Julian Schnabel. Polaroids

Das NRW-Forum Düsseldorf zeigt Polaroids des amerikanischen Malers und Filmregisseurs Julian Schnabel. Die Ausstellung präsentiert eine Auswahl von über einhundert meist unveröffentlichten Photographien, die den unmittelbaren Blick des Künstlers bannen: auf sich selbst, auf Familie und Freunde, auf seine Malerei und die Skulpturen in den Studios und Ausstellungen - ein einzigartiges Tableau an Bildern über Leben und Arbeit der schillernden Künstlerpersönlichkeit.

Da gibt es die charismatischen Portraits von Lou Reed, Placido Domingo, Mickey Rourke oder den Beastie Boys, faszinierende Selbstportraits, Aufnahmen der spektakulären privaten Räume des von Julian Schnabel selbst entworfenen und ausgestatteten Palazzo Chupi in New York, seine Ateliers in Brooklyn, Montauk oder in Manhattan. Mit einer spektakulären riesigen 20 x 24 inch-Polaroid Kamera auf Rollen aus den 70er Jahren macht Julian Schnabel diese Photographien von ungewöhnlich großem Format (50,8 x 60,96 cm) in schwarz/weiß und brillanten Farben, manche dieser Photos übermalt er. Schnabel, der Anfang der 80er Jahre berühmt wurde mit seinen plate paintings und der seit Mitte der 90er Jahre auch Filme macht (den Oscar für die beste Regie erhielt er 2008 für "The Diving Bell and the Butterfly", sein neuer Kinofilm "Miral" mit Willem Dafoe und Freida Pinto wird beim diesjährigen Filmfestival in Cannes im Mai Premiere haben), hat in allen bedeutenden Museen der Welt ausgestellt und ist in den hervorragenden öffentlichen und privaten Sammlungen repräsentiert.

Julian Schnabels Polaroids sind von großer ästhetischer Qualität und einer fesselnden emotionalen Kraft. Sie erzählen Geschichten aus dem Leben, unprätentiös, in unbekümmerter Leichtigkeit, mit Hingabe, voller Humor. Ein Erstaunen fast über die eigene Schaffenskraft scheint sich in diesen Bildern zu manifestieren. Schnabel jedenfalls ist es eine Lust, sie zu betrachten, zu kommentieren und neu zu ordnen, assoziativ oder aus der Erinnerung. Nach den Zeiten des Tages etwa, wie das sich wandelnde Licht in sein open-air-studio in Montauk fällt; oder nach Farbnuancen von hellstem Sepia zu harten Schwarz-Weiß Kontrasten; oder einfach nach seinen "Lieblingsmotiven": ein Selbstportrait mit seiner Tochter Lola, mit Freund Lou Reed oder den Zwillingen Olmo und Cy.

Julian Schnabel ist in erster Linie Maler. Auch, wenn er seit 1982 große Skulpturen aus Holz, Bronze oder Fundstücken macht. Auch, so sagt er, wenn er vielfach prämierte Kinofilme dreht, und er, der Maler, mit einem Oscar für Beste Regie ausgezeichnet wird. "I am a painter. I always paint." Und Photographie? Die hatte er bisher nur verwendet als Fundstück. Historische Photographien integrierte er in seine Arbeiten auf Papier oder vergrößert sie im Siebdruckverfahren zu riesigen Leinwänden die er übermalt. Photographien als Referenz für seine Malerei, wie dies etwa Gerhard Richter tut, hat Julian Schnabel nie gemacht. Auch Portraits, ob als plate painting oder auf Leinwand und mit Harz versiegelt, sind nicht mediatisiert durch Photographie, sondern direkt gemalt mit dem Auge auf dem "lebenden Model".

Die Polaroids waren nicht gedacht als Artefakte, wie die vielen Photographien, die andere von ihm gemacht haben, berühmte Photographen wie Hans Namuth, Helmut Newton, Annie Leibovitz, Sante D’Orazio, Nadav Kandar... Impuls war nicht, sein Œuvre um eine neue Gattung zu erweitern. Die Polaroids sind Bilder für ihn. "Recording", sagt er – und das heißt im Deutschen: Aufzeichnen, Registrieren, Eintragen, Erfassen, Beurkunden – "Mitschnitt" des Lebens. Sie entspringen dem Wunsch, das festzuhalten, was ihm etwas bedeutet. Und so sind sehr persönliche, poetische Bilder entstanden. Ihre Unmittelbarkeit und Wärme machen einen Großteil ihres Zaubers aus. Manche sind heiter und witzig, humorvoll. Es sind Bilder der Freundschaft, der Liebe, der Hingabe ans Leben, der Melancholie auch und der Vergewisserung der eigenen Schaffenskraft. "It’s about life." Transformation des Lebens in ein Kunstwerk.

