Kontaktzonen

Vom 30. Januar bis 11. April 2010 zeigt der Württembergische Kunstverein die erste umfassende Einzelausstellung der Kölner Künstlerin Bettina Lockemann (geb. 1971). Lockemanns Werke stechen gerade durch ihre unspektakuläre Geste innerhalb der zeitgenössischen Fotokunst hervor. Die hohe bildnerische Qualität, die inhaltliche Komplexität und präzise Konzeption ihrer Arbeiten zeugen von einem reflektierten Umgang mit den ästhetischen wie theoretischen Parametern der Fotografie.

In ihren umfangreichen Serien geht die Künstlerin verschiedenen gesellschaftlichen Fragestellungen nach. Sie lenkt den Blick auf urbane Situationen, globale Strukturen, Konstruktionen des Fremden, politisch definierte Räume oder Kontroll- und Überwachungsszenarien. Die Untersuchung der Beziehungen zwischen Bild und Wirklichkeit steht dabei immer im Zentrum: Welche Projektionen und Erwartungen wirken auf unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit ein? Wie schreiben sich diese Projektionen in Bilder ein beziehungsweise, umgekehrt, wie lassen sie sich in Bildern hintertreiben?

Lockemann bedient sich Ästhetiken des Dokumentarischen, also einer bildnerischen Sprache, die wir geneigt sind als neutrale und wahrhaftige Darstellung von Wirklichkeit zu lesen, obwohl wir um deren Manipulierbarkeit wissen. Genau hier setzt die Künstlerin an, indem sie den Betrachter, wie etwa in der Serie Code Orange (2003), bewusst in die Irre führt. Die Serie zeigt Schwarzweissaufnahmen von Straßen in Washington DC und New York City, in denen sich die Belanglosigkeit austauschbarer städtischer Situationen mit Hinweisen auf Überwachung und Kontrolle überkreuzen. Der Blick auf Absperrungen, Vans, Helikopter und Personen ist auf eine Weise organisiert, dass man glaubt, heimlich konspirativen Operationen – oder den Dreharbeiten zu einem Hollywoodfilm beizuwohnen.

In der in Japan entstandenen Fotoserie Contact Zone (2008) geht es um die Auseinandersetzung mit dem Fremden. Dabei konfrontiert Lockemann den Betrachter allerdings nicht mit Belegen, die der Vorstellung des Andersartigen entsprechen, sondern mit der eigenen Kultur, die man beim Blick auf das Fremde leicht übersieht.

In den meisten Arbeiten sind es urbane öffentliche Räume, die Lockemann befragt. Die Serie EP/2006/K (2006/2007). dagegen wurde in Innenräumen aufgenommen: in den Fluren, Sitzungsräumen oder Büros des Europäischen Parlaments in Brüssel. Obwohl – oder gerade weil – die Bilder das Innere des Verwaltungsapparates zeigen, verdeutlichen sie dessen Undurchdringlichkeit.

Das jüngste Projekt der Künstlerin, Unbestimmtes Terrain (2009), entstand während verschiedener Aufenthalte in Istanbul und Ankara. Im Vordergrund ihrer urbanen Erkundungen standen dabei Spuren des Wandels sowie die Frage nach der Präsenz oder Nicht-Präsenz der Grenzverläufe zwischen Asien und Europa. Der Blick auf die städtischen Strukturen ist dabei häufig durch Personen, Fahrzeuge oder Gebäude verstellt.

Neben Fotografien stellt die Ausstellung auch einige Videoarbeiten der Künstlerin vor, darunter die aus drei Projektionen bestehende Arbeit Border Patrol (2001), in denen verschiedene Bannmeilen im Sinne unsichtbarer Grenzen und urbaner Leerfelder umkreist werden.

Viele Bilder von Lockemann zeigen leere, austauschbare Stadtlandschaften, in denen die wenigen Personen nur mehr als Staffage auftreten. Doch geht es ihr nicht nur darum, die modernen Städte in ihrer Gesichtslosigkeit zu zeigen. Sie bringt das Gesichtslose vielmehr als Projektionsfläche ins Spiel und legt somit die Lektüre ihrer Bilder offen.

Bettina Lockemann. Kontaktzonen
30. Januar bis 11. April 2010