Vielseitig, aber nicht immer qualitativ hoch stehend zeigte sich der Schweizer Film bei den 43. Solothurner Filmtagen. TV-Ästhetik dominierte im Spielfilmbereich, wenig publikumfreundliches Experimentelles fiel bei den Dokumentarfilmen auf. – Rar waren aber die Filme, die über echte Kinoqualitäten verfügen.
Vielseitig, aber nicht immer qualitativ hoch stehend zeigte sich der Schweizer Film bei den 43. Solothurner Filmtagen. TV-Ästhetik dominierte im Spielfilmbereich, wenig publikumfreundliches Experimentelles fiel bei den Dokumentarfilmen auf. – Rar waren aber die Filme, die über echte Kinoqualitäten verfügen.
Über mangelnden Publikumszuspruch können sich die Solothurner Filmtage nicht beklagen. Nicht allzu groß sind zwar die Säle des Kinos Canva, doch dass man 30 Minuten vor Filmbeginn anstehen muss, um einen Platz zu ergattern, gehört dort trotzdem sicher nicht zum Kinoalltag. Proppenvoll war auch immer wieder das Landhaus, das für rund 500 Besucher Platz bietet oder bei Highlights wie dem schon seit Herbst in den Schweizer Kinos laufenden «Heimatklänge» auch die noch größere Reithalle. Zweimal wurden so manche Besucher wie auch der Autor dieses Berichts bei den Vorführungen von «Max Frisch, Citoyen» abgewiesen.
Filme finden während der Filmtage ein Publikum, die im regulären Kinoprogramm – sofern sie überhaupt dorthin kommen – vermutlich vielfach sang- und klanglos untergehen. Großartig sind die in Brauntönen gehaltenen Bilder, die Kameramann Pio Corradi vom alltäglichen Leben der ägyptischen Bauern am Rand des «Tals der Könige» eingefangen hat, doch der wortlose, von experimentellem Jazz unterlegte assoziative Bildteppich, den der Musiker Jacques Siron mit «Thèbes à l´ombre de le tombe» vorlegt, verlangt vom Zuschauer schon einige Geduld.
Erfährt man bei Siron noch Einiges über das ägyptische Alltagsleben, so gibt Cyrill Schläpfer - in erster Linie ebenfalls ein Musiker - bei «Die Waldstätte» mit dem Untertitel «Eine Dampfschiffsymphonie» schon vor, dass man seinen Film wie ein Musikstück aufnehmen soll, nicht nach rationalem Verständnis streben, sondern in die Bild- und Tonwelt eintauchen soll. 70 Minuten bietet Schläpfer nichts außer Ansichten vom Vierwaldstättersee im Wechsel der Jahreszeiten und der fünf auf diesem See verkehrenden Raddampfer oder Details davon wie Zahnräder und Rohre, Schiffskamin und Schiffsdeck. Begleitet werden die Bilder auf der Tonebene vom Dampfen der Schiffe, dem Knarren und Ächzen der Planken, der Schiffssirene und der Schiffsglocke, sowie dem Gurgeln und Gluckern von Wasser. Ganz den Bildern und Tönen muss man sich hingeben und teils entstehen fantastische Stimmungen, den Film aber als Diskurs über den Gegensatz von Natur und Technik zu interpretieren, wäre vermutlich schon wieder zu weit gegangen. – Das Publikum goutierte dieses Experiment vielfach nicht und verließ in Scharen das Landhaus.
Eigenwilliges legt auch Felix Tissi vor, der in «Desert – Who Is the Man?» die Wüsten der Welt durchstreift und dort in der Ödnis Felszeichnungen und Archäologen, die Skelette freilegen, ebenso findet wie Sinn- und Gottsucher, Happenings zur Selbsterfahrung, aber auch zerstörerische Atombombenversuche. – Auch hier sind die Bilder großartig und lassen den Zuschauer angesichts der Einöde über sich selbst reflektieren, aber die einzelnen Szenen plätschern doch zu beliebig dahin, um dieser Sinnsuche Nachdruck zu verleihen, andererseits ist der Blick durchaus ernst und zu wenig ironisch, um zu erheitern.
Diesen experimentellen Formen im Dokumentar- und Essayfilm steht im Spielfilm ein Trend zur oberflächlichen Unterhaltung gegenüber. Vom höchst ironischen durch und durch amerikanisierten Action-Gaunerfilm «Save Angel Hope» bis zur unterhaltsamen TV-Komödie «Das Geheimnis von Murk», die den mit 20000 Schweizer Franken dotierten Publikumspreis gewann, spannt sich hier der Bogen. Spaß machen vermag Sabine Boss´ Komödie zwar, nachwirken wird sie aber kaum, denn im hohen Erzähltempo, das dem Zuschauer keinen Freiraum zum Schauen lässt, geht jegliche Substanz verloren.
