Larry Sultan - Katherine Avenue

Larry Sultans drei in der Kestnergesellschaft erstmals zusammen präsentierten Serien "Pictures from Home", "The Valley" und "Homeland" reflektieren das Leben in den kalifornischen Vororten. Das im Rücken von Los Angeles gelegene San Fernando Valley ist geografischer Schauplatz seiner Kindheit und Kulisse für einen Großteil seiner künstlerischen Arbeit gleichermaßen. Darin verwebt Sultan die idyllischen Orte der persönlichen Erinnerung mit gesellschafts– und sozialpolitischen Themenkomplexen. Damit schafft er überzeitliche und widersprüchliche Bilderwelten, die lange in der Wahrnehmung der Betrachter nachhallen.

"Pictures from Home" (1984-1992) wurde ursprünglich als Künstlerbuch publiziert und zählt zu den Meilensteinen der Fotografiegeschichte. Als Kombination aus Familienalbum, Tagebuch, Fotografien, Super-8 Filmstills und Texten legt die Serie auf hintergründige Art die Beziehungsgeflechte seiner Familie frei. Ursprünglich als politisch motivierte Untersuchung des Familienbildes während der Reagan-Ära angelegt, entfaltet sich "Pictures from Home" zu einer poetischen Erzählung über die Grenzlinien von dokumentarischer und privater Fotografie. In der Kestnergesellschaft ist die Serie erstmals in Deutschland zu sehen und wird mit Fotografien, Wandtexten und Filmstills als Rauminstallation präsentiert.

"In The Valley" (1998-2004) untersucht Sultan die Drehorte der kalifornischen Pornofilmindustrie, die sich zur Filmproduktion in amerikanischen Mittelklassehäusern einmietet. Sultans künstlerischer Fokus liegt dabei weniger auf einer moralischen Bewertung von Pornografie. Vielmehr interessiert er sich für das häusliche Leben der Vorstadt als symbolisch aufgeladene Kulisse von Wertvorstellungen. Mit minutiösem Blick zeigt er die Insignien der amerikanischen Mittelklasse sowie die Filmdarsteller während den Drehpausen und erforscht zugleich die Grenzen von Fiktion und Wahrheit.

In seiner jüngsten Serie "Homeland" (2006-2009) rückt der Mythos um die kalifornische Landschaft mitsamt der faktischen Besiedelungsgeschichte in den Vordergrund. In den pittoresk und malerisch wirkenden Fotografien arbeitet er mit mittelamerikanischen Tagelöhnern, die vor Einkaufszentren ihre Arbeitsdienste anbieten. Die Serie wirft weiter gehende Fragen rund um die Themen Besitz, Identität und Heimat auf. Wem kann ein Land gehören?

Kalifornien erscheint in Sultans Werk als metaphorisches Prisma zur Reflexion globaler Themen, die in jeder Serie auf unterschiedliche Weise thematisiert werden: Es geht um Arbeit, Begehren, Besitz, Freizeit, Heimat. Einerseits verweist die wiederkehrende Rückkehr an die Orte seiner Kindheit auf eine Sorge um die Versprechen seiner Heimat – andererseits schwingt in seiner Arbeit ein kontinuierliches Misstrauen gegenüber den verführerischen Kräften von Bildern mit. Die künstlerische Überbrückung der Kluft zwischen einer konzeptuellen Vorgehensweise, die das Wahrheitspotenzial fotografischer Bilder anzweifelt und einer emotional unterlegten Beschäftigung mit Themen wie Heimat macht Sultans Ausnahmestellung in der zeitgenössischen Fotografie aus. Larry Sultan hat wesentliche Teile der Ausstellung noch vor seinem unerwartet frühen Tod im Dezember 2009 konzipiert.

Katherine Avenue
11. Juni bis 22. August 2010