Kartografie und Kunst

Die Ausstellung "Shaping the Invisible World - Digitale Kartografie als Werkzeug des Wissens" untersucht anhand von Kartografie die Repräsentationsformen der Karte als Werkzeuge zwischen Wissen und Technologie. Die ausgestellten Künstler und Künstlerinnen verhandeln in ihren Werken die Bedeutung der Karte als Massstab einer digitalen, technologischen und globalen Gesellschaft. Mit den technologischen Mitteln unserer Zeit zeigen sie Bilder und Territorien unseres Planeten, die neue Möglichkeiten für die Kommunikation und Navigation eröffnen.

Kartografie ist eine in der Antike entwickelte Wissenschaft, die die Vermessung und Konstruktion der Welt anstrebte und Kommunikation und wirtschaftlichen Austausch zwischen Menschen und Kulturen ermöglichte. Jede Karte ist aber zugleich eine Interpretation und Imagination und damit nicht neutral. Heute treiben IT-Unternehmen die Fortschritte in diesem Bereich voran und verändern damit auch drastisch unser Weltbild respektive die Art und Weise wie wir global kommunizieren, navigieren und konsumieren. Neben einer Demokratisierung in der Kartengenerierung werden digitale Karten zunehmend zur politischen und ökonomischen Manipulation eingesetzt. Fragen nach Privatsphäre, Urheberschaft, wirtschaftlichen Interessen und Big Data-Management sind von hoher Relevanz und stehen in engem Zusammenhang mit zeitgenössischen kartografischen Praktiken.

Waren Karten einst einer herrschenden Elite vorbehalten, ermöglichen und erzeugen sie heute vielfältige subjektive Perspektiven auf die Welt. In einer von visueller Kultur geprägten, hoch vernetzten Gesellschaft, lassen Informationstechnologien die Vervielfältigung und Verbreitung über etliche Medien und soziale Kanäle zu – eine Vielfalt, die unsere Weltsicht zunehmend prägt und unsere Identität, Beziehungen und Interaktionen mit unserer Umgebung bestimmt. Durch diese neue egozentrische Perspektive erzählen zeitgenössische Karten persönliche Geschichten, die Kreativität und Selbstinszenierung in den Vordergrund stellen. Das Medium der Karte wird zum Massstab einer digitalen, technologischen und globalen Gesellschaft und gibt Auskunft über deren Zustand. Heutige Karten stellen nicht nur dar, sondern dokumentieren, verhandeln und visualisieren auch subjektive Weltbilder. Aber sind solche Karten demokratischer? Wer profitiert von diesen selbstbestimmten Produktionen und was sind ihre Folgen?

Die Entwicklung des Web 2.0, also Websites mit einem höheren Anteil an nutzergenerierten Inhalten, ermöglichte zwar eine Demokratisierung von Geodaten, der Konflikt zwischen proprietären und frei verfügbaren Daten bleibt jedoch bestehen. Selbst wenn Google Maps der dominierende online-Kartendienst bleibt, gibt es Alternativen in Form freiwillig erhobener geografischer Informationen wie z.B. "OpenStreetMap". Diese Karten sind gemeinschaftsbasiert und werden durch die Nutzerinnen und Nutzern selbst erstellt.

Die in der Ausstellung "Shaping the Invisible World" präsentierten Künstlerinnen und Künstler nutzen subversive Strategien im Bereich des digitalen Mappings und der Kartographie. Sie schaffen spektakuläre Panoramen und virtuelle Szenerien, um über die kulturellen Auswirkungen der digitalen Technologien auf unser Verständnis der Welt nachzudenken. Die im Spannungsfeld zwischen subversiver Kartografie und digitalem Mapping verortete Ausstellung beleuchtet die Faszination für Karten hinsichtlich deren Potential zur Demokratisierung von Wissen. Indem die Künstlerinnen und Künstler verborgene Realitäten, wenig sichtbare Entwicklungen und mögliche neue soziale Beziehungen innerhalb eines Territoriums aufdecken, ebnen sie den Weg, unsichtbare Welten zu gestalten.

