Klee & Kandinsky. Nachbarn, Freunde, Konkurrenten

Paul Klee (1879-1940) und Wassily Kandinsky (1866-1944), zwei Namen, die heute geradezu als Synonyme für die Klassische Moderne gebraucht werden. Fundamentale Bewegungen der Avantgarde wie "Der Blaue Reiter" oder das Bauhaus sind mit den Lebensläufen dieser Künstler verwoben; sie gelten als Gründungsväter und Schrittmacher der abstrakten Kunst. Zugleich gingen Klee und Kandinsky als eines der großen Freundespaare in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ein.

Klee und Kandinsky waren über beinahe 30 Jahre freundschaftlich, wenngleich nie distanzlos, miteinander verbunden. Sie lernten sich 1911 als Nachbarn in Schwabing kennen und Kandinsky bezog Klee in die Aktivitäten des "Blauen Reiter" ein. Nach dem Ersten Weltkrieg trafen sich beide 1922 als Lehrer am Bauhaus in Weimar wieder, 1925 siedelten sie mit dem Bauhaus nach Dessau über, wo sie in den neuerrichteten Meisterhäusern von Walter Gropius Tür an Tür wohnten. 1933 wurden sie durch die Ereignisse der Zeitgeschichte getrennt: Kandinsky emigrierte vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach Paris, Klee kehrte in seine Schweizer Heimat zurück.

In ihrem Verhältnis ging es um eine konzentrierte künstlerische Auseinandersetzung, die viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede und Konkurrenzen enthielt. Beide strebten eine Spiritualisierung der Kunst und die Eigengesetzlichkeit der bildnerischen Mittel an. Zugleich aber waren sich Klees ironischer Realitätsbezug und Kandinskys Idealismus ebenso fremd wie Klees individualistische Wandelbarkeit und Kandinskys Anspruch auf autonome Gesetze der abstrakten Kunst.

Die Eröffnungssektion der Schau zeigt Klee und Kandinsky am Beginn ihrer Laufbahn, als jeder auf seine Weise eine Synthese zwischen Naturnachahmung und freier Erfindung zu entwickeln versucht. Kandinsky greift dabei auf nostalgische Vorbilder der russischen Volkskunst zurück, Klee entdeckt seine eigenen Kinderzeichnungen. Thematisch steht dabei die satirischen Skepsis Klees dem Idealismus Kandinskys gegenüber. Am Ende des Jahrzehnts erzielt Kandinsky mit seinen expressiven Murnauer Landschaftsbildern einen Durchbruch, der Klee vorläufig versagt bleibt.

Bei ihrem ersten persönlichen Kontakt im Herbst 1911 herrscht zwischen Klee und Kandinsky ein extremes Ungleichgewicht: Kandinsky ist auf einem ersten Höhepunkt seiner Laufbahn, Klees dagegen stagniert. Klee ist in dieser Periode ausschließlich Zeichner und Graphiker und schwankt in seinen Ausdrucksmitteln noch zwischen Impressionismus und kubistisch beeinflussten Formexperimenten. Kandinsky dagegen schafft als Maler und Theoretiker zur Zeit des Blauen Reiter 1911/12 mit seinen abstrakten grossformatigen Gemälden eine neue Bildsprache. Beide Künstler respektieren sich jedoch in ihrer Eigenart. Kandinsky schätzt Klees graphische Sensibilität, Klee bewundert Kandinskys Mut zur Farbe und revolutioären Experiment.

Die Sektion über das Verhältnis von Klee und Kandinsky zur Musik bildet innerhalb des sonst chronologischen Ablaufs der Ausstellung einen Sonderfall, an diesem gemeinsamen Thema werden die jeweiligen Positionen über einen größeren Schaffenszeitraum hinweg thematisiert. Klee findet in der Musik ein künstlerisches Ordnungssystem, das er als vorbildlich für die bildende Kunst ansieht. Er entwickelt bildnerische Analogien zu musikalischen Strukturen. Für Kandinsky ist das strukturelle Prinzip der Musik ein Vorbild für die abstrakte Komposition einer neuen autonomen Malerei aus den selbstständigen Elementen Farbe und Linie. Zugleich befaßt er sich mit eigenen Bühnenstücken wie dem Gelben Klang oder den Bühnenentwürfen zu Mussorgskys Bilder einer Ausstellung.

