Lammkitz und Ziegenlamm

23. April 2012 Kurt Bracharz
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Seit ich in diesem Frühjahr in einem Bregenzerwälder Haubenlokal eine nicht weiter spezifizierte "Kitzschulter" hauptsächlich deswegen bestellt hatte, weil ich Ziegenfleisch gerne essen und es selten angeboten wird, und dann eine Lammschulter vorgesetzt bekam, habe ich mich mehrmals öffentlich darüber beklagt, dass es Ignoranten gibt, die glauben, dass man auch das Jungtier vom Schaf "Kitz" nennen könne.

Schließlich leitet sich das Wort "Kitz" etymologisch von der Ziege/Zicke ab, wie auch das Dialektwort "Gitzi" zeigt. Und für das junge Schaf gibt es das unmissverständliche Wort "Lamm", wozu es dann auch noch "Zicklein", "Lammkitz" oder ähnlich nennen? (Am Rande sei erwähnt, dass ich auf der Suche nach Ziegenfleischrezepten auch das Wort "Ziegenlamm" gefunden habe, was den Schluss zulässt, dass alle Kombinationen vorkommen.)

Jetzt musste ich aber feststellen, dass es sich bei dieser Doppeldeutigkeit von "Kitz" zumindest in Österreich tatsächlich um eine gängige Praxis handelt. In Christoph Wagners "Lexikon der Wiener Küche" steht es ausdrücklich: "Kitzl, s.: (mhd. kitze): auch Zickl oder Zicklein. Das Wort bezeichnet ein junges Lamm oder eine junge Ziege, die in einigen Gegenden Österreichs (meist gebacken) zum Osterfest verspeist wird." "Das neue Küchenlexikon" von Erhard Gorys kennt hingegen das Kitz nur als Ziege: "Kitz (Zickel), junge Ziege, wird grundsätzlich wie Lamm zubereitet, meist aber kräftiger gewürzt."

"Das Große Sacher Kochbuch" von Franz Maier-Bruck hat zwar ein eigenes, eine halbe Seite langes Kapitel "Kitz" mit drei Rezepten – gebacken, eingemacht und Paprikakitz (das "wie Kalbsgulyás" zubereitet wird) – und definiert Kitz als Ziege oder genauer (und eigentlich pleonastisch) als "junges Zicklein", fügt aber hinzu, es liefere "ein ähnliches Fleisch wie das Lamm". Im anderen Buch desselben Autors, "Vom Essen auf dem Lande", ist für den dem Bundesland Salzburg zugeordneten Kitzbraten in der Zutatenliste ohnehin "1 Kitz oder kleines Lamm (ca. 3 – 4 kg)" angegeben. Nun kann man zwar offensichtlich Braten, Keule, Rücken und Innereien von Lamm und Zicklein auf dieselbe Art zubereiten, im Geschmack unterscheiden sie sich aber doch genug, um die irreführende Bezeichnung "Kitz" für das Lamm abzulehnen.

Dass Ziegenfleisch nicht sehr populär ist, liegt wahrscheinlich am sprichwörtlichen Gestank des Ziegenbocks, über den Alexandre Dumas in seinem "Grand Dictionaire de Cuisine" schrieb: "Er ist der Mann der Ziege, den man nur jung, unter sechs Monaten essen kann, denn danach wird sein Fleisch ob seines sehr starken Geruchs unangenehm. (...) In Europa ist er überall verpönt und jeder Koch, der etwas auf sich hält, verachtet dieses Tier abgrundtief, denn, so wird er sagen, er stinkt und ist gerade als Böcklein noch gut genug."

Dumas lebte im 19. Jahrhundert, und Waverley Root berichtet in seinem 1980 erschienenen Buch "Food" von einer ganz anderen Wertschätzung des Ziegenfleisches im mittelalterlichen Frankreich: "Im Mittelalter war Ziegenkitz in Frankreich um so viel beliebter als Lammfleisch, dass gewissenlose Händler den Lammrumpf mit dem Schwanz eines Zickleins versahen, um Lamm als teures Zicklein zu verkaufen, was Betrügern den Namen "Verkäufer gefälschter Ziegen" eintrug. In Frankreich, Italien, Griechenland, Portugal und allen arabischen Ländern ist Kitz ein Frühlingsfestessen geblieben, doch nicht in Deutschland und England, wo es noch größeren Seltenheitswert besitzt als Pferdefleisch."

In Norditalien isst man Kitz nicht nur als Osterbraten, sondern beispielsweise in Ligurien als Capra e fagioli, wofür ein mit Gewürznelken in Weißwein geschmortes Ziegenragout zuletzt mit roten Bohnen vermischt wird, oder im Piemont als Capretto arrosto con carciofi, das auf ähnliche Weise als Ragout zubereitet, aber mit Knoblauch und Rosmarin gewürzt wird. Auch der Trentiner Sguazzett wird aus Ziegen- oder Lamminnereien zubereitet.