The Law of the Unknown Neighbor

Die raumfüllenden Installationen des amerikanischen Künstlers Stephen G. Rhodes (*1977, Houston, USA, lebt und arbeitet in Berlin und New Orleans) zeichnen sich durch eine Zusammenführung unterschiedlicher Medien aus und basieren auf Quellen aus Geschichte und Kultur. Rhodes schafft eigene, ruhelos-elliptische Systeme, in denen er Themen wie Verdrängung und Trauma verhandelt. Das Migros Museum für Gegenwartskunst zeigt mit "The Law of the Unknown Neighbor" die erste institutionelle Einzelausstellung des Künstlers in Europa.

Für seine Rauminstallation "The Law of the Unknown Neighbor" nutzt Rhodes Aby Warburgs (1866 – 1929) berühmten Vortrag "Das Schlangenritual. Ein Reisebericht" (auch bekannt als "Bilder aus dem Gebiet der Pueblo-Indianer in Nordamerika"), den dieser 1923 als Patient in der Heilanstalt Bellevue in Kreuzlingen hielt. Darin untersuchte Warburg das Schlangenritual der Hopi-Indianer aus kunsthistorischer und religionswissenschaftlich-anthropologischer Perspektive. Seine Aufmerksamkeit galt dabei besonders der Schlange als Blitzsymbol. Anhand der von Schlangen verkörperten Zweideutigkeit von Angst und Vernunft, tödlicher Bedrohung und heilender Kraft entwickelt Warburg das Konzept einer bei jedem Symbol erkennbaren Polarität.

Rhodes’ Interesse erstreckt sich über den Inhalt des Vortrags hinaus und bezieht dessen Entstehungsgeschichte und historischen Kontext mit ein: Ende des 19. Jahrhunderts – zur gleichen Zeit, als Warburg in den Südwesten der Vereinigten Staaten reist, um als Beobachter am Schlangenritual der Hopi teilzunehmen – kommen die Vertreibung und der Genozid an der amerikanischen Urbevölkerung, welche das ganze 19. Jahrhundert über andauerten, zu einem Ende. Warburg wiederum musste sich 1921 in die Nervenheilanstalt Bellevue in Kreuzlingen begeben, weil er unter einer sogenannten bipolaren Störung litt.

Der Psychiater Ludwig Binswanger sah in Warburgs Gelehrtentätigkeit im Rahmen seines Klinikaufenthalts ein "therapeutisches Potential" und die konkrete Arbeit an dem Vortrag als "Heilungsprozess". Zudem widmet sich Rhodes der von Warburg aufgebauten "Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg", die 1933 – kurz nach dessen Tod – von Hamburg nach London verlagert werden musste, um die Bücher vor den Nationalsozialisten zu schützen. Rhodesʼ Interesse an Warburg gilt nicht dem Nachzeichnen von Daten und Fakten, sondern geht darüber hinaus.

"The Law of the Unknown Neighbor" besteht aus Einrichtungsobjekten wie Krankenhausvorhänge und Bücherregale einer Bibliothek. Zudem projiziert Rhodes kurze Loop-Sequenzen auf Wände und Vorhänge – eine Präsentationsform, die in der Tradition des Expanded Cinema verortet werden kann.

The Law of the Unknown Neighbor
9. Februar bis 21. April 2013