Ikonografische Werke von Albrecht Dürer

Die Ausstellung der Graphischen Sammlung der ETH Zürich zeigt über 100 Werke des deutschen Renaissancekünstlers aus den eigenen Beständen. Die Auswahl konzentriert sich darauf, Dürer als einen Künstler zu würdigen, dem es vor allem in seinem druckgraphischen Werk gelang, nicht nur Normen zu sprengen, sondern auch Mass zu geben.

Die Graphische Sammlung der ETH Zürich besitzt das druckgraphische Werk Albrecht Dürers in beneidenswerter Qualität und Quantität. Unter den ausgestellten Blättern können die Besucherinnen und Besucher einige vertraute Ikonen aus Dürers Schaffen entdecken. So zum Beispiel die "Melencolia I", jenes Bild, das von der Kunstgeschichte als das "Denkbild" schlechthin geadelt wurde und das tatsächlich nie aufgehört hat, eine Inspirationsquelle für Künstlerinnen und Künstler zu sein. Charakteristisch für dieses Werk ist die beharrliche Verweigerung einer abschließenden Gesamtdeutung bei gleichzeitiger verblüffender Eindeutigkeit alles Dargestellten im Detail.

Doch die "Melencolia I" ist bei weitem nicht das einzige Blatt der Ausstellung, das schon manchen engagierten Interpreten zur Verzweiflung gebracht hat. Wer will, kann sich auch an Dürers erstem datierten Kupferstich, den "Vier Hexen" von 1497, versuchen und dem seit Jahrhunderten währenden Streit um die richtige Lesart ein weiteres Kapitel hinzufügen. Stellen die vier nackten Frauen wirklich Hexen dar? Was bedeutet ihre aufreizende Sinnlichkeit? Warum liegt ihnen ein Totenschädel zu Füßen? Und was bedeuten die Buchstaben "O G H" auf der Kugel über ihren Köpfen?

Das gleichzeitig entstandene "Männerbad" zeichnet sich ebenfalls durch sein erotisches Potential aus und gehört zu den bekanntesten Holzschnitten Dürers. Das Blatt steht exemplarisch für Dürers schelmische Freude am anspielungsreichen Detail. So überlappt der Wasserhahn nur scheinbar zufällig das Geschlechtsteil des an der Stele stehenden Mannes und eröffnet damit eine ganze Reihe bedeutungsvoller Anspielungen, die Theorien über die grassierende Syphilis ebenso einbeziehen wie gängige Synonyme und Symbole für das männliche Glied.

Eine weitere, viel bewunderte Qualität Dürers ist seine Fähigkeit, zwischenmenschliche Schwingungen zu erfassen und Gefühle nachfühlbar darzustellen: von dumpfer Wut, Brutalität, Vulgarität über schiere Verzweiflung, Trauer, Mitleid bis hin zu Barmherzigkeit oder tief empfundenem Glück und Zuneigung. Dies lässt sich in der Ausstellung besonders gut an den Passionsfolgen nachvollziehen, die das Leiden Christi eindringlich schildern. Zwei von Dürers Passionsfolgen sind in der Ausstellung vollständig zu sehen: Die im Holzschnitt ausgeführte "Große Passion" (1496-1510) und die zwischen 1507 und 1512 entstandene sogenannte "Kupferstich-Passion".

Dass Dürer nicht nur als Maler ein gefragter Porträtist berühmter Persönlichkeiten seiner Zeit war, belegen seine zahlreichen Bildnisse im Medium des Holzschnitts oder Kupferstichs. Die Ausstellung zeigt insgesamt sechs Porträts, darunter den viel bewunderten und oft kopierten Kupferstich "Bildnis des Erasmus von Rotterdam" aus dem Jahr 1526.

Ziel der Ausstellung ist es jedoch, nicht nur die bekannten Highlights zu zeigen, sondern die beeindruckende Bandbreite von Dürers druckgrafischem Schaffen darzustellen. Deshalb werden auch weniger prominente Werke gezeigt, etwa zwei seiner rein ornamental angelegten "Knotenholzschnitte" (1507). Für viele überraschend dürfte auch sein, dass Dürer nicht nur Holzschnitte und Kupferstiche schuf, sondern auch mit Ätztechniken experimentierte. Davon zeugen in der Ausstellung zwei im Medium der Eisenradierung ausgeführte Blätter: das "Studienblatt mit fünf Figuren" (1515) und "Die Entführung auf dem Einhorn" (1516).

Ob die Wirkungskraft eines Künstlers oder einer Künstlerin über die Kreise eines elitären Kunstpublikums hinausreicht, bemisst sich daran, ob man ihm oder ihr auch außerhalb wohltemperierter Museumsräume begegnet. Reproduktionen von Albrecht Dürers Bildschöpfungen haben so ziemlich jeden erdenklichen Ort erobert: Vom Schulbuch über das großelterliche Schlafzimmer bis hin zu öffentlichen Freibädern, seine "Betenden Hände" oder die rätselhafte "Melencolia I" gehören mittlerweile zum Standardrepertoire eines jeden Tattoo-Studios. Die Ausstellung nimmt dies zum Anlass, auch Fotografien von Tätowierungen zu zeigen, die internationale Tattoo-Künstler nach Dürers "Apokalypse" (1496-1498) und seinem "Rhinocerus" (1515) angefertigt haben.

Albrecht Dürer. Norm sprengen, Maß geben
bis 9. März 2025