Letztes Jahr in Marienbad

17. Januar 2019 Walter Gasperi
Bildteil

Alain Resnais´ zweiter Spielfilm ist fast 60 Jahre alt, aber immer noch so irritierend wie bei seiner Uraufführung. Das visuell brillante und filmsprachlich revolutionäre Meisterwerk, das für vielfältige Interpretationen offen ist, ist bei Studiocanal in einer restaurierten Fassung auf DVD erschienen.

Die Kamera von Sacha Vierny gleitet durch endlose Gänge, über barocke Verzierungen und Statuen, während im Voice-over eine Männerstimme über die Leblosigkeit dieser Räume, über die Zeit und die Vergangenheit spricht. Abwesend sind in diesem Auftakt die Menschen, ganz von der kalten Architektur wird die Szene bestimmt.

Nie wird "Letztes Jahr in Marienbad", dieses Schloss, das gleichzeitig ein Hotel ist, aber auch eine Psychiatrische Anstalt sein könnte – gedreht wurde zu einem großen Teil in den Schlössern Schleißheim und Nymphenburg – verlassen. Ein hermetisch abgeschlossener, der Zeit enthobener Raum, in dem eine vornehme, aber innerlich völlig erkaltete Gesellschaft mit Konzerten, Theateraufführungen und Spielen sich die Zeit vertreibt, ist dies.

Ein im Drehbuch als X (Giorgio Albertazzi) bezeichneter Mann trifft hier auf die unnahbare und kühle junge A (Delphine Seyrig) und erzählt ihr, dass sie sich schon letztes Jahr hier getroffen und für dieses Jahr wieder verabredet hättet. Er versucht sie zu überreden, mit ihm wegzugehen, doch sie, die mit ihrem Mann oder Geliebten M (Sacha Pitoeff) hier ist, behauptet ihn nicht zu kennen, bis sie seiner Aufforderung am Ende doch nachkommt und mit ihm das Schloss verlässt.

Im Grunde wird eine simple Dreiecksgeschichte erzählt, doch diese Handlung ist nur Vorwand für eine Reflexion über Wahrheit und Imagination und - ein zentrales Thema bei Resnais - die Zeit. Inhaltlich wird dabei alles offen gelassen: Erfindet X nur eine Geschichte, um A für sich zu gewinnen, kann sich A wirklich nicht erinnern oder leugnet sie einfach ihre frühere Begegnung.

Bruchlos gehen auch Gegenwart und Rückblenden oder Erzählungen und Imaginationen ineinander über. In kunstvoller Inszenierung wiederholen sich Szenen, werden leicht variiert und scheint sich die Vergangenheit in der Gegenwart zu spiegeln. So lösen sich wie schon in "Hiroshima, mon amour", bei dem sich freilich schließlich doch eine klare Geschichte rekonstruieren ließ, die Zeitebenen auf und alles verschwimmt im Bewusstsein des Protagonisten zu einer einzigen Gegenwart.

Gleichzeitig zeichnen Alain Resnais und Alain Robbe-Grillet, der das Drehbuch schrieb, das Bild einer erstarrten, quasi im Dornröschenschlaf versunkenen Welt. Statuenhaft agiert Delphine Seyrig als A, jedes Leben ist auch dem streng geometrisch aufgebauten Garten vor dem Schloss mit seinen kegelförmig zugeschnittenen Bäumen ausgetrieben.

Verlieren kann man sich in den ebenso brillanten wie kalten Schwarzweißbildern mit den endlosen Kamerafahrten durch die Gänge und den unglaublich tiefenscharfen Einstellungen der zahlreichen Räume. Orgelmusik unterstreicht dabei die Kälte dieses Ambientes, verleiht dem Ganzen aber auch einen sakralen Touch. Auch über die Form führt Resnais dabei durch das wiederholte Spiel mit Spiegeln in hochkomplexen Einstellungen den Diskurs über Wahrheit und Schein. Verdoppelt und gebrochen wird hier die Protagonistin immer wieder.

Alles andere als leicht macht die hochstilisierte Inszenierung und die hermetische Abgeschlossenheit den Zugang zu diesem Film, öffnet ihn aber gleichzeitig für vielfältigste Interpretationen. Psychoanalytisch gedeutet als ein im Traum sich vollziehender Kampf zwischen Lust- und Realitätsprinzip wurde "Letztes Jahr in Marienbad" ebenso wie als mythologisch-allegorische Darstellung vom Tod, der sein Opfer holt, bis zur phänomenologischen Interpretation als Versinnbildlichung der Dialektik zischen Drinnen und Draußen.

An Sprachversionen bietet die bei Studiocanal erschienene digital restaurierte DVD und Blu-ray, die durch ihre Bildqualität besticht, die französische Originalfassung, zu der deutsche Untertitel zugeschaltet werden können, sowie die deutsche Synchronfassung.

Die Extras umfassen - jeweils deutsch untertitelt - ein 30-minütiges Feature über die Zusammenarbeit von Alain Resnais und Alain Robbe-Grillet, eine 20-minüitge Einführung in den Film durch Ginette Vincendeau sowie eine 30-minüitge Dokumentation über "Letztes Jahr in Marienbad". Dazu kommen Alain Resnais´ Kurzfilme "Das Lied vom Styrol" und "Alles Gedächtnis der Welt" sowie ein Booklet.

Trailer zu "Letztes Jahr in Marienbad"