Im Modder der Summenmutation

Das Filmset wird zum Live-Making-of. Filmspots werden zu Suchscheinwerfern. Ein Stummfilm transportiert die Symbiose aus analogem und 3-D Film inklusive Dufteffekt, bei dem Objekte aus der Filmleinwand hervortreten. Die winzige Wimper eines Filmstars wird zum heiligen Exponat einer Ausstellung, bei der alles mutiert. Alles kommt in dieser Ausstellung zusammen – und alles verändert sich. "Im Modder der Summenmutation" ist eine Fusion der wichtigsten Stränge in John Bocks Kunstschaffen.

Im Zentrum der Ausstellung steht ein Filmset, in dem die neueste Produktion des Künstlers gedreht wird. Später wird dieser Film in der Ausstellung gezeigt, sodass die Besucher sowohl Zeugen der Produktion als auch Zuschauer des fertiggestellten Ergebnisses werden können. Aber auch die Aktionen und Lectures, für die Bock bekannt ist, spiegeln sich in dieser "Summenmutation": Im Sinne eines Reenactments werden einige seiner Vorträge und Filme von verschiedenen Darstellern in neuer Form zu Wiederaufführung gebracht.

John Bock, geboren 1965 im schleswig-holsteinischen Gribbohm, gehört wohl zu den schillerndsten Persönlichkeiten der deutschen und internationalen Kunstszene. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre ist er für seine Aktionen und Vorträge, aber auch multimediale Installationen bekannt und hat seitdem sein Spektrum stetig erweitert. Das Medium Film spielt in Bocks Werk seit etwa zehn Jahren eine zunehmend zentrale Rolle. Immer komplexer und opulenter gestalten sich seine Produktionen, bei denen er nicht selten sowohl als Regisseur, Drehbuchautor als auch Darsteller agiert. Ein besonderes Augenmerk legt John Bock dabei stets auf die Sprache. Das spiegelt sich einerseits in seinen ebenso exzentrisch wie präzise gewählten Werk- und Ausstellungstiteln, die seine Arbeiten oft um eine zusätzliche Ebene erweitern. Vor allem aber ist die Sprache – das gesprochene Wort ebenso wie Gestik und Mimik – die Basis seiner ausufernden Aktionen und Lectures.

Spätestens seit der documenta 11 im Jahr 2002 gilt Bock als einer der "Universalkünstler", die zwischen den Genres wechseln, Gattungsgrenzen verschwinden lassen und die Schranken zwischen Künstler und Rezipient aufheben. Auf der Wiese der Kasseler Karlsaue platzierte er vier architektonische Elemente, die in jeweils unterschiedlicher Form als Bühnen und Arbeitsräume dienten, sich gleichzeitig aber als skulpturale Körper in die Parkarchitektur einfügten. Sie wurden während der documenta 100 Tage zu ständig variierenden Orten für Theater, Aktionen, Konzerte, Vorträge, Filmproduktionen und vieles mehr.

Gleichsam als Künstler und Kurator agierte Bock in seiner Ausstellung "FischGrätenMelkStand" in der Temporären Kunsthalle Berlin im Jahr 2010. Eine überdimensionale Architektur aus sich überlagernden labyrinthischen Kammern breitete sich auf mehreren Stockwerken über die gesamte Ausstellungsfläche aus und wuchs stellenweise sogar durch die Außenwände ins Freie. Im Inneren dieses Raumgefüges präsentierte John Bock Kunstwerke von über 65 Künstlerinnen und Künstlern, aber auch populäres Material, wie z. B. den Filmklassiker "Spiel mir das Lied vom Tod", Requisiten aus dem Filmset von "Nosferatu" oder "Das Parfüm", und verschiedene Filmplakate von Raimund Harmstorf.

Das Prinzip des Überlagerns, des Verdichtens und der Grenzüberschreitung spiegelt sich auch in seiner nächsten großen Ausstellung "Im Modder der Summenmutation" in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Hier steht einerseits eine Filmproduktion im Mittelpunkt, andererseits machen Aktionen und Lectures sowie eine umfangreiche Rauminstallation einen großen Teil der Ausstellung aus. Charakteristisch sowohl für diese Präsentation wie für John Bocks Werk generell ist dabei das antistatische Moment, das die Idee einer klassischen Ausstellung gezielt konterkariert. Die Frage "Was kann Ausstellen heute bedeuten?", beantwortet Bock mit einer offensiven Geste, einem Plädoyer für die absolute Entgrenzung der Kunst.

Im Modder der Summenmutation
3. Oktober 2013 bis 12. Januar 2014