Zu lachen gibt es im Wettbewerb des 61. Filmfestivals von Locarno (6. – 16.8.) bislang nichts. Während der österreichische Dramatiker Händl Klaus in seinem Spielfilmdebüt "März" von der Unfähigkeit mit Trauer und Verlust umzugehen erzählt, folgt die Holländerin Mijke de Jong in "Katjas Sister" mit quasidokumentarischer Kamera einem sozial und emotional vernachlässigten 13-jährigen Mädchen.
Drei Männer beim Ballspiel, eine nächtliche Autofahrt in den Wald, dann noch je eine Zigarette und schon wird ein Schlauch vom Auspuff ins Wageninnere geleitet, der Motor ein- und die Autoradio-Musik ausgeschaltet.
Mit hartem Schnitt und abgesehen vom Titel "März" ohne Vorspann überspringt der am Bielersee lebende Tiroler Dramatiker Händl Klaus in seinem Spielfilmdebüt die kommenden Monate, um dann in die Familien der Selbstmörder zu blicken. Fragmentarisch bleibt die Erzählweise. Wie Mutter, Vater und Freunde im Schmerz und in der Trauer gefangen sind, unfähig darüber zu sprechen, macht Händl in vorwiegend statischen Nahaufnahmen, die den Figuren keinen Raum lassen, erfahrbar. So wird einerseits nie Überblick gewährt, andererseits isoliert die Nähe der Kamera auch die Figuren, vermittelt so auch visuell die Deformation der Beziehungen durch den Selbstmord.
Erst langsam lässt sich aus den Einzelteilen ein Beziehungsgefüge zusammenstellen, geschlossenes Bild stellt sich aber nicht ein, da die Figuren sich ja immer mehr in sich selbst zurückziehen. Verstärkt wird dieses Gefühl der Isolation noch durch die Zeitsprünge und abrupte Szenenfolge. Ansatzlos folgt auf Herbst Winter und wieder Frühling und Sommer, taucht plötzlich der Bruder eines Verstorbenen mit Freundin auf, spielt die Dorfmusik zum Geburtstag einer Mutter oder wird eine Wahl zum Bürgermeister vorbereitet.
So konsequent Händl Klaus seinen Stil auch durchhält und beispielsweise auch auf Filmmusik verzichtet, so sehr macht diese extreme Fragmentierung und die Beschränkung auf Andeutungen auch eine emotionale Involvierung des Zuschauers nahezu unmöglich. Bezug zu den Figuren kann man bei dieser Inszenierung, durch die weniger eine Geschichte erzählt als vielmehr in verknappten Szenen mit prägnanten Dialogen eine Befindlichkeit beschrieben wird, kaum aufbauen, sodass einenm "März" letztlich so kalt zurücklässt, wie die Atmosphäre im geschilderten Dorfleben ist.
Vom ersten Bild an große Intensität entwickelt dagegen die Holländerin Mijke de Jong in "Katjas Sister". Wie Händl Klaus verzichtet auch sie auf Filmmusik, setzt aber statt auf Fragmentierung auf eine Kamera, die wie in den Filmen der Brüder Dardenne der phänomenal gespielten 13jährigen Protagonistin über 80 Minuten folgt. Keine eigene Identität hat dieses Mädchen, definiert sich auch selbst nur als "Katjas Schwester" und im Blick auf die familiären Verhältnisse erklärt sich einiges. Aus Russland immigriert ist die Familie – auf genauere Erklärungen wird verzichtet -, die Mutter arbeitet als Prostituierte, die 17-jährige Schwester Katja bald als Stripperin. Um die 13-jährige kümmert sich niemand, die soziale und emotionale Vernachlässigung hat offensichtlich auch zu einer leichten geistigen Zurückgebliebenheit geführt. Streiten Mutter und Schwester, flüchtet sie sich in Kinderzeichnungen und reden sie mit ihr, sprechen sie von einer Welt und über Dinge, die für die 13-jährige fremd oder unverständlich sind. Überfordert mit der Umwelt beschränkt sie sich auf Tierdokus im TV oder die Beobachtung von Passanten in den Straßenzügen von Amsterdam.
Erklärungen werden keine gesucht und keine geboten. Quasidokumentarisch wird ein Ausschnitt aus einem Leben gezeigt, wobei die Kamera konsequent auf dem Gesicht des Mädchens – erst in der letzten Einstellung wird es einen Namen erhalten – fokussiert, den Hintergrund meist ins Unscharfe taucht oder die Menschen rundherum nur fragmentiert ins Bild rückt. Packend und erschütternd ist diese Zustandsbeschreibung einer Kindheit, die keine ist, verliert aber gegen Ende doch an Intensität, da sich de Jong eben auch auf die Zustandsbeschreibung beschränkt und dramaturgisch insgesamt aber doch eher wenig entwickelt. Näher am Leben als runde Stories mag das sein – ob das dem Film aber auch wirklich gut tut, darf bezweifelt werden.