Liliane Lijn - Dematerialisierung von Sprache und Körper

Die Ausstellung im Wiener Mumok ist die bislang umfangreichste institutionelle Einzelpräsentation von Liliane Lijn. Die Künstlerin arbeitet seit mehr als sechs Jahrzehnten an den Schnittstellen von bildender Kunst, Sprache und Wissenschaft und hat ein umfangreiches Werk geschaffen, das Skulpturen und Installationen, Collagen und Malerei, Videos und Performances umfasst.

Lijns multimediale Praxis nimmt ihren Ausgangspunkt in der kinetischen Kunst der späten 1950er Jahre sowie in der Auseinandersetzung mit surrealistischem Gedankengut, antiken Mythologien und fernöstlichen Religionen. Bereits in ihren frühen Arbeiten zeigt sich ein bis heute anhaltendes Interesse an unkonventionellen künstlerischen Materialien: 1961 entstehen erste Arbeiten aus Plexiglas, in denen Lijn mit Reflexion, Bewegung und Licht experimentiert. "Elektrische Lichter blinken auf Plexiglaskonstruktionen und erzeugen ein Gewirr von transparenten Schatten, die die Künstlerin Echo Lights nennt“, schreibt der amerikanische Dichter John Ashbery 1963 im Zusammenhang mit einer Ausstellung Lijns in der Galerie de la Librairie Anglaise in Paris.

Ashbery zeigte sich auch von den dort gezeigten motorisierten Spracharbeiten beeindruckt: "Zylinder, die sich zu schnell drehen, als dass man die aufgedruckten Worte lesen könnte, aber vielleicht wirken sie unbewusst wie unterschwellige Werbung". In Anlehnung an die Sprachexperimente der Beat-Poeten setzt Lijn in diesen sogenannten Poem Machines Worte maschinell in Bewegung, um sie von ihren festen Bedeutungen zu befreien. Diese Arbeiten markieren den Beginn ihrer bis heute andauernden Auseinandersetzung mit Sprache, mit der Idee des gesprochenen Wortes als Schwingung - und damit als Energie: "The main concern of my work has been and is ,energy transfer'".

Lijns Arbeiten gehen oft von Alltagsbeobachtungen aus - dem Verhalten von Wassertropfen auf einer Glasscheibe; der Erkenntnis, dass Buchstaben aus Linien bestehen - und können als Versuchsanordnungen verstanden werden, um den Prinzipien unseres Kosmos auf den Grund zu gehen. Wie die Titel ihrer Arbeiten - "Cosmic Flares I" (1966), "Act As Atom" (1967-68), "E=mc3" (1968) - zeigen, betrachtete sie Technik und Wissenschaft von Anfang an als Verbündete, um in Regionen jenseits des Sichtbaren vorzudringen, und versteht dies auch als feministisches Projekt: Die Dematerialisierung von Sprache und Körper, ihre Übersetzung in Vibration, Licht oder Klang, bedeutete für die Künstlerin einen Angriff auf patriarchale Strukturen und die Reduktion der Frau auf ihren Körper. "I was interested in dematerialization - in the idea of losing the body. And that was related in a way to being a woman."

In diesem Zusammenhang ist auch Lijns 1983 veröffentlichtes Buch "Crossing Map" zu sehen, an dem die Künstlerin über 15 Jahre arbeitete und das den Weg für die multimedialen Skulpturen der 1980er Jahre ebnete. Auf der Suche nach neuen Formaten und Ausdrucksformen begann Lijn in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre mit der Produktion eines Textes, dessen endgültige Fassung als Hybrid aus Science-Fiction, Autobiographie und ökofeministischem Manifest beschrieben werden kann. Dieses Sprachkunstwerk, das sie auch öffentlich aufführte, handelt von der spirituellen Reise einer Künstlerin, die ihren materiellen Körper überwindet. Parallel dazu wendet sich Lijn in der bildenden Kunst der menschlichen Figur zu, um die Auswirkungen technologischer Entwicklungen auf den Körper zu reflektieren. Aus Staubwedeln, Kunstfasern, optischen Prismen und Lasern entstehen futuristische weibliche ‚Gottheiten‘, die teils Maschine, teils Tier, teils Pflanze zu sein scheinen. Höhepunkt und buchstäbliches Zentrum der Ausstellung im mumok ist die Gegenüberstellung von "Lady of the Wild Things" (1983) und "Woman of War" (1986), die Lijn erstmals auf der Biennale in Venedig präsentierte und die damals treffend als "goddesses of the Space Age" (Göttinnen des Weltraumzeitalters) bezeichnet wurden. Zwischen den beiden überlebensgroßen, computergesteuerten Figuren entspinnt sich ein sechsminütiger Dialog, in den Gesang, 250 LED-Lichter, Laser und künstlicher Rauch einfließen. In Lijns interaktiven Skulpturen, die sie unter dem Titel "Cosmic Dramas" verhandelt und für die sie sich nicht zuletzt von den Anlagen der modernen Energieindustrie inspirieren ließ, verbinden sich Kosmisches und Persönliches, Mythologie und Hightech, um weiblichen Archetypen eine zeitgenössische Gestalt zu geben.

Liliane Lijn wurde 1939 in New York geboren. Seit 1966 lebt sie in London. Seit den 1960er Jahren ist sie als Künstlerin international tätig. Ihre Werke befinden sich in Sammlungen wie der Tate Modern, dem British Museum und dem Victoria and Albert Museum in London sowie dem Musée de la Ville de Paris und dem Kunstmuseum Bern.

Liliane Lijn. Arise Alive
15. November 2024 bis 4. Mai 2025