Kraftfelder

Walter Stöhrer (1937-2000) gehört zu den rebellischen Einzelgängern in der deutschen Kunst. Als ein Hauptvertreter der gestisch-figurativen Malerei hat er die nationale Kunstszene nachhaltig geprägt. Im Jahr der Kulturhauptstadt "Ruhr.2010", in das zugleich der 10. Todestag des Künstlers fällt, ehrt das MKM den Maler mit der ersten umfassenden Werkschau im Ruhrgebiet. Beginnend mit den frühen Gemälden der 1960er Jahre werden auf 1.000 qm Ausstellungsfläche Werke aus allen wichtigen Schaffensphasen bis hin zum letzten Bild präsentiert.

Rund 70 Gemälde sowie Übermalungen auf Papier, Radierungen, Zeichnungen und Tuschen sind im MKM zu sehen. Das älteste Bild datiert von 1960/62, das jüngste Gemälde hat Stöhrer 1999 vollendet. Es handelt sich um das letzte Bild, an dem der Künstler kurz vor seinem Tod noch gemalt hat. Der Besucher erlebt einen Gang durch vier Jahrzehnte drängenden Schaffens, wobei die lockere Chronologie Raum für spannende Werk-Kombinationen gibt. Ergänzt werden die Bilder durch eine Dokumentation von Skizzen, Briefen und Künstler-Heften Stöhrers, die seine schöpferischen Arbeitsprozesse vermitteln.

Das Werk Walter Stöhrers ist singulär. Gleichwohl hat der Künstler neben seinem Studienkollegen Horst Antes und seinem Lehrer HAP Grieshaber als Protagonist der neuen Karlsruher Figuration die deutsche Kunstgeschichte entscheidend mitgestaltet. Charakteristisch ist das farbintensive, freie Zusammenspiel von Malerei, Schrift und Zeichnung mit figurativen und expressivgestischen Ausdrucksmitteln. "Das Entscheidende war sein unheimlicher Elan und sein Drang, sich ausdrücken zu wollen. Seine Malerei war manchmal eine richtig barbarische Tat", sagt Günther Wirth, der Stöhrers Werk über Jahrzehnte als Freund, Kurator und Kunstkritiker begleitet hat.

Eine besondere Bedeutung für die Werke Stöhrers hat die Literatur. Häufig zitiert er auf den Leinwänden und in seinen Bildtiteln Text- und Gedichtfragmente. Dabei setzt er Schrift nicht nur als Gestaltungselement ein, sondern die Bilder entstehen aus seiner assoziativen Auseinandersetzung mit der Literatur. Der Fokus der Ausstellung im MKM liegt auf Stöhrers Gemälden, daneben sind aber auch wichtige Radierungen, Tuschen und Übermalungen auf Papier zu sehen. Aus seinem umfangreichen druckgraphischen Werkkonvolut wird u.a. der 14-teilige Zyklus "Horror trip" vorgestellt.

Ein zentraler Raum der Ausstellung zeigt die monumentale 4-teilige Arbeit "Schlachtet den Vater" von 1969. In einer fünfstündigen öffentlichen Malaktion hatte Walter Stöhrer damals im Württembergischen Kunstverein Stuttgart vier großformatige Zeichnungen (je 220 x 630 cm) seines Professors HAP Grieshaber übermalt, der seinen ehemals besten Studenten selbst dazu eingeladen hatte. Das Ergebnis ist – insbesondere vor dem Hintergrund der zeitgleichen Radikalität eines Joseph Beuys – ein eindrucksvolles Zeugnis der Auseinandersetzung mit Lehrer, Tradition und Vorbild, das zugleich Stöhrers Kreativität und Gestaltungswillen dokumentiert.

In Scholderup in Schleswig-Holstein hat Walter Stöhrer sein letztes großes Atelier eingerichtet. Dort hat er seit seiner Berufung im Jahr 1986 zum Professor für Malerei an die Berliner Hochschule der Künste in den Sommermonaten gelebt und gearbeitet und dort ist er im Frühjahr 2000 gestorben. Heute befindet sich in Scholderup die Walter Stöhrer-Stiftung, mit der diese Ausstellung in enger Zusammenarbeit entstanden ist.

Es erscheint ein begleitender Katalog im Verlag Brinkmann & Bose mit Texten von Eva Müller-Remmert, Claudia Posca, Karsten Müller und einem Gespräch von Walter Smerling mit Günther Wirth.

Walter Stöhrer - Kraftfelder

16. September bis 5. Dezember 2010