Im Schmuck von 1000 Nasen

9. Februar 2015 Kurt Bracharz
Bildteil

Der Baumkuchen, auch Spieß- oder Prügelkuchen genannt, wird seit Anfang des 15. Jahrhunderts sowohl in Kochbüchern als auch in der Literatur als typisches Hochzeitsessen der reichen Bürger erwähnt. Als "Baumkuchen" bezeichnet wird er allerdings erst in Johann Sigismund Elsholtz’ Kochbuch aus dem Jahre 1682. Es handelte sich beim Baumkuchen Jahrhunderte lang um einen auf eine "Walze“" genannten Spieß schichtweise aufgetragenen Teig, der am offenen Feuer gebacken wird.

Der schlesische Graf Lanckoronski erinnerte sich in seinen unter dem Namen Beda von Müller 1951 veröffentlichten, "meinem Dackelchen" gewidmeten Memoiren "Gesegnete Mahlzeiten" an die Baumkuchen seiner Jugendzeit:

"Zu meines Vaters Geburtstag buk die Mutter einen Baumkuchen. Freunde, welch ein Fest! Aber das könnt ihr nicht verstehen! Woher solltet ihr wissen, ihr Armen, zu spät Geborenen, was ein Baumkuchen ist? Ihr habt keine Küchen mehr, in welchen im offenen Kamin ein Feuer aus Buchenscheiten prasselt, ihr besitzt die eisernen Böcke nicht mehr, welche die zuckerhutförmige, auf einer eisernen Welle festverkeilte und mit weißem Papier umlegte Walze tragen, die mit starkem, knotenlosem, zuvor sorgfältig ausgekochtem Bindfaden so eng bewickelt ist, dass sich Faden glatt an Faden reiht! Ihr schaudert bei der Vorstellung, daß ein halbes Pfund Butter nötig ist, nur um den Bindfaden zu tränken! Oh, ihr Armen! Eure Augen haben nie vor zitternder Spannung geleuchtet, wenn eine kundige Hand den reichen, sämigen Teig unbeirrt durch Hitze und Funken zügig über die behende sich drehende Walze goß, wenn sich an dem ersten Kuchenring die ersten Zacken bildeten, wenn die Oberfläche langsam sich bräunte, und wenn Guß auf Guß das Köstliche allmählich seiner königlichen Glorie entgegentrieb. Ach, euer Herz hat nie zum Zerspringen geschlagen, wenn es galt, das erkaltete Wunderwerk vom Kern zu lösen, nachdem vom breiten Ende der Walze her mit größter Vorsicht die Bindfadenspirale herausgezogen war. Und ihr habt nie gejubelt, wenn schließlich der Baumstumpf aus dem Märchenland vollendet auf dem Tische stand im Schmucke seiner tausend Nasen, überglänzt vom rosenwasser-duftenden Zuckerguß. Oh, ihr Armen! Zwei Pfund Butter, dreißig Eier – damit fängt es an! Und dann noch die kleinen Köstlichkeiten, die dazu gehören! – Ihr könnt es nicht verstehen, meine Freunde! Ihr denkt an die trockenen, mit künstlichem Arom und künstlichen Pulvern – diesen Ausgeburten des Teufels – versetzten Würgengel, die man euch in unzulänglichen Konditoreien unter dem entehrten Namen des Baumkuchens aufschwatzen will. O der Schmach und Schande!"

In ein solches Delirium vermögen einen die portionsweise verkauften Stücke eines zeitgenössischen, also in einem elektrischen Backapparat erzeugten Baumkuchens, bei welchem die Schichtung durch Tauchvorgänge erfolgte, wohl nicht mehr zu versetzen. Eigentlich ist nur noch das Prinzip – dass der Teig auf eine konische Walze aufgetragen wird – dasselbe, und seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ist die äußerste Schichte meistens ein Schokoladeüberzug.

Der in vielen Konditoren-Zunftwappen verewigte Baumkuchen ist eine traditionelle Spezialität osteuropäischer Staaten, aber auch in Griechenland, Norditalien oder Frankreich bekannt. Der deutsche Konditor Karl Joseph Wilhelm Juchheim brachte ihn nach Japan, wo er, aussprachlich zum "Bamukuhen" zurechtgebogen, heute fast überall im Lebensmittelhandel erhältlich ist.