Als Klee und Kandinsky nach der Unterbrechung des Ersten Weltkrieges zu Beginn der 1920erJahre im Bauhaus erneut zusammen treffen, hat sich ihr gegenseitiger Status geändert. Klee hat sich zu einer wichtigen Künstlerfigur der Weimarer Republik entwickelt, Kandinsky muss nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion neu beginnen. Künstlerisch ist Klees Werk der Weimarer Zeit pluralistisch und reicht von erzählerischen Szenen bis zu beinahe abstrakten Arbeiten. Kandinsky dagegen strebt einen "Generalbass" der Malerei auf der Grundlage fester Farb- und Form- Verhältnisse an. Der Offenheit und dem individuellen Gestaltungsansatz Klees steht die geometrische Konsequenz Kandinskys gegenüber.

Die Jahre am Dessauer Bauhaus bilden einen Höhepunkt der Ausstellung und zeigen die besondere Annäherung von Klee und Kandinsky in den Jahren 1925 – 1931/33, die soweit ging, dass selbst manche Zeitgenossen ihre Werke verwechselten. Während bei Klee eine Formalisierung und Geometrisierung festzustellen ist, stellt sich bei Kandinsky eine Lockerung seines strengen Bildvokabulars ein. Und während bei Klee das erzählerische Element zurückgeht, nimmt bei Kandinsky umgekehrt die Tendenz zu, seinen Bildern mit figürlichen Anspielungen eine zusätzliche inhaltliche Dimension zu geben. In manchen Fällen findet ein regelrechter Dialog statt, bei dem die beiden Künstler gleiche Motive oder Techniken – vor allem die Spritztechnik aufgreifen und in ihre je eigene Sprache übersetzen.

Im Januar 1933 ergreifen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland. Sowohl für Kandinsky wie für Klee hatte dieser tiefgreifende Einschnitt existenzielle Konsequenzen: Klee wird als Professor in Düsseldorf entlassen, Kandinsky sieht sich mit der bevorstehenden Schliessung des Bauhauses konfrontiert. Beide Künstler reagieren auf die nationalsozialistische Machtergreifung auch künstlerisch: Zahlreiche Werken sind von einer düsteren, zu Brauntönen tendierenden Farbigkeit geprägt. Während in Klees Bildsprache die Bedrohung in symbolischen Anspielungen fassbar wird, bleiben die Bilder Kandinskys abstrakt, werden jedoch durch inhaltliche Titel zugespitzt.

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten gehen beide Künstler noch im Jahr 1933 ins Exil und haben sich an ihren neuen Lebensorten zu behaupten. Klee in seiner alten Heimat Bern, in der er als international berühmter Künstler nicht nur willkommen ist, Kandinsky in Paris, wo er erneut um die Anerkennung der abstrakten Kunst kämpfen muß. Kandinsky erhebt in seinem Pariser Schaffen ab 1934 den Neubeginn zum Programm. Klee braucht für eine künstlerische Neuorientierung auch wegen seiner schweren Erkrankung mehr Zeit, er schafft jedoch nach einer letzten Begegnung mit Kandinsky in der Schweiz 1937 ein äußerst produktives Spätwerk. Sowohl Kandinsky wie auch Klee bedienen sich in dieser Phase der biomorpher Formen. Klee bleibt in neuartigen, groben Strukturen näher an der Pflanzenwelt, Kandinsky hält an seiner Faszination durch den Mikro- und Makro- Kosmos fest, wobei er sich einer starken Farbigkeit bedient, die an die russische Inspiration seiner Anfangsjahre erinnert.


Klee & Kandinsky. Nachbarn, Freunde, Konkurrenten
23. Oktober 2015 bis 24. Januar 2016