Neben reiner Unterhaltung fand sich auch die zweite Spielart des TV-Films, bei der in die Unterhaltung aufklärerisch-belehrend Informationen verpackt werden. Beispiel dafür ist das Stalking-Drama «Du gehörst mir», das zwar mit genauer Schilderung der Entwicklung einer Beziehung zwischen einem krankhaft eifersüchtigen Mann und einer Frau beginnt, sich bald aber nicht mehr immer zwischen Erzählen einer Geschichte und offensichtlichem und papierenem Aufklären über Stalking entscheiden kann und schließlich ganz auf die Thrillerebene einschwenkt.
Wie man eine Geschichte erzählen und dabei tief greifend Themen behandeln kann ohne diese penetrant anzusprechen, zeigt Silvio Soldini in «Giorni e nuvole»: Seit zwei Monaten ist Michele arbeitslos, weil ihn sein Kompagnon aus der eigenen Firma hinausgeworfen hat. Bislang hat er dies seiner Frau Elsa verschwiegen, doch nun kann er die Geldnot nicht mehr verheimlichen. Genau schildert Soldini die Folgen der Arbeitslosigkeit und die Belastungen, die sich dadurch für die glückliche Ehe entwickeln. Den Verkauf der Yacht kann man ja noch verkraften. Schwerer wiegt schon der Umzug aus der großbürgerlichen Wohnung in ein Arbeiterviertel, am schlimmsten aber ist die eigene Sinn- und Nutzlosigkeit, die Michele zunehmend empfindet. Die Absagen bei Bewerbungsversuchen zerfressen ihn förmlich und aus Gereiztheit wird Aggression.
Soldini geht mit dem ernsten Thema nicht leichtfertig um, verbreitet in seinem sorgfältig in das Ambiente von Genua eingebetteten Drama aber auch keine Tristesse und statt simple Lösungen anzubieten, lässt er «Giorni e nuvole» offen enden. Wunderbar zurückhaltend ist die Regie, die sich ganz in den Dienst der Geschichte stellt und den großartigen Schauspielern (Margherita Buy und Antonio Albanese) viel Raum lässt. Hier wird nicht doziert und erklärt, sondern einfach eine individuelle Geschichte erzählt. Weil Soldini das aber so genau und konsequent macht, gewinnt sein bewegender Film exemplarischen Charakter.
Während «Giorni e nuvole» abgesehen vom Tessiner Regisseur nichts mit der Schweiz zu tun hat, aber einiges über die westliche Gesellschaft von heute erzählt, lässt sich Christian Schochers 1979 entstandenes Roadmovie «Reisender Krieger» nicht von der Schweizer Realität trennen. - In dieser Entwicklung vom regionalen Kino zum globalisierten spiegelt sich freilich auch die gesellschaftliche Entwicklung der letzten 30 Jahre.
Als «Reisender Krieger» vor 28 Jahren in die Kinos kam, war er 200 Minuten lang. Nun hat Christan Schocher einen 50 Minuten kürzeren (!) Director´s Cut erstellt. Eine Woche lang begleitet der Engadiner den Parfümvertreter Krieger - Vornamen bekommt der Potagonist keinen - auf seiner Tour durch die winterlich graue, kalte und verregnete Schweiz. In die Tradition von Homers «Odyssee» stellt Schocher seinen Film mit dem einleitenden Insert «Nenne, oh Muse, den Mann mir» und diesem Anspruch wird «Reisender Krieger» auch gerecht. In Schwarzweiß mit 16mm Kamera on the Road und ohne künstliches Licht gedreht verdichten sich die Begegnungen mit einem Kollegen, einer Friseurin oder einer Bergbauerntochter und die tristen Betonklötze, Autobahnen und Stadtbilder zu einem Stimmungsbild der Schweiz der späten 70er Jahre.
Schocher presst keine Geschichte hinein, sondern er fängt ganz einfach im Stile von Wim Wenders «Alice in den Städten» oder «Im Lauf der Zeit» Realität ein. - Aufregender ist das als alle erfundenen Geschichten und im Vergleich zu harmlosen Unterhaltungsfilmen wie «Das Geheimnis von Murk» werden dabei auch die Entwicklung des Schweizer Films vom sozialrelevanten persönlichen Autorenfilm zum gefälligen kantenlosen Unterhaltungsfilm und damit auch wieder die gesellschaftliche Entwicklung sichtbar.