Die ersten Polaroids hat Schnabel 2002 aufgenommen, in den folgenden Jahren ist ein Konvolut mehrerer hundert Arbeiten entstanden. Ein Privileg, jene Photographien zu "entdecken", aufregend, sie auszubreiten auf dem Boden des Studios - das mit seinen Farbschlieren und Harzflecken selbst ein Gemälde ist – umgeben von Malerei, großformatigen Arbeiten aus jüngster Zeit. Und so ist es zu diesem Ausstellungsprojekt gekommen: Julian Schnabel hatte Petra Giloy-Hirtz, die ihn und seine Arbeit seit längerem kennt, bei einem früheren Besuch in New York einige Polaroids gezeigt. Phantastisch! Die Idee, sie aus dem Privaten ins Öffentliche zu bringen, die spontane Einladung von Werner Lippert, die Polaroids im NRW-Forum in Düsseldorf auszustellen, Archivierung der Arbeiten durch Gretchen Kraus, studio assistent bei Julian Schnabel. Reise nach New York und erste Sichtung über Tage. Eine exemplarische Auswahl in Düsseldorf gezeigt: "Sensationell", sagen Petra Wenzel und Werner Lippert – beim nächsten Besuch in New York im Februar ist der Künstler selbst dann jeden Tag da, Porfirio Munoz, studio assistent, hilft, und gleichzeitig entsteht die Auswahl für das Buch, für das Lea Stepken, die in New York lebt, schon erste Entwürfe macht.

Da gibt es die Bilder seines Palazzo: eine bewohnbare Skulptur – auf sein Haus im Greenwich Village, einem Fabrikgebäude des 20. Jahrhunderts, in dem er seit vielen Jahren schon lebt und arbeitet, hat Julian Schnabel einen venezianischen Palast gesetzt. Ein Kunstwerk, "a timeless masterpiece" (Ingrid Sischy) im Rot pompejanischer Wandmalerei mit atemberaubendem Blick über den Hudson und Manhattan, in der Nachbarschaft nicht unumstritten in seiner Antithesis zur modernen Architektur. Mediterrane Terrassen, bis zu sechs Meter hohe Decken, Wände voller Kunstwerke, jedes Details von Schnabel entworfen. Vision und Wunschtraum, historisch und kulturell verwurzelt in Europa, wie auch seine Malerei durch seine frühen Reisen nach Italien (Giotto) inspiriert ist.

Immer wieder werfen die Polaroids den Blick in das Atelier und auf Schnabels jüngste Werke. Die X-ray paintings zum Beispiel, die auf einer Sammlung von Röntgenaufnahmen aus den Jahren 1905 bis 1910 beruhen, die Schnabel in einem verlassenen Haus fand, als er seinen Film "The diving Bell and the Butterfly" in Berck-sur-Mer in Frankreich drehte. "They looked like paintings to me", sagt Schnabel. "I blew them up into these pictures that are like 13 feet tall" – diese Serie nennt er Christ’s Last Day, "eine Meditation über den Tod". In einer zweiten Serie, ATTO II, die auf den Polaroid-Aufnahmen aus seinem Atelier in der West 11th Street zu sehen sind, hat Julian Schnabel die vergrößerten Röntgenaufnahmen mit gestischen Strichen und Flecken, anthropomorphen Figurationen übermalt.

Ein riesiges Big Girl Painting erscheint öfter auf den Polaroids, das Portrait von einem amerikanischen"teenage girl", blond und unbewegt – es basiert auf einem kleinen anonymen Gemälde, das Schnabel bei einem Trödler in Houston gefunden hat: auf dreizehn Leinwänden malt er das Mädchen und lässt ihre Augen mit einem heftigen schnellen Pinselstrich unter einem Balken verschwinden.

Und dann gibt es da noch die Portraits; von Lou Reed etwa, für dessen Inszenierung seines Konzerts Berlin im St. Ann’s Warehouse in Brooklyn Schnabel 2006 das Bühnenbild schuf und das er in einen beeindruckenden Musikfilm verwandelt hat. Man sieht Julian mit nahen Verwandten; dem Vater, Jack Schnabel, der von Prag nach New York emigrierte; mittlerweile ist er gestorben, seine Tochter Stella. Olatz Lopez Garmendia, die er 1993 heiratete, Schauspielerin in seinen Filmen "When Night Falls" und "The Diving Bell and the Butterfly". Die Söhne Olmo und Cy. Und da sind die Selbstportraits: Julian Schnabel. die Kultfigur, "celebrity, brightest star of the artworld in the mid 80s", Oscar gekrönter Regisseur, "Rebell" und "Freigeist", "Genius", "exzentrisch", mit Geist und "grandeur" – wie sieht er sich selbst...!?

Die Sommer verbringt der Künstler in Montauk auf Long Island, er malt hier und surft. Die Polaroids zeigen sein Studio unter freiem Himmel und das Haus, ein "fishing cottage", gebaut 1880 von dem Architekten Stanford White. Hier macht Schnabel 2001 seine ersten Surfbrettskulpturen und wilde Figuren, die auf die Ilias verweisen, bemalt, aus einer Art Zement.

Eine Serie von 16 Arbeiten bilden einen überraschenden Bruch: die "Crazy People", die Gesichter geistig verwirrter Menschen, die auf historischen Aufnahmen eines anonymen Photographen aus dem 19. Jahrhundert beruhen und die Schnabel mit der 20 x 24-inch Kamera abphotographiert hat. Wahnsinn und Würde tragen sie im Antlitz. Die Anderen, ausgestoßen, stigmatisiert oder krank, haben Schnabel auch in seinen Filmen beschäftigt und er hat berührende Bilder für sie gefunden, wie für den im gelähmten Körper gefangenen Geist in "The diving Bell and the Butterfly".

Julian Schnabel. Polaroids
30. Mai bis 11. Juli 2010