Kosmos Kubismus. Von Picasso bis Léger

Der Kubismus, der Anfang des 20. Jahrhunderts von Pablo Picasso und Georges Braque entwickelt wurde, revolutionierte die Kunst. Die Ausstellung "Kosmos Kubismus. Von Picasso bis Léger" im Kunstmuseum Basel fächert die Epoche in einem chronologisch angelegten Panorama auf und lädt zur Neuentdeckung ein. Die in Kooperation mit dem Centre Pompidou in Paris entstandene Schau bringt erstmals eine grosse Zahl der herausragenden kubistischen Werke beider Sammlungen zusammen und bietet damit einen Kontext, in dem die weltberühmten Basler Gemälde aus der Schenkung Raoul La Roche optimal zur Geltung kommen. Ergänzt um bedeutende Leihgaben aus internationalen Sammlungen stellt die Ausstellung in Basel mit insgesamt rund 130 Werken einen umfassenden Überblick zu diesem zukunftsweisenden Kapitel der Kunstgeschichte der Moderne vor.

Der Kubismus war von ungeheurer Innovationskraft. Er hatte auf den Verlauf der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts einen kaum zu überschätzenden Einfluss und stellt noch heute ein Abenteuer für unsere Sehgewohnheiten dar. Mit ungebremster Kreativität rissen Pablo Picasso und Georges Braque innerhalb weniger Jahre die festgefügten Bausteine der traditionellen Kunstauffassung einen nach dem anderen nieder, bis sie mit ihren Neuerungen der Kunst eine gänzlich neue Grundlage geschaffen hatten. Die charakteristische Formzersplitterung, die kubistische Werke kennzeichnet, ist das Resultat einer Abkehr vom abbildenden Verhältnis zwischen Kunst und Wirklichkeit; mit seiner Kombination von Zeichen und Fragmenten richtet sich der Kubismus nicht nur an den Sehsinn des Menschen, sondern auch an dessen Geist. Neue Materialien stellen die Vorstellung einer Hochkunst in Frage und treten in ein spielerisches, experimentierfreudiges Verhältnis zur Alltagskultur, die mittels Collagen von Zeitungsartikeln und Tapeten Einzug ins Kunstwerk hält.

"Kosmos Kubismus. Von Picasso bis Léger" zeugt einerseits vom Pioniergeist und der treibenden Kraft des Duos Picasso–Braque. Andererseits wird deren über Jahrzehnte kanonisch gewordene Vorstellung des Kubismus durch den Einbezug der Künstler des sogenannten Salonkubismus erweitert und differenziert: Ab 1910 nahmen in Paris lebende Künstler wie Juan Gris, Fernand Léger, Robert und Sonia Delaunay sowie Henri Le Fauconnier die neue Bildsprache auf und entwickelten sie weiter. In grossen Formaten, die das moderne Leben feiern, stellten sie in den Salons der Pariser Kunstwelt ab 1911 aus und trugen damit wesentlich zur internationalen Verbreitung des Kubismus bei.

"Kosmos Kubismus. Von Picasso bis Léger" fächert die Entwicklung des Kubismus von 1908 bis nach dem Ende des Ersten Weltkriegs auf. Die Ausstellung vermittelt mit diesem weit gefassten zeitlichen Horizont die enorme stilistische Spannweite der Kunstrichtung ebenso wie ihr revolutionäres Potenzial, das viele der Enwicklungen der Kunst des 20. Jahrhunderts bereits vorwegnimmt. In neun chronologisch und thematisch konzipierten Kapiteln wird nachvollziehbar, wie Picasso und Braque sich unter anderem durch die Inspiration, die sie aus Skulpturen etwa des afrikanischen oder pazifischen Raums beziehen, vom Akademismus westlicher Prägung und der klassischen Kunstvorstellung lösen. Braques in Erdfarben gehaltener "Grosser Akt" (1907/08) ist dafür ein herausragendes Beispiel. Während die beiden Künstler einerseits den Eigenschaften des Archaischen, "Wilden" und Ursprünglichen nachspüren, versetzt sie das Vorbild Paul Cézannes in die Lage, nicht das Abbild der Natur darzustellen, sondern Ausdruckswege für eine innere Gesetzmässigkeit und Notwendigkeit zu suchen.

