Allgemein wird davon ausgegangen, dass Künstler Kunst machen – was aber geschieht, wenn Maschinen Kunst produzieren? Werden aus Künstlern dann Ingenieure? Was bedeutet der scheinbare Rückzug des Künstlers aus dem kreativen Akt, und welche Konsequenzen resultieren daraus für Originalität und Einzigartigkeit des Kunstwerks? Was ist dann überhaupt das Kunstwerk: die Maschine, das Produkt oder der Akt seiner Herstellung?
Beginnend mit Jean Tinguelys Zeichenmaschinen aus den 1950er Jahren werden in einer von der Schirn und dem Museum Tinguely in Basel gemeinsam konzipierten Ausstellung Kunstmaschinen bis hin zur Gegenwart gezeigt, die eines gemeinsam haben: sie produzieren ihrerseits Kunst. Maschinen von Künstlern wie Angela Bulloch, Olafur Eliasson, Damien Hirst, Rebecca Horn, Jon Kessler, Tim Lewis, Lia, Miltos Manetas, Steven Pippin, Cornelia Sollfrank, Antoine Zgraggen und Andreas Zybach verwandeln die Kunsthalle in eine Produktionshalle. Dem maschinellen Produktionsprozess entsprechend können einige Werke wie Tinguely-Maschinen-Zeichnungen oder durch Stempel zertifizierte Blätter von Damien Hirst oder Olafur Eilasson von den Ausstellungsbesuchern mitgenommen werden.
Eine Maschine als Kunstwerk zu schaffen und dieser die Verantwortung für die Entwicklung weiterer Kunstwerke zu übertragen ist ein radikaler Schritt. Es ist die Abgabe von Kreativität an eine Apparatur. Haben solche Kunstmaschinen dann eine "Seele"? Tatsächlich entwickeln sie eine eigenständige Kraft und lassen ein Werk entstehen, das auch für sich alleine besteht – ohne es jedoch je beenden zu können. Der Maschine und ihrem automatisierten Prozess fehlen die Entscheidungskraft und die Möglichkeit der Selektion. Es entstehen maschinell gefertigte Kunstwerke, denen ein Moment der Endgültigkeit fehlt, die aber nichtsdestotrotz ein fundamentales Zugeständnis an die Souveränität der Maschine und einen grundlegenden Glauben an die Möglichkeiten der kreativen Schöpfung jenseits der individuellen Handlung zum Ausdruck bringen.
Die Ausstellung "Kunstmaschinen Maschinenkunst" setzt im 20. Jahrhundert mit dem Werk Jean Tinguelys ein, in dem sich die Auseinandersetzung mit der Maschine als eigenständigem kreativem Apparat in originärster Weise manifestiert. Seine "Méta-Matics", die erstmals 1959 in Paris ausgestellt wurden und mit denen er internationales Renommee erwarb, sind motorbetriebene Zeichenmaschinen, mit denen der Betrachter abstrakte Zeichnungen herstellen kann. Die Diskrepanz zwischen der Materialität der "Méta-Matics" und ihrer Funktion, Kunst zu produzieren, kann durchaus als ironischer Kommentar auf den damals vorherrschenden Glauben an den technischen Fortschritt verstanden werden. Zudem zeigt sich darin ein Reflex auf den Kunstkontext der 1950er Jahre: Die maschinell erstellten Zeichnungen entsprechen stilistisch der Malerei des Tachismus und führen so die Vorstellung von gestischer Abstraktion als unmittelbarem Ausdruck eines künstlerischen Individuums ad absurdum.
Diese Werkgruppe bildet gewissermaßen als historischer Grundstock die Basis der Ausstellung. Hier knüpft eine Auswahl von Arbeiten an, die eines gemeinsam haben: Der schöpferische Akt wird vom Künstler an die Maschine delegiert – ein Vorgang, der in letzter Konsequenz erst ab dem Ende des 2. Weltkriegs möglich war, als eine Generation junger Künstler antrat, mit einem der bestgehüteten Tabus der europäischen Kunst zu brechen: der Idee des Originalkunstwerks. Die Auswahl spiegelt diesen Vorgang in den verschiedenen künstlerischen Gattungen wie Malerei, Zeichnung, Skulptur, Video wider und endet offen bei der wohl größten "Kunstmaschine", dem World Wide Web.
