Karl Röhrig ist bis heute einer der unbekannten Bildhauer Deutschlands. Zugleich ist er einer der bedeutendsten Bildhauer der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Röhrig trat Ende der 1920er Jahre mit den 10 bis 15 Werken auf den Plan, die ihm einen Platz im Kreis der bedeutendsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts sichern. Seine Holzskulpturen "Autofahrt" und "Sonntagsspaziergang", die 1932 entstanden, sind nicht nur komisch anzusehen, sondern an Sarkasmus kaum zu überbieten.
Neu ist vor allem Röhrigs Ansatz, Menschen aus seiner nächsten Umgebung in diesen kleinen Abbildern des realen Lebens bewusst lächerlich zu machen. Karl Röhrig gelingt es hier, der "verspießerten" Gesellschaft und der verlogenen Moral seiner Zeit einen Spiegel vorzuhalten. Er erweist sich mit dieser Pointierung Künstlern wie Georg Grosz oder Otto Dix als ebenbürtig. Mit diesen kleinformatigen "Karikaturen" trat Röhrig nicht nur gleichberechtigt neben die bekannten sozialkritischen Malergrößen seiner Zeit, er schuf mit diesen kleinen Skulpturen auch in formaler Hinsicht einen neuen Typus, der das "Environment", wie es nach dem Zweiten Weltkrieg in der amerikanischen Kunst in Lebensgröße überaus bedrückend auf den Plan trat, antizipierte.
Den collagierenden Umgang mit verschiedenartigen Materialien, den Karl Röhrig im "Sonntagsspaziergang" und in der "Autofahrt" angedeutet hatte, vervollkommnete er in seinem bedeutendsten Werk, dem "Mann von der Winterhilfe", den er 1933 schuf. In diesem Werk gelang es ihm, den Nazispießer so zu entlarven, dass keine Fragen mehr übrig bleiben. Er zeigt darin den reichen Mann, der in dem Bewusstsein, sich mit einem kleinen Obulus für das Winterhilfswerk nicht nur eine Anstecknadel, sondern auch einen Heiligenschein und einen Freibrief für seine Börsenspekulationen, erkauft zu haben, dickbäuchig, mit Zigarre im Mund einherschreitet.
Dies ist kein "freundlicher Onkel", der freudig und großzügig spendet, es ist vielmehr ein Herr, der sich mit der kleinen Spende und dem überdeutlich sichtbar getragenen Spendenabzeichen einer lästigen Pflicht entledigt. In dieser Skulptur zeigt Röhrig den Kriegsgewinnler, denjenigen, der sein Fähnchen zur rechten Zeit in den Wind hängt, denjenigen, der noch aus dem Elend seinen Profit schlägt. Diese kompromisslose Anprangerung der herrschenden Zustände in der Personifizierung des wohlhabenden Bürgers als Parteigänger der Nazis hebt die Figur heraus aus der großen Masse der Belanglosigkeiten und dem, was das "Dritte Reich" von den Künstlern verlangte.
Mit seiner Skulptur "Der Mann von der Winterhilfe" steht Karl Röhrig außerhalb aller Nazi-Kategorien und auch weit jenseits dessen, was in der deutschen Bildhauerei der 1930er Jahre formal oder inhaltlich erwähnenswert wäre, er steht in dieser Zeit völlig alleine, er ist der einzige sozialkritische, veristische Bildhauer.
Karl Röhrig
3. April bis 17. Juni 2012