2014 jährt sich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal. Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg nimmt dieses Ereignis zum Anlass, um den Blick auf die Methoden und Auswirkungen der modernen Massenpropaganda zu richten. Erstmals setzten alle Kriegsparteien konsequent auf die neuen technologischen Möglichkeiten, mit modernen Medien die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Vor dem Hintergrund der zeitgleich entstehenden Forschung zur Massenpsychologie wurden kommunikative und künstlerische Strategien entwickelt, die entscheidenden Anteil hatten an der Intensität und Dauer des Ersten Weltkriegs auf internationaler Ebene.
Abgrenzung: Eine Tendenz, die sich zu Krisenzeiten beobachten lässt, ist die Konstruktion und Aufwertung der eigenen Identität bei gleichzeitiger Abwertung des Anderen. Dieses "Othering" wurde im Ersten Weltkrieg getragen von einer versuchten Negierung bzw. Ausschaltung aller internationalen Einflüsse auf den heimischen Warenverkehr und die Kultur. Im Deutschen Reich führte dies zu einem Feldzug der "Verdeutschung" bzw. bei der Entente und ihren Verbündeten zur "Entdeutschung". In der Ausstellung wird dies anhand der Umbenennung kanadischer und australischer Städte von deutschen Namen ins Englische und der Vertriebsgeschichte des deutschen Mundharmonikaherstellers Hohner thematisiert, der zu Kriegszeiten auch die Gegenseite beliefert.
Fakt und Fiktion: Der Krieg verschiebt die Grenzlinie zwischen Fakt und Fiktion. Hierin besteht die große Chance der Propaganda. Bei allen Kriegsteilnehmern bieten Gerüchte, kalkulierte Dramatisierungen und zielgerichtete Gräuelpropaganda ein großes Potential, um Menschen zu beeinflussen und die Massen zu lenken. Bis heute herrscht nur bedingt Klarheit über die gewaltsamen Übergriffe auf die belgische Bevölkerung durch deutsche Soldaten oder die Katastrophe der Versenkung des Passagierschiffs Lusitania am 7. Mai 1915. Dessen ungeachtet nutzte die Propaganda der Entente die Darstellung des Kaisers, bzw. allgemeiner, des Deutschen als grausamem, blutrünstigem Tier. Die "War Cartoons" von Louis Raemaekers hatten prägende Auswirkungen auf das Deutschlandbild in der Entente. Zahllose Filme, Plakate und Bildpostkarten transportierten dieses Bild bis nach Australien und Südafrika. Die deutsche Rechtfertigungspropaganda beruft sich vor allem auf Statistiken und suggeriert eine sachliche Argumentation.
Darstellung des Krieges: Der Erste Weltkrieg weckt bei den Daheimgebliebenen ein großes Bedürfnis nach Bildern vom Geschehen an der Front: Maler, Zeichner und Fotografen illustrierten die Ereignisse und boten sie u.a. in Mappenformaten zum Kauf an. Als Quellen dienten ihnen die eigene Anschauung oder Erzählungen aus zweiter Hand. Insbesondere die Arbeiten der Frontmaler wurden aufgrund ihrer persönlichen Zeugenschaft für authentisch gehalten. Illustrierte Zeitschriften tragen diese Bilder in bürgerliche Haushalte. Die Glaubhaftigkeit derartig subjektiv produzierter Darstellungen ist während des Ersten Weltkriegs höher als heute. Die noch stärker mit dem Versprechen der Objektivität belegte Fotografie gewinnt zunehmend Bedeutung in der Kriegsberichterstattung, unterliegt jedoch der staatlichen Zensur.
Krieg erzieht: Ist das kindliche Kriegsspiel lediglich eine Facette der gewohnten Alltagswelt zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder hat die Militarisierung im Kinderzimmer zur Verharmlosung und Akzeptanz des Krieges beigetragen? Die Propaganda setzt auf Emotionalisierung und Vereinfachung. Kinderbücher, Brettspiele und Kostüme transportieren auf diese Weise klar vorgegebene Feindbilder im Rollenspiel und sorgen so für die frühe Einübung einer patriotischen Haltung. Die Begeisterung für das kriegerische Rollenspiel in der Bevölkerung sind sogar durch Amateur-Filme dokumentiert.
Kampf der Masse: Bevor im Deutschen Reich vermehrt professionelle Werbemedien wie das Plakat oder der Film zum Einsatz kommen, werden allerorts mit öffentlichen "Nagelungsveranstaltungen" umfangreiche Spenden gesammelt. Hölzerne Kriegswahrzeichen wie Heldenfiguren oder das Eiserne Kreuz werden in öffentlichen Massenveranstaltungen mit hunderttausenden Nägeln versehen. Der Nagel steht für das Bekenntnis des Einzelnen für die gemeinsame Sache. Die Einnahmen aus diesen Veranstaltungen sollen u.a. Kriegerwitwen oder Verwundeten zu Gute kommen, dienen letztlich aber wohl primär der Kriegsfinanzierung. Die Idee, Einzelne durch Massenveranstaltungen zu erreichen, ihn partizipieren zu lassen, ist ein bis heute erfolgreichen Prinzip.
