In spannenden Aktionen lotet Julius von Bismarck das Verhältnis der Menschen zu dem aus, was wir „Natur“ nennen.
Wie gehen wir damit um, wenn die Katastrophe zum Normalzustand wird? In seiner ersten großen institutionellen Einzelausstellung in Österreich widmet sich der Künstler im Kunst Haus Wien der menschlichen (Un-)Macht angesichts der bevorstehenden Klimakatastrophe.
„Reagieren auf die ‚normale Katastrophe‘“: Inmitten von Naturgewalten thematisiert die Ausstellung menschliche Hybris, Verantwortung und Handlungsmacht. Sie fordert dazu auf, die Möglichkeiten und Folgen unseres Tuns für die Umwelt mit neuem Blick zu hinterfragen. Mit der Einladung des renommierten Künstlers stellt sich das Kunst Haus Wien als Museum für Kunst und Ökologie einmal mehr der großen Herausforderung, mit den Mitteln der Kunst unsere Wahrnehmung komplexer Zusammenhänge zu schärfen und der drohenden ökologischen Krise entgegenzutreten.
Ob Brände, Blitzeinschläge oder Sturmwellen – die Auseinandersetzung mit den Naturgewalten Feuer und Wasser in einer Lebensumwelt, die der Mensch zunehmend verändert, bildet den roten Faden der Ausstellung. Der Ausstellungstitel „Normale Katastrophe” benennt den Zustand einer von multiplen Krisen geprägten Gesellschaft, in der tiefgreifende ökologische und gesellschaftliche Veränderungen zur neuen Normalität werden. In kraftvollen Bildern, mit technischen Erfindungen und extremen Versuchsanordnungen befragt der Künstler die menschliche Wahrnehmung. Die daraus resultierenden Fotografien, Videoarbeiten, Skulpturen und Installationen sind bildgewaltig und scheuen die große Geste nicht. Neben einer Auswahl medienübergreifender Werke aus den letzten fünfzehn Jahren sind neue Fotoarbeiten zu sehen. Für den begrünten Innenhof des Kunst Haus Wien entstand zudem eine ortsspezifische Intervention.
Julius von Bismarcks künstlerische Forschung ist handlungsorientiert; oft entstehen seine Arbeiten in direkter, körperlicher Auseinandersetzung mit Naturkräften. Für „Talking to Thunder“ (2016–2017), einen der beiden zentralen Werkkomplexe der Ausstellung, reiste der Künstler Blitzen hinterher, um dieses Phänomen zu erforschen. Er besuchte Forschungslabore in den USA, Gewitterzonen in Venezuela und Schamanen in Kolumbien. Zudem entwickelte er ein eigenes Gerät, um Blitze einzufangen und auf den Boden zu lenken. Eindringliche Fotografien und eine Installation erzählen von seinen Begegnungen und Experimenten.
Der zweite zentrale Werkkomplex „Fire with Fire“ (2018–2020) sowie eine Serie neuer Fotoarbeiten („The Day the Ocean Turned Black“) kreisen um das Element Feuer als zugleich zerstörerische und erneuernde Kraft. Sie entstanden Anfang 2025 in den Nachwehen der verheerenden Feuer in Los Angeles. Die Werke konterkarieren die vertraute Katastrophenästhetik der medialen Berichterstattung: Durch Zeitlupe, Bildspiegelung und sorgfältige Komposition entstehen hypnotische Bilder, die die Dualität des Feuers einfangen – einerseits als zerstörerische Urkraft, andererseits als Werkzeug zur Naturbeherrschung und als Motor der ökologischen Macht des Menschen. An dieses Thema knüpft auch Julius von Bismarcks ortspezifische Intervention im Innenhof an. Rotierende LED-Leuchten erzeugen den Eindruck, als stünden einzelne Bäume in Flammen – ein faszinierendes und zugleich irritierendes Spiel mit unserer Wahrnehmung.
Für „Punishment“ (2011–2012) peitscht der Künstler in zugleich brachialen und meditativen Akten symbolisch aufgeladene Landschaften aus. In der Arbeit kämpft er bis zur Erschöpfung vergeblich gegen das tosende Meer. Julius von Bismarck nimmt hier Bezug auf die Anekdote vom persischen König Xerxes, der das Meer mit Peitschenhieben bestrafte, und reflektiert die Vorstellung, die Natur lasse sich beeinflussen oder gar kontrollieren.
Die Naturgewalt des Meeres ist auch Thema der Videoarbeit „Den Himmel muss man sich wegdenken” (2014). In einer raumgreifenden Projektion türmt sich eine Sturmwelle wie ein monochromes Bergmassiv auf. Zunächst kaum wahrnehmbar, rollt sie in extremer Zeitlupe auf die Betrachter:innen zu, was ein gleichermaßen meditatives wie bedrohliches Gefühl erzeugt. Die Arbeit wurde mit einer Hochgeschwindigkeitskamera mitten im Sturm vor der Küste Irlands aufgenommen und verweist auf die menschliche Ohnmacht im Angesicht von Naturgewalten.
Für die Aufnahmen von „Landscape Painting (Bismarck Sea, Volcano)” (2023) ließ Julius von Bismarck ein großes Stofftuch, das eine grafische Wellenstruktur zeigt, über die Bismarcksee treiben. Die entstandene Fotoarbeit zeigt die Landschaft, überlagert von einem Bild ihrer selbst, und reflektiert, wie (koloniale) Bildtraditionen unsere Vorstellung von der Welt und von Landschaften bis heute prägen.
Die in der Ausstellung versammelten Arbeiten setzen sich mit tradierten Bildern und Narrativen der Natur auseinander: als romantisiertes Idyll, als ökonomische Ressource oder als strafende, beinahe göttliche Instanz. Diesen Vorstellungen setzt Julius von Bismarck neue Bilder entgegen: irritierend schön und von kontemplativem Charakter, sodass man beinahe vergisst, welche gewaltigen Naturkräfte und welcher immense körperliche Einsatz nötig waren, um sie zu erschaffen. Sie machen spürbar, wie sehr unsere Wahrnehmung von Natur kulturell geprägt ist. „Meiner Meinung nach ist das, was wir über Natur denken oder wie wir Natur verstehen, sehr stark von Bildern geprägt. Es heißt ‚Landschaft‘, wenn Natur im Bild ist. Ich versuche, die alten, tradierten Bilder zu zerstören und neue zu schaffen”, so der Künstler.
Julius von Bismarcks künstlerische Forschung sucht keine Erklärungen, sondern Erfahrungen. Mit experimenteller Offenheit schafft er visuelle Räume, die die Grenzen tradierter Sichtweisen aufzeigen und neue Perspektiven auf das Verhältnis von Mensch und Umwelt eröffnen.
Julius von Bismarck wurde 1983 in Breisach am Rhein geboren, wuchs in Riad in Saudi-Arabien und in Berlin auf und lebt und arbeitet heute in Berlin und in der Schweiz. Er lebt und arbeitet in Berlin und in der Schweiz.
Julius von Bismarck. Normale Katastrophe
Bis 8. März 2026