Die Kunsthalle Wien zeigt mit „Burn The Diaries, Read Them Out Loud” eine Ausstellung, die ein Programm aus Performance, Lesungen und diskursivem Austausch mit dem Schwerpunkt auf Text in der zeitgenössischen Kunst präsentiert.
Als Gruppenausstellung im Prozess konzipiert, stehen die zu Beginn installierten Kunstwerke im Dialog mit zahlreichen performativen Interventionen, die über einen Zeitraum von vier Monaten in und um die Kunsthalle Wien Karlsplatz stattfinden. Das Format betrachtet die Praxis des Kommentierens, Editierens und Schreibens in der Kunst: Der Text wird dabei nicht nur als vorläufige Notiz, sondern auch als Skelett des Kunstschaffens getestet. Die Ausstellung dient als Blatt, auf dem Kunstwerke und Performances als zusammenhängende Notizen vermerkt werden – sie samplen, zitieren und erproben sich selbst und einander.
Der Titel der Ausstellung „Burn The Diaries, Read Them Out Loud” vereint zwei unterschiedliche Referenzen. Er kombiniert Zitate aus dem Buch „Index Cards” der Künstlerin Moyra Davey und eine handschriftliche Notiz, die die Kuratorin Gina Merz in einem Exemplar von Kathy Ackers „Bodies of Work” entdeckt hat. In einem Kapitel mit dem Titel „Burn The Diaries” (Die Tagebücher verbrennen) wendet Davey eine Methode des Editierens an, die eine Vielzahl von Stimmen neben ihrer eigenen impliziert. Acker wiederum untersucht in ihren Essays die Beziehung zwischen Text, Stimme und Interpretation.
Künstler:innen, die Text in ihren Arbeiten verwenden, wurden eingeladen, die Ausstellung als Produktions- und Experimentierraum zu nutzen. Ein speziell konzipiertes Display des Künstlers Ian Waelder bildet in Absprache mit den Künstler:innen, der Kuratorin und der Institution eine interaktionsbereite Kulisse sowie einen Ort der Referenz und Begegnung. Eine großflächige MDF-Wand mit fünf Fensterausschnitten und einem langen Sockel erstreckt sich über die gesamte Länge des Gebäudes und bildet dabei einen Satz. So wie die Interpunktion den Fluss eines Satzes bestimmen kann, lenkt das Display den Blick durch eine Reihe von ausgeschnittenen „Fenstern” mit von Joshua Leon gestalteten Glasscheiben auf die belebte Kreuzung am Karlsplatz.
Die Ausstellung wurde auch von dem Buch „Anemones: A Simone Weil Project” (2021) der Dichterin Lisa Robertson inspiriert, das Robertsons kommentierte Übersetzung von Weils Essay „What the Occitan Inspiration Consists Of” aus dem Jahr 1941 enthält. Das Rietlanden Women's Office hat gemeinsam mit Robertson an der Gestaltung des Buches gearbeitet, um ihre Annotationen hervorzuheben – ein Prozess, der im Bereich der Veröffentlichung von Texten und Übersetzungen sonst nicht zu sehen ist. Für die Ausstellung hat das Rietlanden Women's Office zwei Plakate entworfen, die auf Lisa Robertsons Buch „Anemones” basieren. Die Ausstellung umfasst auch zwei Sockel im Foyer der Kunsthalle Wien Karlsplatz, auf denen „Entertaining Ideas” zu sehen ist: eine von Prosopopoeia kuratierte Auswahl von Büchern. Prosopopoeia ist ein in Wien ansässiger Projektraum für text- und sprachbasierte künstlerische Praxis unter der Leitung von Inga Charlotte Thiele.
Die Installation von Anahita Asadifar hat die Form eines Arbeitsplatzes – mit Tisch, Stuhl, Kopfhörern und Monitor – und suggeriert einen Ort der Forschung. Auf dem Monitor wird die Methode der Montage zur Sprache Asadifars in einer Komposition von Textfragmenten und Bildsegmenten, die Claude Cahun, Audre Lorde, Susan Sontag und Bell Hooks zitieren. Diese Stimmen versuchen, ein neues Gespräch zu beginnen.
Sanna Helena Bergers Installation „Schmutztitel” (2025) erstreckt sich über die gesamte Wand des Ausstellungsraums und besteht aus einer großen Anzahl von Ausgaben des 1983 von Elfriede Jelinek geschriebenen Buchs „Die Klavierspielerin”.
Lara Dâmaso erforscht das expressive, therapeutische und politische Potenzial der Stimme in enger Beziehung zu Bewegung und Tanz. Die Künstlerin konzentriert sich auf den sensiblen und vibrierenden Dialog zwischen Menschen und dem Raum, den sie bewohnen. In der Ausstellung wird sie eine neu in Auftrag gegebene Videoarbeit zeigen.
Miriam Stoneys tagebuchartiger Beitrag „Missing” (2025) hat die Form eines fiktiven Journals, das während der Ausstellung täglich aktualisiert wird. Die Künstlerin wird sich mit einem im Raum aufgestellten Drucker verbinden, um ihre Texte aus der Ferne zu senden und zu drucken. Im Laufe der Ausstellung wird sich eine traumähnliche Erzählung, die sich aus Stoneys gelebter Realität ableitet, im Druckertablett aufbauen.
Shanzhai Lyrics präsentiert die neueste Version ihres laufenden Projekts „Incomplete Poem [Hedge]”. (2023) ist eine Holzstruktur, die mit einer Sammlung von Slogan-T-Shirts drapiert ist. Diese reflektieren die chinesische Shanzhai-Kultur. Der Begriff „Shanzhai” stammt aus dem Chinesischen und bedeutet „Bergfestung”. Er steht für nachgeahmte oder imitierte Produkte und die Subkulturen, die um sie herum entstehen. Shanzhai Lyric präsentiert die T-Shirts als sich entwickelndes poetisches Archiv. Sie erscheinen wie ein verkörperter, fragmentarischer Text, der durch Wiederholung, Parodie und Zirkulation geformt wird.
Eleanor Ivory Webers pointiertes Gedicht der Dualismen mit dem Titel „Smoking is good” (2023) wird die LED-Anzeige, die die Fassade der Kunsthalle überspannt, in Beschlag nehmen.
Mit Anahita Asadifar, Sanna Helena Berger, Lara Dâmaso, Joshua Leon, Ville Laurinkoski, Prosopopoeia, Rietlanden Women’s Office, Lisa Robertson, Shanzhai Lyric, Miriam Stoney, Ian Waelder und Eleanor Ivory Weber.
Burn The Diaries, Read Them Out Loud
Über das Kommentieren, Editieren und Produzieren von Text in der zeitgenössischen Kunst.
Die Ausstellungseröffnung am Donnerstag, dem 5. Juni, wird von Ville Laurinkoskis Performances begleitet.
6. Juni bis 19. Oktober 2025