Heldenverehrung: Prominente bieten Projektionsflächen für Propaganda. Zu Kriegszeiten sind bekannte Personen wertvolle Werbebotschafter für die Ansprache der Bevölkerung. Paul von Hindenburg und die britische Sanitäterin Edith Cavell sind herausragende Beispiele eines Personenkults, der propagandistisch genutzt wird. Während das Ehepaar Hindenburg aktiv die Positionierung des Generals als nationale Symbolfigur in Konkurrenz zum Kaiser mitbestimmt, wird im britischen Empire, Frankreich und Belgien Edith Cavell als Märtyrerin gefeiert und symbolisch überhöht. Ihre Opferbereitschaft gilt allen Frontsoldaten als beispielhaft. Keiner anderen Frau wird im Ersten Weltkrieg derartige Aufmerksamkeit zuteil. Hindenburg wie Cavell werden in diversen Devotionalien verewigt.
Gefechte auf der Leinwand: Das Medium Film – im Ersten Weltkrieg erstmals als Propagandainstrument eingesetzt – offenbart mehr noch als alle statischen Bilder das scheinbar wahre Gesicht des Krieges. Der britische Dokumentarfilm "Battle of the Somme" (1916) hebt sich von den etablierten "informativen" Wochenschauen ab und zeigt erstmals unverhohlen Entbehrungen, Leid und Tod der Soldaten. Das Publikum zu Hause, insbesondere die städtische Bevölkerung, Frauen und Industriearbeiter, sind nach Jahren der idealisierenden Frontdarstellungen geschockt und dennoch dankbar für diese neue Realität. Die deutsche Produktion "Bei unseren Helden an der Somme" (1916) erzielt wegen fehlender Glaubwürdigkeit in der Darstellungsweise keinen durchschlagenden Erfolg beim Publikum.
Mangelwirtschaft: Die fortschreitende Dauer der Kämpfe führt nicht nur zu katastrophalen Opferzahlen in den Schützengräben, sondern verlangt auch von den Menschen an der sogenannten Heimatfront große Entbehrungen. Bei anhaltender Lebensmittelengpässe und Hungerunruhen müssen außerdem Verzichtsopfer wie Haare oder Felle etwa für Decken erbracht werden. Der Konsum soll noch weiter eingeschränkt werden, Nahrungsmittel werden rationiert. Liebesgaben wie Schokolade oder Postkarten für Frontsoldaten, Metallspenden (auch Eheringe) und Spendensammlungen für Opferverbände oder das Rote Kreuz werden weiter auf konservative Weise mit Druckerzeugnissen beworben.
Werbefeldzüge: Die intensive Kriegsführung verschlingt ungeheure Summen, die durch umfangreiche Reklamekampagnen bei den Bevölkerungen eingeworben werden müssen. Dieses Ausstellungskapitel widmet sich der Gesamterscheinung der internationalen Kriegsanleiheplakate, die, abhängig vom Urheberland, mit verschiedensten Bild- und Werbestrategien arbeiten. Viele Plakate beziehen sich auf die bereits etablierten Feindbilder und zeichnen eine direkte Linie von der Bereitstellung des Geldes zur Vernichtung des Feindes. Andere Kampagnen appellieren an den Patriotismus oder formulieren Durchhalteparolen, die der Bevölkerung suggerieren, dass der Krieg bei ausreichender Opferbereitschaft ein schnelles Ende des Krieges findet.
Game Changer: Mit dem vergleichsweise späten Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im April 1917 betritt auch auf dem Gebiet der Propaganda ein neuer professioneller Akteur die Bühne. George Creel, ein früher Journalist, und das Committee for Public Information installierten in kurzer Zeit eine facettenreiche und hocheffiziente Werbemaschine. Sie nutzte alle klassischen Medienformen und setzt zudem auf mehrere Zehntausend öffentlicher Redner, darunter Prominente wie Charles Chaplin, die mit rhetorisch geschliffenen vierminütigen Vorträgen ein Millionenpublikum in ihren Bann ziehen. Mit diesen erheblichen Propagandabemühungen gelang es, die amerikanische Bevölkerung von der Notwendigkeit eines Krieges zu überzeugen, dessen Front tausende von Kilometern entfernt lag. Die Welt sicherer zu machen für den Einzug der Demokratie, war einer der zentralen Slogans in diesem Werbefeldzug.
Krieg und Propaganda 14/18
20. Juni bis 2. November 2014