Kino der Andeutungen, Blicke und Gesten: Die Filme von Claire Denis

Claire Denis gehört zu den großen Außenseiterinnen des Kinos. Nur wenige ihrer bislang elf langen Spielfilme schafften den Weg in die deutschsprachigen Kinos, denn mit ihrer fragmentierten Erzählweise, in der Blicke und Gesten wichtiger als ein klar ausformulierter Plot sind, bewegt sich die 67-jährige Französin auch abseits der Konventionen des Arthouse-Kinos. - Das St. Galler Kinok widmet Denis derzeit eine Filmreihe.

In Denis´ berühmtestem Film "Beau Travail" (1999) erinnert sich der Feldwebel Galoup (Denis Lavant) in Marseille an seine Zeit als Fremdenlegionär in Dijbouti, am Horn Afrikas. Wie ein Ballett choreographiert Denis die mit Musik von Benjamin Britten unterlegten Szenen vom Training muskulöser Körper, zeigt dazwischen die Männer aber auch beim Schälen von Kartoffeln oder bei Discobesuchen. Erfahrbar wird durch die quasidokumentarischen Einstellungen und die minimalistische, auf Emotionalisierung verzichtende Inszenierung das Fremdsein und die Deplatziertheit dieser Truppe von Europäern.

Weniger auf Narration, die sich erst entwickelt als ein neuer Rekrut eintrifft, der Galoups führende Stellung beim Kommandanten gefährdet, zielt "Beau Travail" ab als vielmehr auf die Sezierung des Militärischen. Präzise vermittelt Denis den Zwang zur Uniformität und die damit verbundene Unmöglichkeit die eigenen Gefühle auszuleben, bis diese allerdings doch durchbrechen.

Wie dieses Fremdenlegionsdrama spielt auch Denis´ 1988 gedrehtes Debüt "Chocolat" und der 21 Jahre später entstandene "White Material" (2009) in Afrika. In ihre Kindheit kehrt die 1948 geborene Französin damit zurück, wuchs sie doch als Tochter eines französischen Kolonialbeamten in Kamerun, Djibuti und Burkina Faso auf.

Schon 1972 hatte sie zwar ihr Studium an der Pariser Filmhochschule IDHEC abgeschlossen, doch bis sie ihren ersten eigenen Film drehen sollte, dauerte es noch 16 Jahre. Erfahrungen sammelte sie in dieser Zeit als Regieassistentin unter anderem von Robert Bresson, Jacques Rivette, über den sie auch einen Dokumentarfilm drehte, Wim Wenders und Jim Jarmusch.

Während sie in "Chocolat" autobiographisch gefärbt mit den Augen eines französischen Mädchens auf den Kolonialismus im Kamerun der späten 1950er Jahre blickte, stellte sie bei "White Material" eine von Isabelle Huppert gespielte Plantagenbesitzerin in den Mittelpunkt. Sind die Hierarchien in "Chocolat" noch weitgehend intakt, so wird die Plantagenbesitzerin in "White Material" durch Revolten und Freiheitsbewegungen der Afrikaner zunehmend in die Defensive gedrängt, weigert sich aber das Land zu verlassen.

Wie in "Beau Travail" kreisen somit auch diese Filme um das Gefühl der Fremdheit und gemeinsam ist ihnen auch das elliptische Erzählen. Denis formuliert die Dinge nicht aus, sondern lässt in Blicken und Gesten schwelende Unruhe und Risse erahnen, sie inzeniert Gewalt nicht ausladend, sondern deutet Massaker in "White Material" nur beiläufig an.

Das Kino von Claire Denis ist keines des Erklärens, sondern eines des intensiven Beobachtens und Zeigens. Immer wieder fokussiert die Tochter einer Atheistin und eines christlichen Vaters auf menschlichen Körpern, rückt ganz nah an sie ran, und dennoch bewahren diese Menschen, ebenso wie die Orte ein Geheimnis.

Im Gegensatz zu den Protagonisten der drei "Afrikafilme" fühlt sich der afrikanischstämmige Pariser Lokführer Lionel in "35 Rhums" (2008) in Europa fremd. In Anlehnung an Yasujiro Ozus "Banshun" entwickelt Denis hier aus der Beziehung Lionels zu seiner erwachsenen Tochter, die wissen, dass die Zeit des Abschieds bald kommen wird, ein poetisches Ballett von Körpern und Blicken.

Auch hier legt Denis mehr Wert auf einzelne Momente als auf den Aufbau einer dramatischen Geschichte. Trotz der privaten Vater-Tochter-Geschichte weitet sich dabei aber auch immer wieder der Blick aufs Allgemeine, wenn die Kamera abends über die erleuchteten Fenster der gegenüberliegenden Wohnblocks gleitet und damit die Frage aufgeworfen wird, wie denn die Menschen dort leben.

Um eine Bruder-Schwester Beziehung geht es dagegen in "Nénette et Boni" (1996), den Denis in ihrer Heimatstadt Marseille drehte, aber auf Postkartenansichten der Hafenstadt konsequent verzichtet. Nur eine Totale, die der Situierung der Handlung dient, gibt es in dem in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichneten Drama, alle anderen Einstellungen sind Halbtotalen und Nahaufnahmen und zeigen Orte, in denen sich nur die Bewohner des Canet-Viertels bewegen.

Bruchstückhaft bleibt auch hier die Geschichte der zerstrittenen Geschwister Nénette und Boni, denn wichtiger sind die Verletztheit, die Träume und Sehnsüchte der jungen Protagonisten, die Agnes Godards Kamera intensiv vermittelt.

Nicht nur Godard hinter der Kamera gehört zum fixen Team von Denis, sondern auch der Drehbuchautor Jean-Poll Fargeau, die Schnittmeisterin Nelly Quettier, die Schauspieler Isaach De Bankolé, Béatrice Dalle, Alex Descap, Mati Diop, Grégoire Colin, Vincent Gallo und Michel Subor sowie der Komponist Dickon Hinchliffe und die britische Band Tindersticks.

Doch so sehr sich Motive wiederholen, so sehr sich die Körperlichkeit durch die Filme der 67-Jährigen Französin zieht, so sehr gelingt es ihr doch immer wieder zu überraschen. So arbeitet sie in "Trouble Every Day" (2001), in dem einen Amerikaner auf der Hochzeitsreise in Paris blutige sexuelle Fantasien überkommen, mit Fragmenten des Vampirfilms und entwickelt ein verstörendes Psychodrama um Begehren und Zerstören, Lust und Tod.

Am Film noir orientiert sich dagegen der Thriller "Les salauds" (2013), der Akira Kurosawas bittere Kapitalismuskritik "Die Bösen schlafen gut" (1960) für die Gegenwart adaptiert. Die Geschichte um einen Kapitän, der während der Recherchen zum Selbstmord seines Schwagers eine obsessive Affäre beginnt, nützt Denis um tief in die Abgründe der französischen Geld-Aristokratie zu tauchen.

So wie Denis Fremdheit immer wieder thematisiert, so fremd und irritierend sind ihre Filme auch immer - und gerade dadurch nachwirkend und aufregend, weil sie dem Kino Möglichkeiten zeigen, die in anderen Filmen nur ganz selten beschritten werden.

Trailer zu "Trouble Every Day"