Len Lye — motion composer
Len Lye (1901-1980), geboren in Christchurch NZ, ist einer der wichtigsten Experimentalfilmer der 1930er bis 1950er Jahre. Er schuf zunächst in Neuseeland und Australien, ab 1926 in London und ab 1944 in New York City ein faszinierendes, nicht nur den Film, sondern vielmehralle künstlerischen Disziplinen umfassendes Werk, das in weiten Teilen — so auch seine kinetischen Skulpturen — noch zu entdecken ist.
In der Ausstellung «Len Lye — motion composer» im Museum Tinguely wird vom 23. Oktober 2019 bis zum 26. Januar 2020 das Werk von Lye in seiner ganzen Breite gezeigt, mit einem besonderen Augenmerk auf die Beziehungen zwischen den verschiedenen Medien. In Themenbereiche gegliedert, bietet sich dem Publikum die Gelegenheit, mit über 100 Werken in die Welt Lyes einzutauchen und die vielseitige Durchdringung der verschiedenen Medien im Werk des neuseeländischen Künstlers anhand von Filmen, Zeichnungen und Skulpturen zum erstmalin Europain dieser Bandbreite zu erleben. In Zusammenarbeit mit dem Seminar für Medienwissenschaften der Universität Basel beleuchtet ein Symposium am 23. und 24. Oktober das Schaffen von Len Lye und diskutiert Lyes Einfluss auf die Avantgarden des 20. Jahrhunderts. Das Stadtkino Basel zeigt zusätzlich vier Programme mit Filmen von und über Len Lye.
Anfänge in Neuseeland
Len Lye wurde 1901 in eine sehr bescheiden lebende Familie geboren und wohnte nach dem frühen Tod seines Vaters mit seiner Mutter und dem Bruder beim Stiefvater Ford Powellin Cape Campbell, wo dieser als Leuchtturmwärter fungierte. Er berichtet aus dieser Zeit über erste Eindrücke von Licht und Bewegung; Motive, die ihn sein Leben lang beschäftigen werden. Er beschreibt den Moment, in dem er das Motiv seiner Kunst fand, folgendermassen: Er dachte über John Constables Wolkenstudie nach und darüber, dass der Maler Bewegung imitiert und vermittelt. Und:
«Ganz plötzlich wurde mir klar - warum nicht einfach Bewegung, wenn es so was gab wie das Komponieren von Musik, dann könnte es auch so etwas geben wie das Komponieren von Bewegung. Schliesslich gibt es Melodiefiguren. Warum dann nicht auch Bewegungsfiguren?»
Er begann Bewegungen zu zeichnen,in kleinen Notaten,in spontanen Zeichnungen, oder Doodles, wie er sie nannte. Zu Beginn der 1920er Jahre verbrachte Lye einige Monate auf Samoa, wo er mit der reichen Kultur der dort indigenen Menschen in Kontakt kam. Während seiner Jahre in Sydney 1922-26 entstand das Totem-und-Tabu-Skizzenbuch, in das er Sigmund Freuds Text Totem und Tabu transkribierte. Auf die jeweils linke Seite setzte er Zeichnungen von Gegenständen aus verschiedenen Kulturen, den Maori seiner Heimat Neuseeland, den australischen Aborigines, aus Samoa, aus Afrika - und Werke russischer Konstruktivisten, die ihm ästhetisch wie auch inhaltlich verwandt schienen. Mit diesem von Eurozentrismus unverbauten Blick schuf er ein Werk, das in dieser Zeit unvergleichlich ist, das Objekte verschiedener Kulturen miteinander in Beziehung setzt und dabei auf Hierarchisierung und Wertungverzichtet.
