Le grand Geste

1959 erreichte die gestisch-abstrakte Malerei auf der Documenta II in Kassel einen Höhepunkt. Vierzehn Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde hier eine zentrale Tendenz der Malerei gefeiert, die sich als ein die westliche Welt umspannendes internationales Phänomen präsentierte. Mit dieser Documenta sowie einer großen Tournee des amerikanischen Abstrakten Expressionismus durch mehrere europäische Hauptstädte im Jahr zuvor, erhielt die so genannte informelle Malerei einen gleichsam offiziellen Status.

Die Bedeutung der "Abstraktion als Weltsprache" hatte sich durchgesetzt und etabliert, obgleich sich zur gleichen Zeit bereits neue, z.B. intermediale Tendenzen in der Kunst ankündigten. Die Ausstellung "Le grand geste!" im Düsseldorfer Museum Kunst Palast zeichnet fünfzig Jahre später mit 150 Gemälden den Weg und die künstlerische Entwicklung von Informel und Abstraktem Expressionismus nach: ein Weg, der von Frankreich und Amerika durch Deutschland, Italien, Holland, Spanien und andere europäische Länder führte.

Die künstlerische Avantgarde nach 1945 – zerrissen und desillusioniert, aber auch in höchstem Maße moralisch und existentiell motiviert – suchte nach Ausdrucksformen, die nicht durch die unmittelbare Vorgeschichte des Weltkriegs korrumpiert waren und größtmögliche Freiheit beim Entstehungsprozess ermöglichten. Die jungen Künstler, die z.T. an Bildpraktiken des Surrealismus anknüpften, experimentierten mit neuen Materialien und Prozessen, die das formale und konzeptuelle Spektrum enorm erweiterten: So wurde Farbe gegossen und geträufelt, wurden Malgründe zerkratzt oder der Malvorgang extrem beschleunigt. Auf dem Boden liegende Leinwände entwickelten sich zur Bühne des Künstlers. Hier kündigte sich bereits der Übergang zur späteren Aktionskunst an, was auch der von Harold Rosenberg für die gestische Malerei der USA geprägte Begriff "Action Painting" verdeutlicht.

Das europäische Äquivalent dieser Kunst belegte man mit zahlreichen Begriffen, wie lyrische Abstraktion, Tachismus oder Informel. Die 1950 von dem französischen Kritiker Michel Tapié eingeführte Bezeichnung Informel wurde hier die tragfähigste. Wie ein informelles Bild ist diese Kunstströmung selbst als variable, offene Struktur beschreibbar – also weniger ein Stil als eine künstlerische Haltung. Mit den Worten von Karl Otto Götz, einem ihrer wichtigsten deutschen Protagonisten handelt es sich bei der informellen Kunst um: "die Auflösung des klassischen Formprinzips mit malerisch und materialmäßig vielen Möglichkeiten." Hiermit wurden wichtige strukturelle Vorarbeiten geleistet, auf die die nachfolgende Künstlergeneration aufbauen konnte.

Die Düsseldorfer Ausstellung "Le grand geste!" konzentriert sich auf die Jahre zwischen 1946 und 1964, fokussiert hier die Höhepunkte des deutschen Informel bis hin zu der Zeit, als Pop Art die internationale Kunstszene zu dominieren begann und abstrakt-expressionistische Tendenzen weitgehend verdrängte. Deutlich sichtbar wird der existentielle Anspruch dieser gestischen, abstrakt-expressionistischen Malerei, ein Anspruch, der sich nicht zuletzt in den großen Formaten vieler Hauptwerke dieser Kunstströmung manifestiert. Die Schau, die zahlreiche bedeutende Werke aus amerikanischen und europäischen öffentlichen und privaten Sammlungen präsentiert, ist international ausgerichtet – mit besonderen Schwerpunkten auf Frankreich, hier v.a. Paris, auf die USA, speziell New York, und Deutschland.

Besondere Bedeutung nehmen innerhalb der Ausstellung die deutschen gestisch-abstrakten Künstler ein – Brüning, Dahmen, Gaul, Götz, Hoehme, Nay, Schultze, Schumacher, Sonderborg, Thieler oder Trier – die in "Le grand geste!" in einem übergeordneten, internationalen Kontext betrachtet werden können. "Schließlich zählen die Genannten zu jener zu Unrecht etwas in Vergessenheit geratenen "Zwischengeneration", deren berühmte Schüler – wie Gerhard Richter, der bei Karl Otto Götz, Sigmar Polke, der bei Götz und Gerhard Hoehme, oder wie Georg Baselitz, der bei Hann Trier studierte – der deutschen Kunst in den 1980er Jahren zu Weltgeltung verholfen haben." (Susanne Rennert)

Le grand Geste!
Informel and Abstract Expressionism, 1946-1964
10. April bis 1. August 2010