Ausgestellte Werke

Das Studio Above&Below, gegründet von Daria Jelonek (DE) und Perry-James Sugden (GB), entwickelte die Installation "Digital Atmosphere" (2020), die Augmented Reality zur Visualisierung lokaler Luftverschmutzungsdaten verwendet. Die Arbeit, die von frühen Geräten zur Luftverschmutzung inspiriert wurde, verwendet Live-Daten, um eine sich entwickelnde virtuelle Erfahrung zu erzeugen. "Digital Atmosphere" entstand aus Gesprächen mit Wissenschaftlern des King's College in London. Der Atmo-Sensor wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Schweizer INT-Studio entwickelt.

Die Künstler Tega Brain (AU), Julian Oliver (NZ) & Bengt Sjölén (SE) haben ein auf Supercomputer und maschinellem Lernen basierendes Simulationsprogramm zur Erstellung verschiedener Szenarien geschaffen, in denen mögliche zukünftige klimatische Bedingungen sowie notwendige Schutzvorkehrungen für die Lösung von Klimakrisen vorhergesagt werden. Die vom Supercomputer in ihrer Arbeit "Asunder" (2019) vorgeschlagenen Ergebnisse sind oft absurd und unwahrscheinlich. Die Arbeit kritisiert die sogenannte rechnerische Neutralität sowie den Glauben an technologische Lösungen von Krisen wie der globalen Erwärmung.

Das Werk "Catch and Release" (2018) von James Bridle (GB) untersucht die Geschichte der Radartechnologie und ihren aktuellen Entwicklungen, wobei die Geschichte der Überwachung mit der der Beobachtung des Vogelzuges verknüpft wird. Der Künstler durchforscht die Tour du Valat-Datenbank und hinterfragt die Verwendung grosser Datenmengen zum Verständnis von Naturphänomenen. Tatsächlich löscht die Installation die Daten aus dem Datensatz, während sie sie der Öffentlichkeit zugänglich macht, zusammen mit einem Bild des geografischen Ortes, der mit den Daten verknüpft ist, in sich selbst gespiegelt wie ein Rorschach-Fleck.

Unberührte Landschaften und ihre Darstellungen sind oft Gegenstand der künstlerischen Analyse von Persijn Broersen & Margit Lukács (NL). Ihre Arbeit "Forest on Location" (2018) baut auf fotogrammetrischen Scans und der digitalen Reproduktion eines Teils des seit 1979 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärten Waldes in Polen (Białowieza) auf. Das Künstlerduo hat auch einen 3D-Druck eines Baumstammes erstellt, "Shvayg Mayn Harts" (2018), der als Projektionsfläche dient und ein Pendant zum Video "Forest on Location" darstellt.

Seit den 2000er Jahren hat das französische Künstlerduo Léonore Bonaccini und Xavier Fourt, das unter dem Namen "Bureau d'Etudes" (FR) arbeitet, verschiedene Karten von geopolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Situationen erstellt, um verborgene Realitäten aufzudecken, insbesondere solche, die mit einem kapitalistischen System und kolonialer Logik zu tun haben. Die jüngste Grafik "Astropolitique" (2019) thematisiert das Phänomen des Asteroidenabbaus, um die Interessen und Strategien aufzudecken, die sich hinter dieser immer noch spekulativen Praxis verbergen.

Das Studio für Architektur, Interaktion und Forschung "fabric | ch" (CH) wirft einen Blick auf zunehmende Präsenz von Satelliten. Die Installation "Satellite Daylight, 47°33'N" (2020) präsentiert Licht, das von einem simulierten meteorologischen Satelliten übermittelt wird, der die Erde auf dem Breitengrad von Basel mit einer Geschwindigkeit von 7541m/s umkreist. Die Installation besteht aus 24 Neonröhren, die in Echtzeit die meteorologischen Daten reproduzieren, die der Satellit während seiner Flugbahn registriert, von sonnigen und bewölkten Standorten, wie Tag und Nacht.

