Impressionistinnen in der Frankfurter Schirn

Jeder kennt die Namen berühmter Impressionisten – Manet, Monet, Degas, Renoir, Pissarro –, doch weniger bekannt ist, dass es in ihrem Kreis auch bedeutende Malerinnen gab: Berthe Morisot, erfolgreiche und geschätzte Kollegin von Manet, die Amerikanerin Mary Cassatt, die durch den engen Kontakt mit Degas ihren unverwechselbaren Stil entwickelte, Manets Schülerin Eva Gonzalès und Marie Bracquemond.

Die vier Namen stehen exemplarisch für die Tatsache, dass in jener sowohl künstlerisch als auch gesellschaftspolitisch bewegten Epoche (ca. 1865–1895) wesentlich mehr Künstlerinnen aktiv waren und auf höchstem Niveau malten, zeichneten, radierten und bildhauerten, als dies die klassische Kunstgeschichtsschreibung bislang dargestellt hat. Der Impressionismus war mehr als andere Strömungen geeignet, auch Künstlerinnen in seinen Kreis aufzunehmen. So wurde der Malerei aller Impressionisten von Kritikern unterstellt, explizit "feminin" zu sein: in den Themen – Alltagsszenen, Mutter-Kind-Darstellungen, Gärten, Interieurs, Stillleben etc. – wie in den kleineren Formaten der Bilder, die für eine neue bürgerliche Käuferschicht bestimmt waren.

Auch der impressionistische Stil mit seiner Hervorhebung der Lichteffekte, seinen sensitiven, delikaten Oberflächen, der häufigen Verwendung von Weiß, dem offenen Pinselstrich, der Skizzenhaftigkeit der Ausführung wurde als weiblich angesehen, im Positiven wie im Negativen. 1896, als nach Morisots Tod posthum eine Retrospektive zu ihrem Werk stattfand, bezeichnete der Kritiker Camille Mauclair in einem Rückblick den Impressionismus insgesamt als "feminine Kunst" und beschrieb Morisot sogar als die einzig wahre Protagonistin dieses Stils. Diese einseitige Rezeption, in der bei Morisot und ihren Kolleginnen immer wieder das Geschlecht und nicht die moderne künstlerische Leistung im Vordergrund steht, soll erstmals kritisch hinterfragt werden.

Die Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt aber auch deutlich, dass die vier Künstlerinnen in ihrer Epoche von Künstlerkollegen und vielen Kritikern durchaus geschätzt wurden. Später geriet ihr Werk zwar zum Teil in Vergessenheit, doch mittlerweile sind die Arbeiten von Morisot und Cassatt Teil der größten internationalen Sammlungen und bei Auktionen sehr begehrt. Trotzdem fehlt es noch an einer jener ihren männlichen Künstlerkollegen vergleichbaren öffentlichen Wahrnehmung. Die Schirn möchte dazu beitragen, diese aufregende und zu wenig bekannte Seite des Impressionismus einem breiten Publikum vorzustellen.

Berthe Morisot (1841–1895) war Gründungsmitglied der Gruppe der Impressionisten. Sie entstammte einer reichen französischen Familie und erhielt Privatunterricht im Malen und Zeichnen. In den 1860er Jahren war sie eine Schülerin von Camille Corot und stellte erfolgreich im Pariser Salon aus, wodurch Manet auf sie aufmerksam wurde, mit dem sich eine respektvolle Freundschaft entwickelte. Morisot nahm bis auf eine Ausnahme an allen "Impressionisten-Ausstellungen" teil und beeinflusste durch ihren lockeren Pinselstrich und ihre helle Farbpalette sogar den bisher dunkel malenden Manet. Sie widmete sich bevorzugt Familienszenen, Frauen- und Kinderporträts, Interieurs, Landschaften und Hafenbildern. 1877 heiratete sie Eugène Manet, den Bruder Édouard Manets, mit dem sie eine Tochter hatte, Julie, die ihr häufig als Modell diente.

