Locarno 2011: Blockbuster, Stars und Newcomer

In seinem zweiten Jahr als künstlerischer Leiter des Filmfestivals Locarno setzt der Franzose Olivier Père auf der Piazza Grande verstärkt auf amerikanische Blockbuster. Damit sollen auch Stars an den Lago Maggiore gelockt werden. Der Wettbewerb der 64. Auflage des Tessiner Festivals (3. – 13.8.) steht dagegen wie gewohnt im Zeichen der Newcomer, aber auch Regisseure, die schon herausragende Filme gedreht haben, finden sich im Rennen um den Goldenen Leoparden.

Großes Kino fürs große Publikum will Olivier Père beim 64. Filmfestival von Locarno auf der Piazza Grande bieten. Als programmatisch kann man in dieser Hinsicht den Eröffnungsfilm ansehen. Lust auf Kino soll hier gleich J. J. Abrams (Regie) und Steven Spielbergs (Produktion) Science-Fiction-Film "Super 8" wecken. Vier weitere US-Produktionen zielen in die gleiche Richtung.

Während Will Gluck mit seiner Komödie "Friends with Benefits" für gelöste Stimmung sorgen dürfte, soll Kevin Smiths Horrorthriller "Red State" dem Publikum auf der bis zu 8000 Zuschauer fassenden Piazza das Gruseln lehren. Einen geballten Auflauf an Stars erwartet man bei der Europapremiere von Jon Favreaus "Cowboys and Aliens". Daniel Craig, Harrison Ford und Olivia Wilde sollen zur Aufführung dieses Mix aus Western und Science-Fiction-Film an den Lago Maggiore kommen.

Dass Unterhaltung auf der Piazza groß geschrieben wird, zeigt sich auch an den beiden vom Filmfestival von Cannes übernommenen Filmen. Mit Aki Kaurismäkis "Le Havre" hat Père zwar auch einen echten Arthouse-Film programmiert, aber doch einen, der mit einem großen Namen und lakonischem Humor einem großen Publikum puren Filmgenuss bereiten dürfte. Genrekino ist dagegen mit dem zweiten Cannes-Film angesagt: Nicolas Winding Refn erzählt in seinem Actionfilm "Drive" von einem namenlosen Fahrer, der sich mal als Fluchtwagenfahrer, dann als Stunt- oder als Stockcar-Pilot seinen Lebensunterhalt verdient.

Aber auch kleineren Filmen fehlen im Piazza-Programm nicht. Der Endzeitthriller "Hell" des Baslers Tim Fehlbaum, der als Abschlussarbeit an der HFF München entstand, wird in diesem Rahmen ebenso präsentiert wie Emmanuel Mourets "L´art d´aimer" oder "4 Tage im Mai", in dem Achim von Borries eine Geschichte aus den letzten Tagen vor Ende des Zweiten Weltkriegs erzählt.

So kennzeichnet das Piazza-Programm insgesamt auf der einen Seite ein Mix aus Blockbustern und kleinen Werken, die ein großes Publikum erreichen könnten, auf der anderen eine Mischung von Action, Horror, Komödie und Gefühl. Auffallend ist freilich die schwache Präsenz der Schweiz, die in dieser Programmschiene nur durch die Schweizer Herkunft des Regisseurs von "Hell" und Georges Schwizgebels Kurzfilm "Romance" vertreten ist.

Zwei Schweizer Filme finden sich dagegen unter den 20 Produktionen, die für den Wettbewerb um den Goldenen Leoparden ausgewählt wurden. Frédéric Choffat und Julie Gilbert schicken in "Mangrove" eine junge Frau in eine abgelegene Region Mexikos, um hier ein Kindheitstrauma aufzuarbeiten. Fernand Melgár setzt sich dagegen in seinem Dokumentarfilm "Vol spécial", nachdem er in "La Forteresse" die Schweizer Asylpolitik geschildert hat, mit der Schweizer Abschiebepraxis auseinander. Schweizer Beteiligung gibt es zudem bei Milagros Mumenthalers "Abrir puertas y ventanas", da die Regisseurin sowohl die argentinische als auch die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt.

Stark vertreten ist im Wettkampf um den Goldenen Leoparden aber vor allem Frankreich, das vier Produktionen beisteuer. Gespannt sein darf man hier vor allem auf "Un amour de jeunesse" von Mia Hansen Love, der zuletzt mit "Le père de mes enfants" ein feinfühliger Drama über den Selbstmord des Filmproduzenten Humbert Balsan gelang. Ein weiterer französischer Regisseur, der schon nachhaltig auf sich aufmerksam machte, ist Nicolas Klotz, der nach "La question humaine" mit "Low Life" in Locarno seinen neuen Film zeigt. Eher still geworden ist es um den Japaner Aoyama Shinji, nachdem er 2000 in Cannes mit dem herausragenden vierstündigen Entführungsdrama "Eureka" den Fipresci-Preis sowie den Preis der Ökumenischen Jury gewonnen hatte. Gespannt sein darf man, ob er mit "Tokyo Koen" an dieses Meisterwerk anknüpfen kann.

Die gegenwärtige Blüte des rumänischen Kinos spiegelt sich im Wettbewerb von Locarno durch die Aufnahme von zwei Filmen. Während sich Adrian Sitaru, der "Din dragoste cu cele mai bune intentii" zeigt, schon mit "Picnic" gewisse Bekanntheit erlangte, hat man von Anca Damaian, die mit "Crulic – Drumul spre dincolo" den einzigen Animationsfilm ins Leoparden-Rennen schickt, noch wenig gehört. Auffallend ist auch, dass drei Produktionen aus dem Nahen Osten ausgewählt wurden, Asien abgesehen von Japan aber fehlt und sich die europäische Beteiligung neben den Rumänen auf Frankreich, die Schweiz sowie je eine Produktion aus Italien und den Niederlanden beschränkt.

Neben dem zweiten, experimentelleren Arbeiten von NachwuchsregisseurInnen gewidmeten Wettbewerb "Cinéastes du present", bietet das Festival noch zahlreiche weitere Reihen. Anlässlich der Verleihung eines Ehrenleoparden an Abel Ferrara werden "Bad Lieutenant", "King of New York", "The Funeral" und "Mary" gezeigt sowie anlässlich der Verleihung des Raimondo-Rezzonico-Preises an den Produzenten Mike Medavoy unter anderem "Apocalypse Now Redux" und "One Flew over the Cukoo´s Nest". Sowohl Ferrara als auch Medavoy werden zur Preisverleihung in Locarno erwartet.

Dazu kommen Hommagen unter anderem an Claudia Cardinale, Bruno Ganz und Claude Goretta, die ebenfalls zum Festival ins Tessin kommen werden, und zu Ehren des wegen angeblicher Regimekritik inhaftierten iranischen Filmregisseurs Jafahr Panahi wird sein Film "The Mirror" gezeigt, für den er 1997 in Locarno den Goldenen Leoparden erhielt.

Die Retrospektive, für die Locarno berühmt ist, ist heuer dem großen Musical- und Melodramen-Regisseur Vincente Minnelli gewidmet und wie gewohnt wird unter dem Titel "Appellations Suisse" eine Auswahl aktueller Schweizer Filme gezeigt. Und schließlich gibt es auch heuer wieder die Semaine de la critique, die acht eigenwillige, und sicher zu Diskussionen anregende Dokumentarfilme präsentiert.