Der Besucher begegnet Maschinen, die wie in Michael Beutlers Raumskulptur Proper en Droog ihre Produktion schon vor Ausstellungsbeginn abgeschlossen haben oder die wie Roxy Paines SCUMAK #2 während der gesamten Dauer der Schau produzieren, in diesem Fall organisch wirkende Skulpturen aus einer Art Knetmasse, die sich, nachdem sie aus der Maschine herausgedrückt worden ist, verfestigt. Die Zeichenmaschinen Making Beautiful Drawings von Damien Hirst und The endless study von Olafur Eliasson erfordern beide das Mitwirken des Besuchers und hinterfragen das Verhältnis zwischen Betrachter und Kunstwerk grundsätzlich.
Während Eliasson von einem physikalischen Phänomen ausgeht, interessiert Hirst vielmehr die Frage nach dem Schöpfer. Malt Andreas Zybachs Tunnelkonstrukt 0–6,5 PS durch die unwillkürliche Beteiligung des Betrachters, beginnt bei Angela Bullochs Blue Horizon die Maschine erst auf einen äußeren Impuls hin ihre Zeichentätigkeit, produzieren die beiden von Steven Pippin in Carbon Copier (Anyway) kombinierten Kopierer ihre "Zeichnungen" in delikaten Graustufen, wenn der Benutzer gleichzeitig beide Knöpfe drückt. Jon Kesslers Videoinstallation Desert konfrontiert uns hingegen ebenso ohne Unterlass mit Sonnenuntergängen, wie Tim Lewis’ Auto-Dali Prosthetic am laufenden Meter signiert.
Pawel Althamers Extrusion Machine (Bottle Machine) stellt blasphemische Plastikflaschen her, Antoine Zgraggens Großer Hammer und seine Zerquetscherin helfen dem Besucher, sich ungeliebter Gegenstände zu entledigen, Tue Greenforts Mobile Trinkglaswerkstatt wandelt Glaseinwegflaschen in Trinkgläser um. Mit den Arbeiten von Lia, Miltos Manetas und Cornelia Sollfrank schließlich kommt die "Metakunstmaschine" World Wide Web ins Spiel, mit der man – ähnlich wie mit Tinguelys Werken in den 1950er Jahren – die Hoffnung auf eine weitere Demokratisierung des Kunstbetriebs verbindet.
Das Verhältnis zwischen Künstler, Kunstwerk und Betrachter wird in allen Arbeiten thematisiert, ist jedoch nicht immer Ausgangspunkt der Arbeit. Darüber hinaus erlaubt die Kunstmaschine die Beteiligung des Publikums und ermöglicht eine massenhafte Kunstproduktion, die deutlich mit der Aura des unwiederholbaren Kunstwerks bricht. Auch wenn der Betrachter bei manchen Werken nicht unmittelbar in die Produktion involviert ist, erhält er Einblick in diese und damit die Möglichkeit der Reflexion darüber, wo das Kunstwerk beginnt.
Nie wird es dem Künstler jedoch gelingen, endgültig aus dem Werk zu verschwinden. Die Kunst produzierende Maschine bleibt ein Werkzeug, solange sie sich in den Parametern des Künstlers bewegt. Erst in dem Moment, in dem sie eigenständig handelt und auf Situationen autark reagiert, kann sich die Frage nach der Autorschaft ändern. Die Kreativität der Kunstmaschine erweist sich erst in dem Moment, in dem sie unkontrolliert, dem Zufall überlassen schafft. Die Maschine kann ohne die Anwesenheit des Künstlers produzieren, aber sie kann nie ohne die Idee des Künstlers existieren.
Katalog: "Kunstmaschinen Maschinenkunst". Hg. von Katharina Dohm, Heinz Stahlhut, Max Hollein und Guido Magnaguagno. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Guido Magnaguagno, Texten von Katharina Dohm und Heinz Stahlhut sowie Justin Hoffmann und ausführlichen Werkkommentaren. Deutsch-englische Ausgabe, ca. 160 Seiten, ca. 130 farbige und Schwarzweißabbildungen, Festeinband, Kehrer Verlag, Heidelberg, ISBN 9 783939 583400, EUR 24,–.
Kunstmaschinen - Maschinenkunst
Kunstmaschinen und deren "künstlerische" Erzeugnisse
18. Oktober 2007 bis 27. Januar 2008