Kunsthaus Bregenz: Jordan Wolfson

Jordan Wolfson ist für seine eindringlichen und beunruhigenden Arbeiten bekannt, die in unterschiedlichen Medien und Formaten die gegenwärtigen Bedingungen der Kunst, der Technologie und der Massenmedien untersuchen.

Wolfson bezieht seine Motive aus der Gaming-Industrie, aus Internet-Clips, Comic-Strips oder Gesichtserkennungssoftwares. Seine Werke sind alles andere als leicht bekömmlich; sie stellen unbequeme Fragen: Wie werden Bilder und Informationen verarbeitet? Wie dringen Technologien in unser Denken und in unsere Wahrnehmungen ein? Wie gehen wir mit Themen wie Sexismus, Rassismus und Homophobie um? Was machen unsere Ängste mit uns?

In einem seiner Werke finden sich die Besucher:innen in eine virtuelle Welt versetzt: Wolkenkratzer ragen in den Himmel, Autos und gelbe Taxis rauschen auf einer der großen New Yorker Avenues vorbei, Straßenlärm ist zu hören – ganz normaler Großstadtalltag. Schon allein durch seine unheimliche Realitätsnähe besticht das 3D-Video. Doch dann ereignet sich in unmittelbarer Nähe ein ungeheuerlicher Vorfall: Ein Mann prügelt einen anderen mit einem Baseballschläger zu Tode. Wir, die Betrachter:innen, werden Zeug:innen des Geschehens, sehen das Opfer schließlich verbluten. Das eigene Schauen macht uns zu (Mit-)Schuldigen. VR, Virtual Reality, verwandelt sich in RV, Real Violence, 2017.

House with Face, 2017, zeigt exemplarisch Wolfsons Fähigkeit, visuelle Formen zu schaffen, die uns vertraut vorkommen, uns aber gleichzeitig beunruhigen. Wir sehen eine urige Blockhütte mit einem Dach, das an die verzerrte Grimasse einer hexenähnlichen Gestalt erinnert, an deren Gesicht – an Stirn, Wangen und Kinn – Metallringe montiert sind, die wie Piercings hervorstechen.

Artists Friends Racists, eine groß angelegte visuelle Collage aus dem Pandemiejahr 2021, wird im Erdgeschoss des KUB präsentiert. Zwanzig an einer Wand befestigte Hologramm-Ventilatoren drehen sich mit hoher Geschwindigkeit und erzeugen die Illusion von Bildern, die im Raum schweben, rotieren, pulsieren und zersplittern. Emojis, Davidsterne und die Arme einer Zeichentrickfigur mischen sich unter Porträts berühmter Künstler:innen. Auch Wolfson reiht sich ein.

Den Projektionen, die Wolfsons Bewunderung und Wertschätzung für seine Freund:innen und Künstlerkolleg:innen Ausdruck verleihen, sind Bilder gegenübergestellt, die seine Verachtung zeigen für unterdrückerische Autoritäten und für die subtilen und offensichtlichen Formen eines in die moderne weiße Identität eingeschriebenen Rassismus. Um dies zu verdeutlichen, präsentiert das Werk Bilder von Niederländer:innen in schwarzer Maske, die den "Zwarte Piet" feiern und von Weißen, die selbstzufrieden in den Spiegel schauen und sich scheinbar keiner Schuld bewusst sind. Anhand von Szenen aus der Kinderfernsehserie Sesamstraße und Bildern vom 11. September 2001 stellt Wolfson "high" und "low", das Harmlose und das Zerstörerische, das Niedliche und das Brutale einander gegenüber. Dazwischen erscheinen die Zahlen der Ventilatoren wie ein geheimer Countdown oder ein Code, den wir nicht entziffern können.

Die Videoarbeit Raspberry Poser, 2012, ist im ersten Obergeschoss zu sehen. Die Projektion zeigt eine aufgebrachte Comicfigur, ein Kondom, das durch die Straßen des New Yorker Stadtteils SoHo streift, ein Anarchie-Zeichen, das sich in rasantem Tempo abwechselnd in ein Herz und in Geschlechtersymbole verwandelt. Wolfson spielt mit unserer Angst vor AIDS. Aus dem Kondom rieseln Perlen, die wie Bonbons oder Blutzellen aussehen. Schließlich taucht die stachelige Kugel eines Virus auf, eine Form, die uns seit der Pandemie allzu vertraut ist. Auch in dieser Arbeit setzt sich Jordan Wolfson mit sexueller Identität und inneren Konflikten auseinander, ohne Antworten zu geben. Stattdessen erscheint Wolfson selbst als Skinhead mit kahlgeschorenem Kopf, wie er durch Pariser Parks streift. Raspberry Poser verzichtet darauf, verbindliche Realitäten zu schaffen oder klare moralische Aussagen zu liefern, und doch wirft die Videoarbeit existenzielle Fragen zu Liebe, Leben, Begehren und Tod auf.

Im zweiten Stock sind Collagen auf Holz- und Metallträgern ausgestellt, die Wolfson als Wall Objects bezeichnet. Sie sind mit Fotos und Aufklebern versehen, Seile oder Ketten baumeln herab, viele weisen symmetrisch gebohrte Löcher auf. Einige der Collagen erinnern an Werkbänke, andere lassen an Folterinstrumente denken. Manche haben die Form eines Davidsterns. In den physischen Objekten verzahnen sich virtuelle und imaginäre Welten und verschmelzen mit Bildern, die von Gefühlskälte, drohender Gefahr oder Rachedurst zeugen.

Im obersten Geschoss tanzt eine Roboterfigur vor einem Spiegel. Die Female Figure, 2014, trägt kniehohe Stiefel, ein weißes Negligé und eine blonde Perücke. Schwarze, böse blickende Augen lugen unter der grünen Maske eines Pestarztes hervor. Wolfson übersetzt Videotechnologie in Skulptur. Verblüffend anmutig schwingt das Go-go-Girl die Arme, während seine Gelenke zu den Rhythmen von Popmusik knarzen. Wolfson leiht der verschmutzen Figur, die auf erstaunliche Weise zugleich abstoßend und anziehend wirkt, seine Stimme: "Meine Mutter ist tot. Mein Vater ist tot. Ich bin schwul." Ein Gefühl der Beklommen-heit stellt sich ein – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die Skulptur den Spiegel nutzt, um Blickkontakt zu den Betrachter*innen herzustellen.

Jordan Wolfson (*1980, New York) studierte Bildhauerei an der Rhode Island School of Design. Er lebt und arbeitet in Los Angeles.

Jordan Wolfson
16. Juli bis 9. Oktober 2022