Lesen Sie die Absinth-Bibel!

16. Juli 2012 Kurt Bracharz
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Aus gegebenem Anlass – heute soll Marilyn Manson in Dornbirn auftreten (ich formuliere das am Vortag, und es sollen im Rock-Business schon Absagen in letzter Minute vorgekommen sein) – wollte ich hier wieder einmal etwas über Absinth schreiben, das mittlerweile Übliche halt, dass ihn die Schweizer im Jura gegen Ende des 18. Jahrhunderts erfunden haben, dass sein wesentlicher Bestandteil Wermut die zweitbitterste bekannte Pflanze nach der Weinraute sein soll, dass das ganze Getue um die psychedelischen Wirkungen des Wermut-Inhaltsstoffes und angeblichen Nervengiftes Thujon nur Marketing-Gedöns ist, dass die meisten im Supermarkt und im Internet angebotenen Absinthe sowohl von der Zusammensetzung als auch vom Geschmack her vollkommen indiskutable Gesöffe sind, usw.

Den recht ausführlichen Bemerkungen über Absinth in meinem Buch "Mein Appetitlexikon" hätte ich nicht viel Neues hinzufügen können, außer vielleicht der Erfahrung vom Herbst letzten Jahres, dass ich beim Herumsitzen in einer Ausstellung den mitgebrachten "Mansinthe" als ein sehr angenehmes, magenfreundliches Getränk empfand und die meisten Besucher, denen ich einen anbot, diese Empfindung teilten. Natürlich gab es auch welche, die mit gesträubten Haaren von vornherein ablehnten, sie wußten ja schon, dass Absinth ein schwer giftiges Teufelszeug ist. Wir haben ihn übrigens, mit einem Schlückchen Wasser vermischt, aus Schnapsgläsern getrunken, also ohne überflüssige (Absinthlöffel, Würfelzucker) oder idiotische (Anzünden) Rituale.

Glücklicherweise habe ich heute vor dem Schreiben dieser Kolumne neben dem Bereitstellen meiner üblichen Quellen – Bücher, Zeitschriftenausschnitte, gegebenenfalls Flaschen oder Etiketten – noch einen schnellen Blick ins Internet geworfen und bin nach dem Überfliegen der Wikipedia-Seite mit ihren altbekannten Inhalten auf die sogenannte "Absinth-Bibel" (www.absinth-bibel.de) von Arthur Frayn in D-35440 Linden gestoßen, die nicht-kommerzielle Website eines Absinth-Enthusiasten, deren Lektüre ich nunmehr allen ernsthaft Interessierten nur wärmstens empfehlen kann. Vor allem die unter "Index" abgedruckte Liste von Absinth-Marken mit Angaben u. a. zu Geruch, Farbe, Trübung, Anisgehalt, Fehlern, Authentizität und Charakter ist äußerst nützlich für potentielle Konsumenten (allerdings nicht für die zahlreichen Anbieter miserabler Qualitäten, welche gegen diese Webseite naturgemäß Sturm laufen).

Über den Mansinthe“ von Matter-Luginbühl im schweizerischen Kallnach, für den Marilyn Manson nicht nur das Etikett gemalt hat, sondern auch den besonderen Charakter der Spirituose bestimmt haben soll, heißt es in dieser "Absinth-Bibel": "Mansinthe 67° (85/100): Vom Preis-Leistungsverhältnis sicher die beste Sorte aus der Matter-Serie. Der Mansinthe ist eine Abwandlung des Duplais-Themas mit reduziertem Wermutgehalt und geringerer Komplexität. Was übrig bleibt ist ein recht ausgewogenes Aroma, welches ihn eher zu einem Alltags-Absinth tauglich macht, als seine teils sehr wermutlastigen Geschwister."

Bemerkenswert, dass der "Schock-Rocker" Manson, der behauptete, Absinth vor dem Schlafengehen verschaffe ihm besonders eindrückliche Träume, sich also einen geschmacklich gar nicht schockierenden, sondern eher harmonischen Absinth hat brennen lassen. Für Vorarlberger interessant ist auch Frayns Einschätzung von Marx Boschs Lustenauer Absinth "Rote Fee", den man ebenfalls in seiner um Vollständigkeit bemühten Liste findet.