Land of the Dead

Im zweiten Teil der großen Retrospektive zum Horrorfilm lädt das Filmmuseum ins Land der unruhigen Seelen. Während der erste Teil ein halbes Jahrhundert Kinogeschichte erschloss, in dem das Genre sich (buchstäblich) erst einen Namen machte und seine ersten klassischen Hochphasen erlebte, wird nun ein vergleichsweise kleiner Zeitraum ins Auge gefasst: Aufgrund der explosionsartigen Entwicklung der Produktion in den beiden Dekaden nach 1968 vollzog der moderne Horrorfilm seine monströsen Transformationen nämlich in Höchstgeschwindigkeit.

Ästhetisch wie inhaltlich wurden immer radikalere Positionen bezogen, auch weil offenere Gewaltdarstellungen möglich (und bald zur kommerziellen Bedingung) wurden. Indessen widmete sich eine zweite Traditionslinie der Weiterführung klassischer fantastischer Sujets in einer gewandelten Kinolandschaft: Ambitioniert literarische Ansätze und subtile Schreckensbilder begleiteten die Eskalation filmischer Schocks – manchmal sogar in ein und demselben Film.

Das Jahr 1968 darf auch im Horrorfilm als Umbruchsdatum gelten: In den USA sind die Zensurschranken des Production Code gefallen – und George A. Romero legt mit seinem Debüt "Night of the Living Dead" das stilbildende Werk der neuen Ära vor. Die (notgedrungen) pseudodokumentarische Ästhetik schafft eine Glaubhaftigkeit, die Romeros Tabubrüche noch schärfer konturiert, während die allegorischen Anklänge seiner Zombie-Invasion dem Genre eine neue, "direkte" politische Stoßrichtung geben: Bilder einer Nation im selbstzerstörerischen Aufruhr zwischen Bürgerrechtsbewegung und Vietnamkrieg.

In den 70er Jahren bringt das US-Horrorkino unter dem Deckmantel von Exploitation-Ware eine Reihe subversiver Gegenentwürfe zu den harmonisierenden Gesellschaftsbildern Hollywoods hervor. Romero ist wohl die Schlüsselfigur dieser engagierten Schocker-Welle – sein "Dawn of the Dead" darf als Zentralwerk des kapitalismuskritischen Kinos gelten. Der Welterfolg von Roman Polanskis "Rosemary"s Baby" macht 1968 aber auch zum Jahr, in dem sich der einst verrufene Horrorfilm endgültig als attraktive Option für größere Mainstream-Produktionen etabliert, während die künstlerische Salonfähigkeit des Genres bereits durch Horror-Ausflüge von Größen wie Ingmar Bergman (Stunde des Wolfs) oder Federico Fellini (Toby Dammit) bestätigt wird.

Zugleich erreicht Englands phantastisches Kino mit Terence Fishers Meisterwerken "The Devil Rides Out" und "Frankenstein Must Be Destroyed" den Höhepunkt. Auf die Demontage des überheblichen Menschen(-Schöpfers) in letzterem folgt bald eine Art Selbstdemontage der britischen Schauerproduktion – zuvor entstehen mit "The Wicker Man" oder Nicolas Roegs "Don"t Look Now" aber noch einige ganz ungewöhnliche, eigenständige Entwürfe. Parallel zu Roegs barocker Adaption einer Kurzgeschichte von Daphne du Maurier wird auch anderswo – oft "unverfilmbar" genannte – Literatur in erstaunliche filmische Phantasmagorien übersetzt: Fellinis Adaption von Edgar Allen Poe, Harry Kümels "Malpertuis" (nach dem großen Roman des Belgiers Jean Ray) oder Wojciech Has" "Das Sanatorium zur Sanduhr" nach Bruno Schulz, dem "polnischen Kafka".

Die zentrale Zündung im modernen Horrorfilm ist indes ein transatlantischer Austausch: Die blutigen Gore-Effekte erfolgreicher US-Exploitation der Sixties werden von Meistern des italienischen Giallo-Horrors aufgegriffen. Veteran Mario Bava produziert mit "Reazione a catena" 1971 die Blaupause für den Slasherfilm, John Carpenters perfekt komponierter Hit "Halloween" erntet 1978 die böse Saat und wird der einflussreichste Film der nächsten Dekade. Während Dario Argento in Italien den Giallo mit stupender Stilisierungskunst zum abstrakten Alptraum eines cinéma pur erhebt und Lucio Fulcis furioser Provinzschocker "Non si sevizia un paperino" in Tobe Hoopers Hinterwäldler-Horror "The Texas Chainsaw Massacr"e widerhallt, wendet sich das Gros des Genres bald schwachen Imitaten dieser Formeln zu.

Ausnahmen wie Fred Waltons When a "Stranger Calls", Sam Raimis delirierendes Debüt "The Evil Dead" und Wes Cravens traumhafter "Nightmare on Elm Street" bestätigen die Regel. Raimi, Stuart Gordon oder – in Deutschland – Jörg Buttgereit mit Nekromantik stehen auch für den letzten Schub an frischer Underground-Erfindungskraft in den 1980ern, bevor sich das Horrorkino zusehends in einer selbstreferenziellen Postmoderne auflöst.

"Land of the Dead" präsentiert die berühmten filmischen Eckpfeiler dieser Entwicklung – teilweise in hierzulande nie gezeigten Langfassungen (etwa von Stanley Kubricks "The Shining" und Joe Dantes "Gremlins") – mit Augenmerk auf den internationalen Kontext wechselseitiger Einflüsse: Die Auswahl wird komplettiert durch entscheidende, häufig vernachlässigte Hauptwerke des Horrors aus Asien, der aufbrechenden Filmindustrie Australiens und der starken spanischsprachigen Tradition des Phantastischen sowie durch die Beiträge visionärer Einzelgänger wie dem Franzosen Jean Rollin oder dem Kanadier David Cronenberg.


Land of the Dead
Horrorfilme 1968–1987
29. August bis 15. Oktober 2014