Little Big Man

23. November 2017 Walter Gasperi
Bildteil

Arthur Penn zeichnet in seinem grandiosen Western anhand der Geschichte von Jack Crabb, der zeitweise bei den Weißen, dann wieder bei den Indianern lebt, ein differenziertes und unheroisches Bild des amerikanischen Westens. Bei Koch Media ist das 1970 gedrehte Meisterwerk in einer Special-Edition erschienen, die auf zwei Blu-rays auch zahlreiche Extras enthält.

Noch ehe man etwas sieht, setzt "Little Big Man" mit der Stimme eines alten Mannes ein, der sich als letzter weißer Überlebender der Schlacht von Little Big Horn bezeichnet. Im Alter von 121 Jahren – eine großartige Maske lässt den während der Dreharbeiten gerade mal 33 Jahre alten Dustin Hoffman tatsächlich steinalt aussehen – soll er einem jungen Journalisten ein Interview geben.

Unwirsch reagiert der alte Mann, als der Interviewer arrogant vorgibt die Geschichte des Westens besser zu kennen, und er beginnt selbst zu erzählen. Einerseits schafft Arthur Penn mit dieser Rahmenhandlung Distanz zu den Ereignissen, andererseits ermöglicht sie dem Erzähler das Geschehen immer wieder kritisch zu kommentieren sowie Ereignisse zusammenzufassen oder zu erläutern.

Keine stringente Handlungsführung ist so auch nötig, sondern der Erzähler kann locker Episoden aus seinem Leben aneinanderreihen. Zudem verleiht nicht zuletzt der Blick aus fast 100 Jahren Distanz dem Film eine Leichtigkeit, lässt das Vergangene nicht mehr so wichtig und dramatisch erscheinen.

Nach einem Indianer-Überfall auf einem Treck, bei dem seine Eltern ums Leben kamen, wurde der 10-jährige Jack mit seiner Schwester von den Cheyenne aufgenommen. Während die Schwester bald floh, wurde er quasi zu einem Indianer erzogen, fiel aber nach einigen Jahren nach einem Gefecht wieder unter die Weißen.

Eine breite Palette an Typen des klassischen Western spielt Penn durch, wenn Jack zuerst von einem Prediger christlich erzogen wird, als Helfer eines Wunderheilers und Spielers geteert und gefedert wird, bald Revolverheld und dann Säufer wird, ehe er sich als Gemischtwarenhändler versucht.

Als seine Frau von den Indianern entführt wird, bietet er sich dem berüchtigten General Custer als Eselstreiber an, um seine Frau zu suchen. Doch in Custers Diensten muss Crabb einen brutalen Überfall auf Indianer und ein Massaker an Frauen und Kinder miterleben, das ihn wiederum die Seiten wechseln lässt.

Und wieder wird er so Zeuge wie ein von der amerikanischen Regierung gegebenes Versprechen grausam gebrochen wird und eine Indianersiedlung massakriert wird. Nicht zuletzt durch die musikalische Kommentierung dieser Szene mit einem fröhlichen Marsch, gewinnt diese Szene, mit der das Grauen in eine ruhige verschneite Winterlandschaft einbricht, Durchschlagskraft.

Das Massaker bewegt Crabb freilich nochmals die Seite zu wechseln, um sich dem zunehmend psychopathischen Custer anzubieten und ihn bei Little Big Horn in eine Falle zu locken.

Penn zeichnet, unterstützt von Kameramann Harry Stradling jr., ein großes Kaleidoskop des amerikanischen Westens, wechselt mit dem Seitenwechsel des naiven Protagonisten, der kaum selbst zum Akteur wird, sondern weitgehend Zuschauer bleibt, souverän auch die Perspektive. Nicht nur die Massaker an den Ureinwohnern, in denen man auch Anspielungen auf die damalige Kriegsführung der USA im Vietnamkrieg lesen kann, kritisiert Penn dabei schonungslos, sondern kontrastiert auch pointiert die Gesellschaft der Indianer mit der der Weißen.

Wo in den Grenzstädten christliche Werte und Moral gepredigt werden, Sexualität im Geheimen ausgelebt wird, geheuchelt und betrogen wird, da geben sich die Indianer offen, akzeptieren einen homosexuellen Stammesangehörigen ebenso wie einen radikalen Außenseiter und Polygamie sind für sie eine Selbstverständlichkeit. So kann man in diesem Leben der Ureinwohner auch durchaus eine Spiegelung der Hippie-Gesellschaft der späten 1960er Jahre sehen.

Nicht nur in seiner Szenenfülle, sondern auch in seiner Vielzahl an prägnant und mit Witz gezeichneten skurrilen Nebenfiguren, denen Crabb mehrfach über den Weg läuft, ist "Little Big Man" ein unglaublich reicher Film. Vom warmherzigen Indianerhäuptling, der zu Crabbs Großvater wird, über dem psychopathischen Custer bis zum legendären Revolverhelden Wild Bill Hickok, der in steter Angst lebt erschossen zu werden, spannt sich der Bogen.

Die Pastorengattin (Faye Dunaway), die an dem jungen Crabb Gefallen fand, aber auch einen Liebhaber hatte, trifft der Protagonist später in einem Bordell wieder, seiner von den Indianern entführter Frau begegnet er in einem Indianerdorf wieder und dem Wunderheiler, der durch den Zorn der Bürger Gliedmaßen verliert, die er durch Prothesen ersetzen, fehlen bei der Wiederbegegnung noch ein paar Körperteile mehr.

An Sprachversionen bietet die bei Koch Media erschienene Special Edition die englische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie Untertitel in diesen beiden Sprachen. Die Extras umfassen neben einem sehr informativen deutschen Audiokommentar des Filmjournalisten Lars-Olav Beier kürzere, während der Dreharbeiten von "Little Big Man" entstandene Dokumentationen über Arthur Penn und Dustin Hoffman und Lars-Olav Beiers und Robert Müllers 77-minütige Dokumentation "A Love Affair with Film", in der mit einem Interviews mit Penn und Ausschnitten aus seinen Filmen ein Porträt des 2010 verstorbenen Regisseurs gezeichnet wird. Dazu kommen eine Bildergalerie mit seltenem Werbematerial und als Kuriosum eine 76-minütige, dreiteilige deutsche Supuer-8-Fassung des Films.

Trailer zu "Little Big Man"