Das Mumok in Wien widmet der seit 2013 in Wien lebenden Künstlerin ihre erste museale Einzelausstellung außerhalb Japans. Ihre rätselhaften Bilder zeigen Körperfragmente, Gesten oder Blicke, die in der surrealistischen Tradition der Hinterfragung der Darstellung des weiblichen Körpers stehen. Aus unterschiedlichsten Bildquellen zusammengesetzt, durchdringen sich darin verschiedenste Zeitebenen, Erzählräume und Blickregime. Figuren werden in einem Schwebezustand zwischen Erscheinen und Verschwinden gehalten, wodurch Momente des Phantasmatischen entstehen.
Taguchis transitorisches Werk entsteht am Übergang von Malerei und Fotografie und knüpft selbstreflexiv an die historischen Diskurse beider Medien an. Dafür schöpft die Künstlerin aus dem kollektiven Bildgedächtnis: Anonyme, massenmedial verbreitete Bilder, historische Kunstwerke – etwa aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien – sowie Fotografien aus ihrem privaten Umfeld und eigene Gemälde oder Bildfragmente werden von ihr immer wieder neu überarbeitet, medial übersetzt und kombiniert. Ihre Arbeitsweise zieht wiederholende Resonanz und Reanimation den Vorstellungen von Neuschöpfung und Progression vor. Taguchi selbst vergleicht die multiplen Schichten und wiederholten Eingriffe, die schließlich in kleinformatige analoge Schwarz-Weiß-Fotografien münden, mit der Arbeit einer Malerin, die unentwegt an ihre Staffelei zurückkehrt. Die spezifische Form von Entrücktheit, die Taguchi in ihren Bildern erzeugt, lässt sich am ehesten mit dem Begriff des „yügen” fassen. Dieser ist ein zentrales Konzept der japanischen Ästhetik und gibt dem Angedeuteten den Vorzug vor dem Expliziten und Vollständigen. Es wurde beschrieben als „Suche nach Tiefe im Nebel, der Transzendenz in der Immanenz”.
In ihrer Ausstellung im Wiener Mumok präsentiert die Künstlerin zwei unterschiedliche Werkgruppen in einer eigens entworfenen Architektur, die durch eine Abfolge von fünf kleinen, in Serie geschalteten Raumkompartimenten strukturiert ist und sich somit mit einer musikalischen Partitur vergleichen lässt. Taguchis seit 2019 entstandener und bislang umfangreichster Zyklus trägt den Titel „The Eyes of Eurydice”. In Referenz auf die mythologische Figur der Eurydike, die Orpheus nicht aus der Unterwelt erlösen konnte, weil er auf dem Rückweg den verbotenen Blick auf sie wagte, erscheinen in unendlichen Grauabstufungen wiederholt phantomhafte weibliche Gesichter und Körperfragmente. Die neu entwickelte fotografische Serie „In Anticipation”, 2025, widmet sich den „Spatial Concepts, Expectations” des italienischen Malers Lucio Fontana aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Was als Versuch Fontanas begann, durch Schnitte in die materielle Bildoberfläche dem zweidimensionalen, bloß illusionistischen Bildraum zu entkommen und eine Koexistenz mit dem unendlichen Raum zu erzeugen, wird bei Taguchi zur Erforschung dessen, was potenziell im Dazwischen dieser Grenzen entstehen kann.
Die ungreifbare Distanz, die von den geisterhaften wie offenkundig konstruierten Fotografien ausgeht, zeugt von Taguchis widerständiger Auseinandersetzung mit einer Gegenwart, die von visuellen Rückkoppelungsschleifen und der narzisstischen De- und Rekonstruktion des digitalen „Selbst“ bestimmt wird.
Kazuna Taguchi wurde 1979 in Tokio geboren und lebt und arbeitet seit 2013 in Wien.
Kazuna Taguchi
I’ll never ask you
Kuratiert von Heike Eipeldauer
13. Juni bis 16. November 2025