Ab 1908 erscheinen bei beiden Künstlern in den in L’Estaque entstandenen Landschaften und den Stilleben mit Musikinstrumenten kristalline, quasi-geometrische Elemente, die den Eindruck vermitteln, als seien sie von einer inneren, ideenbasierten Ordnung durchdrungen. Die farbliche Reduktion auf Grün- und Brauntöne, die zeitgleich eingeleitet wird, steigert sich bald darauf zu einer fast vollständiger Beschränkung auf ein lichtvolles Grau und Braun, wie Braques "Krug und Violine" (1909/10) oder Picassos "Sitzender Akt" (1909/10) exemplarisch zeigen. Braque und Picasso widmen sich jeder ihrer neuen Entwicklungen mit spürbarer Experimentierfreude, die sich in einem wiederholenden und variierenden Prinzip niederschlägt. In einem solchen seriell anmutenden Verfahren erproben beide Künstler auch den Gebrauch der neu ins Bild eingeführten Buchstaben, Wortfragmente und Zeichen, die nicht nur den visuellen Sinn des Betrachters ansprechen, sondern sein Kombinationsvermögen herausfordern: Ein Bildsinn lässt sich nurmehr über das interpretierende Zusammenfügen der diversen Bildelemente konstruieren, wie in Braques berühmten Basler Bild "Der Portugiese
2" (Der Emigrant)(1911/1912).

Die Porträts von Händlern und Literaten, darunter Gertrude Stein, Guillaume Apollinaire und Daniel Henry-Kahnweiler, erweitern den Blick auf die Vernetzung der Kubisten mit Verlegern, Sammlern und Dichtern, die den Kubismus förderten und für seine Verbreitung und Resonanz in der Literatur sorgten.Der Wandel, der sich 1912 mit der Rückkehr zur Farbe und der Erfindung der Collage vollzieht, wird in der Ausstellung in zwei Räumen dargestellt. Einerseits wird der experimentelle Umgang mit Materialien und Farbe demonstriert, andererseits die Collage und Assemblage mit ihrer Kombinationstechnik von Zeitungsausschnitten, Tapeten und anderen Wirklichkeitsfragmenten thematisiert. Die Aufnahme und Wandlung der Bildsprache in avantgardistischen Pariser Künstlerkreisen wiederum wird in "Kosmos Kubismus" mit Hauptwerken, die in den Pariser Salons von 1911 bis 1914 gezeigt wurden, abgebildet. Henri Le Fauconniers "Überfluss" (1910/11), Jean Metzingers "Frau mit Pferd" (1912), Francis Picabias "Udnie" (1913) und Sonia Delaunays "Elektrische Prismen" (1914) sind nur einige Beispiele für diesen Teil der kubistischen Geschichte.

Der letzte Raum ist den Entwicklungen des Kubismus nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gewidmet. Er zeigt Werke der einberufenen kubistischen Künstler, die unter dem Eindruck des Lebens an der Front entstanden, ebenso wie jene der in Paris verbliebenen Protagonisten Gris und Picasso – darunter dessen Gemälde, die die Grenze zur Abstraktion streifen.

Katalog: Der vom Centre Pompidou konzipierte, umfangreiche Katalog zur Ausstellung erscheint in einer vom Kunstmuseum Basel herausgegebenen Ausgabe bei Hirmer auf Deutsch und Englisch. Die Beiträge internationaler Autoren umfassen eine Historiographie des Kubismus von Brigitte Léal, die Beschreibung der kritischen Rezeption der Kunstrichtung von Ariane Coulondre, eine Ausstellungsgeschichte seit 1935 von Christian Briend, eine Betrachtung zu Kubismus und Farbe von Eva Reifert, eine Einordnung des Kubismus und der "Kubismen" von David Cottington, eine Analyse von Kubismus und Abstraktion von Pepe Karmel sowie eine Perspektive auf Picasso, Braque und Duchamp und Malerei in Bewegung von Olivier Berggruen.

Kosmos Kubismus. Von Picasso bis Léger
30. März bis 4. August 2019