21. Oktober 2014 - 4:30 / Walter Gasperi / Filmriss
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Noch einmal bezieht der britische Sozialrealist Ken Loach in seinem vielleicht letzten Film entschieden Position, setzt einem irischen Aktivisten der 1930er Jahre ein Denkmal und prangert das Machtstreben der Kirche und die Allianz von Kirche, Großgrundbesitzern, Polizei und Politik an. Doch in die politische Botschaft verpackt der 77-Jährige auch die Geschichte einer unerfüllten Liebe und einer starken Mutter.

Zu Swing-Musik fasst Ken Loach in grobkörnigen schwarzweißen Archivaufnahmen die Situation in den USA von den 1920ern bis zu den 1930er Jahren zusammen: Von Bauarbeiten an New Yorker Wolkenkratzern und Straßenbau über Mietblocksiedlungen bis zu Arbeitslosigkeit, Obdachlosen und langen Schlangen vor der Lebensmittelausgabe, aber auch zu einem Club mit einem afroamerikanischen Jazzsänger, einer Kapelle und Steptanz, durch die die Filmmusik eine Verankerung bekommt, spannt sich der Bogen.

Eine ganze Geschichte erzählen diese Bilder zum Vorspann schon, genug für einen eigenen Film, hier aber nur der Background, die kurze Skizzierung der Situation, die den Iren James Gralton (Barry Ward), dem Loach mit diesem Film – das Drehbuch stammt wie bei vielen Loach-Filmen von Paul Laverty - ein Denkmal setzt, bewegt, nach zehnjährigem Aufenthalt in den USA in seine irische Heimat zurückzukehren.

Während Jimmy mit einem Freund im Pferdewagen über grüne Felder in Richtung elterlichen Hof fährt, fassen Inserts kurz den irischen Unabhängigkeitskrieg und den Kompromiss, mit dem er endete, zusammen. – Ein Thema, mit dem sich Loach schon vor acht Jahren im vielfach preisgekrönten "The Wind that Shakes the Barley" beschäftigte. - Zehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs will Jimmy nun im Irland des Jahres 1932 seiner alten Mutter auf dem Hof helfen, denn sein Bruder ist während seiner Abwesenheit gestorben.

Unaufgeregt und souverän entwickelt Loach die Geschichte, verankert im ländlichen Irland und getragen von kernigen und natürlichen Typen. Ein ruhiges Leben will Jimmy wohl führen, die Begegnung mit seiner Jugendfreundin Oonagh (Simone Kirby), die nun verheiratet ist und zwei Kinder hat, erinnert beide an ihre verlorene Liebe. Der Pfarrer (Jim Norton) wiederum beschwört Jimmys Mutter, ihn von politischen Aktivitäten abzuhalten.

Doch dann passiert er auf der Straße tanzende und singende Jugendliche, die ihn auffordern den Tanzsaal wieder zu renovieren. Er lehnt zwar ab, schaut sich den Saal dann aber doch wieder an. Erinnerungen kommen auf und in Rückblenden wird die Vorgeschichte kurz zusammengefasst, aber auch die Solidarität der Arbeiter beschworen, die ohne Entlohnung diesen Saal einst aufbauten, nicht nur Tanzveranstaltungen, sondern auch Literatur- und Musikkurse oder Boxtraining hier abhielten. Doch der Pfarrer sorgte in Allianz mit Grundherren und Polizei dafür, dass diese Einrichtung geschlossen wurde.

Die Besichtigung des Saals weckt in Jimmy wieder die Leidenschaft und mit seinen alten Gefährten, aber auch mit der jüngeren Generation renoviert er den Saal. Der Pfarrer aber lässt alle Besucher der Veranstaltungen aufschreiben und prangert von der Kanzel herab die vermeintliche Sittenlosigkeit der dortigen Tänze und der amerikanischen Jazz-Musik an.

In Kontrastmontage stellt Loach dem in warmem Licht und Brauntönen beschworenen Feiern und Lernen im Holzstadel die in kaltes Blau getauchte Messe in der von Stein dominierten Kirche gegenüber.

