Landschaften von Gerhard Richter

Das Kunsthaus Zürich widmet sich einer zentralen Bildgattung des Schaffens von Gerhard Richter, der Landschaftsmalerei. Gezeigt werden 130 Arbeiten, die meisten davon erstmals in der Schweiz oder nach Jahrzehnten wieder öffentlich, wie das "Stadtbild PX" (1968), spektakuläre "Seestücke" aus Berlin und Bilbao und das energiegeladene "Dschungelbild" (1971) aus Privatbesitz. Neben 80 Gemälden werden Zeichnungen, Fotocollagen, übermalte Fotografien, Druckgrafiken und Künstlerbücher präsentiert. Auf 1200 Quadratmetern durchlaufen die Besucherinnen und Besucher Richters Schaffensprozess von 1957 bis 2018.

Landschaften aus zweiter Hand

Von Anbeginn sieht Richter die Landschaft durch das mechanische Reproduktionsmedium der Fotografie. Überwiegend eigene Fotos bilden den Fundus für diese Bilder. Der Künstler stellt somit im Prinzip keine Landschaften, sondern Fotografien von Landschaften dar. Die spezifisch fotografische Ästhetik von Ausschnitt, Bildaufbau und Farbigkeit bleibt deutlich sichtbar, wie etwa in dem Ölgemälde "Waldhaus" (2004) mit Blick auf das Angestelltenhaus des berühmten Hotels in Sils Maria. Damit beginnt seine kritische Reflexion der verlorenen Möglichkeiten der Malerei.

Romantisierende Bilder als "Kuckuckseier"

Die deutsche Romantik etwa von Caspar David Friedrich ist für Richter in manchen Bildern ein zentraler Referenzpunkt. Er versucht, an die Ästhetik dieser Werke anzuknüpfen mittels eines weiten Himmels und tiefen Horizonts, stimmungsvollen Sonnenuntergängen, Nebellandschaften, Wolkenbildern und Regenbögen. Doch gleichzeitig muss er die Tradition der Romantik wie bei "Eis" (1981) in Frage stellen, das zwar an Friedrichs "Eismeer" (1823) denken lässt, jedoch nicht mehr im Sinne Friedrichs eine anschauliche Offenbarung des Göttlichen sein kann. Da seine Landschaftsbilder aufgrund ihrer Stimmungshaftigkeit aber trotzdem von vielen als romantisch empfunden werden, bezeichnet er sie als "Kuckuckseier".

Landschaften in der Abstraktion

Vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren entstanden stark abstrahierte Gebirgs-, Park- und Stadtbilder, die die Möglichkeiten einer ursprünglich fotografisch basierten Abstraktion malerisch noch weiter ausloten. Diese Werke changieren zwischen abbildhaft dargestellten Landschaftsmotiven und einer selbstreferenziellen Farbmaterialität in breiten Pinselstrichen. Bei diesem dualistischen Prinzip geht es nicht um eine klassische Abstraktion im Sinne einer Autonomisierung der Form, sondern vielmehr um die Frage, wie weit man – ausgehend von fotografischen Vorlagen – die Verselbständigung der Form treiben kann. Das zweiteilige, 250 x 680 cm messende Werk "St. Gallen" (1989) ist in der Abstraktion so weit gediehen, dass selbst Einheimische keine topografischen oder architektonischen Merkmale ihrer Stadt wiedererkennen.

Landschaften als fiktionale Konstrukte

In den 1970er- und 1990er-Jahren produzierte Richter auch Landschaften in Form fiktionaler Konstrukte. Anhand von Ölgemälden, Druckgrafiken, Fotocollagen und einem dreidimensionalen Objekt stellt er Landschaften und monumentale Räume dar, die es in der Wirklichkeit nicht geben kann. Meeres-, Berg- und Wolkenbilder wurden motivisch so zusammengesetzt, dass sie aufgrund ihrer Grösse oder Anordnung jede reale Erfahrung übersteigen.

Übermalte Landschaften

Ungegenständliche Übermalungen mit Ölfarben entstehen ab 1965, wobei so vielfältige, immer auch physisch geprägte Techniken wie das Abklatschen, Abschaben, Aufspachteln und Überrakeln zum Einsatz kommen. Durch die Fotografie einer Landschaft wird abbildhaft ein gegenständliches Motiv vermittelt, während gleichzeitig eine abstrakte Farbmaterie auf der Fläche appliziert wird. Diese zwei Wirklichkeitsebenen – auch mit Titeln ohne Ortsangabe wie bei "10.Apr.2015" (2015) – erscheinen als eine ineinander verzahnte Einheit, sie gehen hier eine enge, spannungsreiche und zugleich subtile Verbindung ein.

Rück- und Ausblick

Richter sagte 1981 über seine Landschaften: Solche Werke zeigen meine "Sehnsucht", sie sind ein "Traum nach klassischer Ordnung und heiler Welt". Und tatsächlich: Wenn wir über Landschaft sprechen, ist sie meist positiv besetzt. Aus der Perspektive des Betrachters wird wohl jeder dem Urteil zustimmen, dass Richters Landschaftsbilder unserer Vorstellung dessen, was unter "schön" verstanden wird, nicht zuwiderlaufen. Dass Richters andere Verlautbarung (1970), mit Landschaften "etwas Schönes" malen zu wollen, auch einen subversiven Charakter hat, ist der Beobachtung des Kunsthistorikers Dietmar Elger, Biograf und Leiter des Richter-Archivs in Dresden, zu verdanken. Denn zu jener Zeit waren andere Kunstströmungen wie Pop Art und Konzeptkunst sowie politisch motivierte Werke tonangebend. Richter malte gegen den Trend.

Landschaft in unruhigen Zeiten

Unsere Bewunderung für Landschaften und ihre ästhetische Qualität steigt zu Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Und ihre Wertschätzung wächst mit deren Verwüstung durch Kriege und ökologische Katastrophen. Die Evokation eines starken Gefühls ist der Kunst- und der Landschaftsbetrachtung gemein. Das Jahr 2021 steht noch im Zeichen der Corona-Krise, deren spürbarste Konsequenzen auf persönlicher Ebene das Physical Distancing sowie die starken Mobilitätseinschränkungen sind. Die Programmierung der Ausstellung in dieser Zeit ist ein Hoffnungsschimmer. Ein Besuch im Kunsthaus Zürich macht deutlich, wie wertvoll sinnliche Erfahrungen im gemeinschaftlichen Rezeptionsvorgang sind, vor allem dann, wenn sie zu Projektionsflächen von Sehnsucht werden, wie im Falle von Gerhard Richters Landschaften.

Kunsthaus Zürich zeigt "Gerhard Richter. Landschaft"
26. März bis 25. Juli 2021