ersten Film seit ihrem gefeierten Debüt "Somersault" vorlegt.

Die Schweiz ist mit drei Produktionen auf der Piazza Grande vertreten. Michael Steiners Horrorfilm "Das Missen Massaker" wird hier ebenso seine Weltpremiere feiern wie "Nachtlärm", bei dem Christoph Schaub wie bei "Giulias Verschwinden" mit Martin Suter als Drehbuchautor zusammenarbeitete. Mit dem Dokumentarfilm "More than Honey", in dem sich Markus Imhoof mit dem Leben der Bienen beschäftigt, stammt auch der Abschlussfilm aus der Schweiz.

Für die französische Note im stark anglophonen Piazza-Programm sorgen Stéphane Brizé mit "Quelques heures de printemps" und Noémie Lvovsksys "Camille Redouble", in dem die Protagonistin plötzlich eine Zeitreise in ihre eigene Schulzeit in den 1980er Jahren antritt. Nicht nur mit diesem Film, sondern auch mit "No" des Chilenen Pablo Larraín hat Père einen Film auf die Piazza geholt, der schon beim Festival von Cannes für Aufsehen sorgte.

19 Filme, davon 13 als Weltpremiere, konkurrieren im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden. Auffallend ist hier, dass mit Simon Baumanns und Andreas Pfiffners "Image Problem", Lucien Castaing-Taylors und Verena Paravels "Leviathan" und Peter Mettlers "The End of Time" gleich drei Dokumentarfilme vertreten sind. Österreich darf mit Tizza Covis und Rainer Frimmels "Der Glanz des Tages" sowie Jem Cohens "Museum Hours" gleich zwei Filme ins Leopardenrennen schicken.

Mit der Referenz eines starken Debüts tritt der Amerikaner Bradley Rust Gray an. Da "The Exploding Girl" auf große Beachtung stieß, erwartet man nun einiges von "Jack and Diane". Peter Strickland fiel vor wenigen Jahren bei der Berlinale mit dem archaischen Drama "Katalin Varga" auf und bringt nun "Berberian Sound Studio" nach Locarno. Während die USA mit vier Produktionen vertreten sind, ist Deutschland ebenso wie das gesamte Osteuropa nur als Koproduktionsland präsent.

Aufregende Dokumentarfilme verspricht wieder die "Semaine de la critique". Nachdem der Österreicher Fritz Ofner in diesem Rahmen schon letztes Jahr "Evolution der Gewalt" zeigen durfte, wurde er heuer mit "Free Libya" ausgewählt. Wie vielfältige Eindrücke die sieben ausgewählten Filme vermitteln werden, zeigen drei Beispiele: Stefan Haupt setzt sich in "Sagrada – el misteri de la creació" mit dem Bau der Sagrada Familia in Barcelona und dem schöpferischen Prozess an sich auseinander, David Sieveking beschreibt in "Vergiss mein nicht" die Pflege seiner dementen Mutter und Marc Wiese erzählt in "Camp 14 – Total Control Zone" von Häftlingen eines nordkoreanischen Todeslagers.

Das Filmfestival Locarno ist aber auch ein Schaufenster des Schweizer Films. Mit 14 Filmen, die teilweise schon in den Kinos liefen, wird ein kleiner Überblick über das aktuelle Filmschaffen der Eidgenossenschaft geboten. Die Sektion Open Doors wiederum öffnet den Blick für die Welt. Jedes Jahr wird dabei eine Region des Südens oder Ostens in den Mittelpunkt gestellt. Heuer widmet man sich den frankophonen Ländern südlich der Sahara. Neben Koproduktions-Workshops wird dabei auch eine repräsentative Filmauswahl dieser Region gezeigt.