London - «Direct Films»
1926 kam Lye in London an, und bald entstand - neben Gemälden,in denen er oft sein Unterbewusstsein erforschte, und Batikbildern, die mit der Formwelt fremder Kulturen spielten - sein erstes filmisches Werk, das den Grundstein für seinen Ruhm als Experimentalfilmer legen sollte: 1929 wurde Tusalava erstmals gezeigt, ein Zeichentrickfilm, in dem abstrahierte Figuren und Formen miteinander in Beziehungtreten, sich umschlingen und vereinen. In der vom Surrealismus geprägten Kunstszene,in der sich Lye bewegte, machte dieser 10 minütige Film, der von einer (leider verlorenen) Live-Musik von Jack Ellitt begleitet wurde, grossen Eindruck. In der Mitte der 1930er Jahre folgten die «Direct Films», Filme, bei denen der Künstlerdirekt auf den Filmstreifen malte und schrieb, und so die Technik des kameralosen Filmes entscheidend mitprägte. A Color Box (1935) war ein farbenreicher Film, der - von kubanischer Tanzmusik begleitet - für die Britische Post Werbung machte. Andere Filme folgten underreichten durch ihren Einsatz als Werbefilme für verschiedene Firmen im Kino ein sehr breites Publikum. Die Kombination von abstraktem Farb-Film und moderner Musik war revolutionär und brachte Lye zu Recht den Ruf als Pionier des Musikclips ein.
New York
Nach dem Zweiten Weltkrieg, während dessen sich Lye in den Dienst der britischen Propaganda gestellt hatte, und viel beachtete Filme wie Kill or Be Killed (1942) produzierte, lebte er ab 1944 in New York City, um zunächst seine Karriere als Experimentalfilmer weiterzuverfolgen - und wo er 1947 eine Serie von Fotogrammenrealisierte: Porträts, in denen er die Idee des kameralosen Filmes auf die Fotografie anwandte. Einer der radikalsten Filmeseiner Zeit in New York ist Rhythm (1957), in dem er die Abläufe einer amerikanischen Autofabrik rhythmisierte und mit afrikanischer Trommelmusik unterlegtals eigentlichen Tanz der Technik inszenierte. Bereits in Rhythm, nochstärker aber in Free Radicals (1958 / 1979) setzte er die Technik des Kratzens in den schwarzen Vorspannfilm ein, was den Filmen eine rauhe Stimmungverlieh.
Tangibles — Lyes kinetische Skulpturen
Ende der 1950er Jahre wandte sich Lye der kinetischen Skulptur zu, und entwarf in kurzer Zeit die Konzepte für etwa 20 Tangibles, wie er sie nannte. Skulpturen, die mithilfe von Elektromotoren programmierte Bewegungsabfolgen vollziehen,die auf einfachen Prinzipien wie der Drehungeines Bündels von Stahlstangen beruhen, oder der Schwingung eines massiven Stahlblechs. Mit diesen Skulpturen traf Lye den Nerv seiner Zeit, mit ihrem Verlangen nach neuer Kunst, nach Maschinen und Bewegung. Bereits 1961 konnte der NeuKinetiker seine Maschinen im Museum of Modern Art in New York zeigen, anlässlich einer Lecture-Performance,in der er seine Ideen der programmierten Maschinenskulptur erläuterte und vorführte. Seine Skulpturen verstand Lye auch als Modelle, die er grösser ausführen wollte. Weil ihm sowohl die technischen Kenntnisse wie auch die finanziellen Möglichkeiten dazu fehlten, blieben die meisten im Projektstadium stehen, doch der Wille zur Grösse zeigte sich vor allem in den Zeichnungen für Sun, Land and Sea (1965), die erst Jahre nach seinem Tod (1980) teilweise verwirklicht werden. Lyes Bedeutung für die kinetische Kunst der 1960er Jahre kann nicht unterschätzt werden. Seine Vision, mit programmierter Maschinenskulptur eine komplett neue Kunst zu schaffen, öffnete den Weg für vieles, was uns heute selbstverständlich und vertraut ist - im Bereich der kinetischen Kunst, vor allem aber in Bereichen der Land Art oder Installation, in denen Lye ganz selbstverständlich vorausgegangen war.
Lyes Werk heute
Len Lye starb 1980. Er hatte im Bewusstsein, unheilbar erkrankt zu sein, für sein Werk eine Stiftung gegründet, und somit dafür gesorgt, dass sein Nachlass zurück in die alte Heimat, nach Neuseeland, kam, wo dieser bis heute in New Plymouth, in der Govett-Brewster Art Gallery aufbewahrt und erforscht wird. Die Len Lye Foundation pflegt sein Werk und darf im Einklang mit dem Willen des Künstlers Rekonstruktionen seiner Kinetischen Werke herstellen, um so auch heute die programmierte Maschinenskulptur einem jungen Publikum erlebbar zu machen.
Len Lye — motion composer
23. Oktober 2019 bis 26. Januar 2020
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