Fei Jun (CN) schuf ein interaktives Videospiel, "Interesting World" (2019), mit zwei Interaktionsmodi. Der erste erlaubt es dem Publikum, eine virtuelle Welt aus mehr als 300 Objekten zu erschaffen, die der Künstler aus gewöhnlichen Gegenständen rekonstruiert hat. Der zweite Interaktionsmodus ermöglicht es dem Publikum, über einen iPad in der Ausstellung in die in Echtzeit gerenderte Welt einzutauchen.

Ein performativer Ansatz kennzeichnet die Arbeit von Total Refusal (Leonhard Müllner & Robin Klengel) (AT), wie zum Beispiel ihre Arbeit "Operation Jane Walk" (2018). Statt Führungen in den realen Vierteln einer Stadt zu machen, besuchten die Künstler virtuelle Räume in dem Online-Videospiel "Tom Clancy's The Division" (Ubisoft, 2016), das eine äusserst realistische, wenn auch dystopische Rekonstruktion von Manhattan zeigt. Indem sie über die Darstellung einer Stadt in einem virtuellen Universum nachdenken, zeigen die Künstler, wie sich diese Art von kartografischer Arbeit auf die Wahrnehmung einer Stadt, ihrer Geschichte und Identität auswirkt.

Der als Künstler und Geograph ausgebildete Trevor Paglen (US) ist ein Beispiel für die Verbindung von kritischer Kartographie und Kunst. Paglen widmet einen grossen Teil seiner Arbeit der Analyse der Funktionsweise und Logik staatlicher Überwachung. Das Video "Circles" (2015) richtet seinen Blick auf das Überwachungssystem selbst: Der Künstler filmte mit einer Drohne das GCHQ (Government Communications Headquarters) in der Nähe von Gloucester, England.

Während eines Aufenthaltes in Philadelphia entwickelten Esther Polak & Ivar Van Bekkum (NL) eine Software, die es ihnen ermöglicht, Videos in Google Street View und Google Earth mit Hilfe von Geolokalisierung und Synchronisierung der GPS-Daten mit den Audioaufnahmen zu erstellen. In dem Werk "The Mailman's Bag" (2015) arbeiteten sie mit einem Postboten zusammen und statteten seine Tasche mit einem Tonaufzeichnungsgerät und GPS aus. Ihr jüngstes Video "The Fortune" (2018) verwendet Google Earth, um einen bekannten Ort für Massenproteste in Den Haag in den Niederlanden zu porträtieren.

Die jüngste Arbeit von Quadrature (DE), "Supraspectives" (2020), ist das Ergebnis des Sammelns von Informationen von 590 Spionagesatelliten, die sich noch in der Erdumlaufbahn befinden, wenn auch nicht alle in Betrieb sind. Die Arbeit berechnet die Flugbahn der Satelliten und rekonstruiert das, was sie von der Welt beobachten, insbesondere die Satelliten, die in der Nähe des Ausstellungsortes der Anlage vorbeiziehen. Eine weitere Installation, "Satelliten" (2015), zeigt auf ähnliche Weise die Anzahl der Satelliten an, die sich in der Umlaufbahn befinden. Ein Plotter zeichnet auf alten Karten, in einem Raum von 10 cm2 und in Echtzeit, die Flugbahn eines Satelliten an einem bestimmten Ort.

Die Arbeit "Primal Tourism" (2016) von Jakob Kudsk Steensen (DK) ist eine exakte, massstabsgetreue virtuelle Nachbildung der ikonischen Touristeninsel Borabora in Französisch-Polynesien. Der Künstler schuf die Insel in einer 3D-Umgebung für eine Virtual-RealityExperience, die mit der Unreal Engine erstellt wurde und nutzte dafür verschiedene Quellen wie Pläne, Satellitenbilder, Touristenfotos, Bilder aus wissenschaftlichen Zeitschriften, Zeichnungen und historische Berichte. Die Geschichten, die er rund um die Insel erstellt, erzählen über Tourismus, Kolonialismus und Technologie.

Shaping the Invisible World
Digitale Kartografie als Werkzeug des Wissens
3. Mäzr bis 23. Mai 2021
Online-Eröffnung Mittwoch 03.03.2020, 18:00 Uhr
Kuratiert von Boris Magrini und Christine Schranz