Mary Cassatt (1844–1926) begann 1861 ihr Studium an der Pennsylvania Academy of the Fine Arts in Philadelphia. Ab 1874 lebte sie in Frankreich und schloss sich in Paris den Impressionisten an. Als Anhängerin der Gruppe um Degas erfuhr sie von Zeitgenossen hohen Respekt und Aufmerksamkeit. Ihr Hauptthema in der Kunst sind Porträts, Szenen in der Oper und Mutter-Kind-Beziehungen, die jedoch ohne Sentimentalität und in einem sehr eigenen Stil umgesetzt sind. Besonders Cassatts Pastelle gehören zu den herausragenden Werken ihrer Epoche. Berühmt sind auch ihre grafischen Arbeiten, die sich mit ihren flächigen, klar umrissenen Formen von japanischen Holzschnitten beeinflusst zeigen. 1914 erblindete Cassatt und musste ihre künstlerische Tätigkeit aufgeben. Ihrem Wirken ist es unter anderem zu verdanken, dass der Impressionismus in Amerika früh populär wurde. Bislang wurde ihr Werk vor allem in den USA
intensiv erforscht.

Die als Manet-Schülerin und als von ihm porträtierte Kollegin bekannt gewordene Eva Gonzalès (1847–1883) wurde bisher nur in kleinere Gruppenausstellungen zusammen mit Morisot und Cassatt einbezogen. Im Alter von 16 Jahren begann Eva Gonzalès ihre Ausbildung als Zeichnerin und Malerin im Atelier des Malers Charles Chaplin, der ausschließlich weibliche Schülerinnen hatte. Obwohl Eva Gonzalès dem Impressionismus zugerechnet wird, nahm sie – wie Manet – an keiner Gruppenausstellung dieser Maler teil. In ihren Gemälden porträtierte sie häufig Frauen. Darüber hinaus entstanden Stillleben und Landschaftsbilder. Nach der Geburt ihres Sohnes starb Eva Gonzalès 1883 an einer Embolie. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt präsentiert eine qualitätvolle Auswahl ihres bisher noch zu wenig gewürdigten Werkes.

Die Malerin Marie Bracquemond (1840–1916) war die Frau des Porzellanmalers und Grafikers Félix Bracquemond. Sie wurde von ihrem Mann in seine Arbeit einbezogen und schuf Entwürfe für Porzellan und Wanddekorationen. Einer ihrer Entwürfe, ausgestellt im Pariser Salon 1874, erregte die Aufmerksamkeit von Degas, der die Künstlerin mit Renoir und Monet bekannt machte, deren Gemälde sie bewunderte. Mehrfach beteiligte sie sich mit eigenen Gemälden an den Ausstellungen der Impressionisten. Félix Bracquemond hatte wenig Verständnis für die künstlerische Richtung seiner Frau und war eifersüchtig auf ihren Erfolg. Zermürbt von seiner Kritik, beschränkte sie ihre künstlerische Tätigkeit auf das engste Umfeld und gab sie nach 1890 ganz auf. Ihr Lebenslauf kann im Kontrast zu den doch vergleichsweise erfolgreichen Karrieren ihrer Kolleginnen als typisch für die Epoche gelten. In der Schirn Kunsthalle Frankfurt wird mit über 40 Werken unter Berücksichtigung der neuesten Forschung die umfassendste Ausstellung von Arbeiten Marie Bracquemonds seit 1919 gezeigt.

Die ca. 150 Werke der Ausstellung kommen aus zahlreichen internationalen Museen wie etwa dem Musée d’Orsay Paris, dem Petit Palais Paris, dem Musée Marmottan Monet Paris, dem Musée Fabre Montpellier, dem Metropolitan Museum New York, der National Gallery of Art Washington, dem Newark Museum, dem Philadelphia Museum of Art, der Kunsthalle Bremen und dem Museum Langmatt Zürich sowie einer Reihe von Privatsammlungen.


Ein umfassender Katalog in deutscher und englischer Sprache wird in Beiträgen von Jean-Paul Bouillon, Anna Havemann, Pamela Ivinski, Linda Nochlin, Sylvie Patry, Ingrid Pfeiffer, Griselda Pollock, Marie-Caroline Sainsaulieu, Hugues Wilhelm u. a. die aktuelle Forschung spiegeln. Außerdem wird eine literarische Publikation mit vier Erzählungen zeitgenössischer Autorinnen herausgegeben, die sich speziell für diesen Anlass mit dem Leben der "Impressionistinnen" auseinandergesetzt haben. Es schreiben Diane Broeckhoven, Noëlle Châtelet, Annette Pehnt und Alissa Walser. Beide Publikationen erscheinen im Hatje Cantz Verlag.

Impressionistinnen
Berthe Morisot, Mary Cassatt, Eva Gonzalès, Marie Bracquemond
22. Februar bis 1. Juni 2008