Jonathan Binet & Sonia Kacem in der Kunst Halle St.Gallen

Jonathan Binet (*1984 in Saint-Priest/F, lebt und arbeitet in Paris) dekonstruiert in seinen Werken Elemente der Malerei und der Architektur. Er experimentiert mit Bestandteilen von Leinwänden und Farbspuren, die er in Beziehung mit dem Erscheinungsort setzt. Es sind kalkulierte und spontane Gesten, mit denen er Stillstand und Bewegung, das Materielle und Flüchtige zu einem Rhythmus zusammenfügt.

Auch Sonia Kacem (*1985 in Genf/CH, lebt und arbeitet in Genf) bedient sich einer Art performativer Systematik für die Komposition von Raumbildern. Ihre Installationen entstehen aus intuitiver Reaktion und bewusstem Arrangement und generieren malerische Anspielungen. In der Kunst Halle Sankt Gallen konfrontieren Binet und Kacem die BesucherInnen mit dem ästhetischen Potential von Raum- und Materialinteraktionen.    
 
Für Jonathan Binet beginnt der Prozess im Atelier. In der künstlerischen Umgebung und deren Werkzeugen sucht er Elemente, die sich selbst zu produzieren scheinen: Simple Punkte oder Linien entpuppen sich als treibende Energien und drängen nach Wiederholung, Weiterführung oder Unterbrechung. Mit diesen tritt Binet in einen offenen Dialog. Seine Konzepte und impulsiven Körpergesten verketten sich mit Formen und Substanzen der Bildträger.

Am Ausstellungsort führt er diese Entwürfe weiter und bezieht die neuen Rahmenbedingungen mitein – auch in der Kunst Halle Sankt Gallen. Der Pariser Künstler zeigt unter anderem eine Repetition derselben Leinwandform, wobei er immer andere Merkmale herausstreicht. Die Multiplikation gibt ihm eine experimentelle Freiheit und ermöglicht eine Aneinanderreihung von Aktionen und Reaktionen, die den indexikalen Charakter des Werkes verstärkt. Die Spuren des Künstlers und die vorausgehenden Prozesse bleiben lesbar. Binet lässt geschehen und ist in diesem Akt rebellisch: Er holt Raum, Zeit und Materialien vom Sockel und breitet sie nebeneinander aus.

Sonia Kacem findet ihre Werkgrundlagen auf der Strasse oder in Erinnerungen und lässt sich dann auf ein Spiel der Sinne ein. Die Genfer Künstlerin drapiert sowohl Abfallobjekte als auch neu produzierte Elemente und erzeugt eine instinktive Dramaturgie zwischen Farben, Formen, Materien und ihrem Zusammenwirken. In der Kunst Halle sind dies bunte Schaumstoffballen und schwarze, elastische Stoffbänder.

Kacem akzentuiert, wie in der Malerei, die Materialität der Objekte durch ihre Gegenüberstellung und trägt sie dem Raum auf, wobei der Kontext wiederum mitprägt. Die assoziative Konnotierung der Skulpturteile möchte sie den BetrachterInnen überlassen, scheut sich aber nicht vor eigenen Bilderinnerungen, die am Anfang und am Ende ihrer Skizzen stehen. Eingebungen wie Tetris-Spiel, Heuballen oder gefüllte Regale im Einkaufszentrum eröffnen Denkfelder – Wegwerfgesellschaft, Produktzyklus oder wiederkehrende natürliche und kulturelle Formen. Die Künstlerin möchte die Materialien nicht künstlich aufladen und in ihrer Bedeutung festsetzen, sondern einem Spannungsfeld ausliefern.

Die raumgreifenden Installationen von Binet und Kacem sind Resultate der Begegnung zwischen Objekten und Personen, die in einer Wechselwirkung stehen und fortlaufend aufeinander reagieren. In diesem offenen und zugleich geschlossenen Kreislauf wird ein humaner und intuitiver Umgang mit Formen und Stofflichkeiten gesucht, in welcher die Erfahrung mit der Materialität selbst im Vordergrund steht. Die antimonumentalen Überreste ihrer künstlerischen Praxis brechen mit herkömmlichen Hierarchien und befördern die BesucherInnen mitten in das Raumbild, wo Ästhetik, Dynamik und Gedankenspiele dem Körper erfahrbar gemacht werden.


Jonathan Binet & Sonia Kacem 
24. Januar bis 29. März 2015