Noch nie machte Loach ein Hehl aus seiner Position. Auch hier ist klar, auf welcher Seite er steht, Er bemüht sich nicht um ausgewogene Darstellung, sondern lässt die Fronten in Person des alten Pfarrers und Jimmy Graltons aufeinandertreffen. Deutlich macht Loach hier, dass es der Kirche ("Die Hooligans mit dem Kreuz") um Kontrolle und Macht geht, dass sie Angst hat durch den unabhängigen Tanzsaal diese Kontrolle zu verlieren und mit Hass und Intrigen reagiert.

Doch nicht nur die Kirche stellt sich gegen die gemeinschaftlich agierenden und auf Volksbildung setzenden Aktivisten, sondern auch die Grundherren, die ihre landlosen Arbeiter kurz halten und auch aus ihren Häusern vertreiben. In einer starken Szene lässt Loach die Gemeinschaft dem bewaffneten Vertreter des Grundherrn entgegentreten und die Rücknahme der Zwangsräumung erreichen.

Ein junger Priester protestiert zwar gegen die Ausgrenzung der Aktivisten und verurteilt nächtliche Übergriffe scharf, kann sich aber (noch) kein Gehör verschaffen. Das Heraufdämmern einer anderen Zeit kann man in diesen Szenen aber schon spüren.

Aber Loach zeigt auch auf, dass die Rede von einem unter einem Glauben geeinten Irland verlogene Propaganda ist, und dass in Wahrheit ein Riss durch das Land geht zwischen Grundherrn und Landlosen, zwischen Reichen und Armen, Industriellen und Arbeitern. Im politischen Kampf gegen die Briten versucht die Oberschicht und die Kirche das Bild der inneren Einheit zu festigen und damit die wahren Risse zu vertuschen, denn in Wahrheit gibt es einen Klassenkampf.

Didaktisch ist dieses Kino und wie in vielen seiner Filme verzichtet Loach auch hier nicht auf Diskussionen, einerseits zwischen Pfarrer und Gralton, andererseits unter den Aktivisten über Kurs und Vorgangsweise. Dennoch erstickt "Jimmy´s Hall" nicht in politischer Rhetorik, weil Loach es versteht auch private Geschichten einzubauen, durch die die Figuren Profil gewinnen und nicht zu Funktionsträgern degradiert werden.

Da gibt es einerseits die sich durch den Film ziehende Geschichte der verpassten Liebe zwischen Jimmy und Oonagh, die sich auch jetzt nicht erfüllen wird, sondern von der nur in einem leisen Tanz allein im nächtlich-dunklen Saal geträumt werden kann, und auf der anderen Seite Jimmys Mutter als starke Frau, die sich dem Druck nie beugt.

Mit welcher Gegensatz der 77-jährige Loach inzwischen freilich trotz der ungebremsten Wut und dem Zorn auf die Kirche auf die historischen Ereignisse blicken kann, zeigt sich nicht nur darin, dass er selbst in einer brenzligen Situation für Jimmy den Witz nicht zu kurz kommen und die Mutter mit Chuzpe die Polizisten düpieren lässt.

Und so klar die Grenzen zwischen Gut und Böse auch weitgehend gezogen sind, so finden sich dennoch auch Ambivalenzen, wenn Loach dem Pfarrer trotz aller Feindseligkeit und allen Hasses letztlich die Größe zugesteht, Jimmy Achtung zu zollen, und er die lachenden Polizisten scharf zurechtweist, und wenn er in der Niederlage auch noch einen Sieg zeigen kann. Denn mag Jimmy für seinen Einsatz auch Tribut zahlen, so lässt sich seine Gefolgschaft dadurch nicht einschüchtern, sondern wird seinen Kampf fortsetzen.

Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Mi 3.12., 20 Uhr; Fr 5.12., 22 Uhr; Sa 6.12., 22 Uhr
(jeweils in engl. O.m.U.)

Trailer zu "Jimmy´s Hall"

Die Meinung von Gastautoren muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. (red)

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